piwik no script img

Foto: Marco Zschieck

Ehrenamtliche Hilfe in der OstukraineSolidarische Tüten

Seit 2014 bestimmt der Krieg den Alltag in dem Dorf Kateryniwka. Nur noch ein paar Dutzend Menschen leben dort. Und sie brauchen Hilfe. Ein Besuch.

Von Marco Zschieck aus Kateryniwka, Dnipro und Kurachowe

A ls die Autos vorfahren, sieht man sie zunächst nicht. Aber dann kommen die Dorfbewohner durch den Vorhang an der Eingangstür des einstöckigen Gebäudes hinaus. Es ist Mitte September, Tag 563 seit Beginn von Russlands großangelegter Invasion in der Ukraine. Und im Dorf Kateryniwka in der Oblast Donezk kommen an diesem späten Vormittag Hel­fe­r:in­nen aus dem 250 Kilometer entfernten Dnipro an. Die meisten der rund 30 Wartenden sind im Rentenalter.

Es ist leicht bewölkt, knapp unter 20 Grad. Irgendwo in der Umgebung schießt die Artillerie der ukrainischen Armee. Nachdem die Tür des Transporters geöffnet ist, haben es die Menschen eilig. Die Helfer reichen ihnen gepackte Supermarkttüten mit Lebensmitteln. Dazu gibt es Waschmittel. Aus einem Geländewagen nebenan wird Toilettenpapier verteilt, aus einem anderen Hunde- und Katzenfutter. Die Menschen bedanken sich herzlich, aber die meisten gehen auch schnell wieder. „Die Leute haben gelernt, dass es keine gute Idee ist, in großen Gruppen herumzustehen“, erzählt eine Helferin.

Einer der Wartenden ist Opa Kolja. So stellt er sich selbst vor. Der Mann mit der Schiebermütze und dem etwas gebückten Gang lächelt, aber lange erzählen will er nicht. 86 Jahre sei er alt und habe sein ganzes Leben im Dorf verbracht. Er wolle nirgendwo anders hin. Von einer Helferin aus Dnipro bekommt er noch eine Umarmung, dann schiebt er sein Fahrrad langsam davon. Auf dem Lenker balanciert er eine Tüte mit Lebensmitteln und eine Packung Toilettenpapier.

Kateryniwka kennt diesen Krieg schon lange. Das Dorf befindet sich rund 30 Kilometer Luftlinie entfernt von der Großstadt Donezk. Seit dem Jahr 2014 verlief die Frontlinie im Osten des Dorfes in etwa 15 Kilometer Abstand. Seit mehr als neun Jahren hören die Dorfbewohner den Lärm des Krieges. Doch lange Zeit gehörten zumindest die großen Kaliber nicht dazu. Seit 18 Monaten ist das anders, es wird deutlich mehr geschossen.

Fast 800 Menschen sollen hier mal gelebt haben, aber die letzte Zählung ist mehr als 20 Jahre her. Heute sind es vielleicht noch mehrere Dutzend Zivilisten. Wie in den Nachbardörfern sind die Straßen schlecht, viele Häuser schon länger verlassen oder zerstört. Einige der Häuser nutzen die ukrainischen Soldaten als Unterkünfte. Unter den Obstbäumen versteckt, kann man hin und wieder ihre olivgrünen Jeeps sehen.

„Hier ist doch mein Zuhause“, sagt die 56-jährige Ira. Sie will das Dorf nicht verlassen Foto:  Marco Zschieck 

Größeres Gerät wie Panzer oder Artilleriegeschütze ist entweder nicht da oder so gut verborgen, dass man es nicht sieht. Schon einmal wäre Kateryniwka fast ausgestorben. Anfang der 1930er Jahre ließen die Kommunisten während des Holodomors das Dorf wie viele andere in der Ukraine abriegeln. Den Bewohnern wurden Nahrungsmittel und Saatgut weggenommen. Es kam zu einer Hungersnot.

Ira ist eine der verbliebenen Bewohner:innen. Die 56-Jährige mit der blauen Strickjacke hat schon ihre Lebensmitteltüte abgeholt. Besonders gefreut hat sie sich aber über das Futter für Hündin Bljaschka, die die erste Portion gleich vor Ort verspeist. Auch Ira hätte gehen können, doch sie entschied sich anders. „Ich muss mich doch um die Tiere kümmern“, sagt sie. Ira hat noch zwei weitere Hunde. „Meine Kinder wohnen in Kurachowe.“ Das ist eine Kleinstadt etwa 10 Kilometer weiter von der Front entfernt. „Die sagen auch, dass ich zu ihnen kommen soll, aber ich kann nicht.“ Sie hebt die Hände, als wolle sie sich entschuldigen. „Hier ist doch mein Zuhause.“

Geblieben ist auch Valentyna. Die 61-Jährige lebt seit 19 Jahren in Kateryniwka. Aber ihre Geschichte ist eine andere, denn sie hat auch einen Job im Dorf. Valentyna ist als Militärkaplanin für die Seelsorge der stationierten Soldaten zuständig. So steht es auch auf dem Aufnäher auf ihrem schwarzen Kapuzenpullover, den sie zur Militärhose trägt. „Aber natürlich können auch die Einheimischen zu mir kommen“, sagt sie. Einen Priester gebe es ja nicht.

Tatsächlich kümmert sie sich aber um mehr. Zum Beispiel hat sie den Verteilungspunkt für die Lebensmittellieferung organisiert. Die Tüten, die an diesem Tag noch nicht abgeholt werden, bringen die Hel­fe­r:in­nen in das flache Gebäude. Dort werden die Lebensmittelpakete zwischen Holzkreuz und Pult auf dem braun gestrichen Dielenfußboden gelagert. Eigentlich ist das Valentynas Gebetsraum. „Wir haben hier jeden Tag Beschuss“, erzählt Valentyna. Ein Lebensmittelgeschäft gebe es schon lange nicht mehr. Sie zeigt auf das Gebäude nebenan, wo ein Plakat über vernagelten Fenstern für ein Geschäft für Tierfutter wirbt. Unter den verblichenen Bildern von Hühnern, Kaninchen und Schweinen steht der Werbeslogan „Alles wird gut!“ Die blau lackierte Tür ist mit Löchern von Granatsplittern übersät.

Wer nicht mobil sei und in die nächste Stadt fahren könne, sei auf Hilfe angewiesen. Und das seien viele von den verbliebenen Bewohner:innen. Die Menschen, die noch im Dorf sind, hätten entweder kein Geld, eine Behinderung oder seien alt. „Oder eine Kombination davon.“ Und abgesehen davon wüssten sie auch nicht, wohin sie gehen könnten. Am Vorabend trifft sich ein gutes Dutzend Hel­fe­r:in­nen in einem früheren Gewerberaum im Erdgeschoss eines Plattenbaublocks in Dnipro.

Die meisten der Frauen und Männer sind um die 30 Jahre alt. Es herrscht ein Kommen und Gehen. Auf den ersten Blick wirkt es chaotisch, doch wie in einem Ameisenhaufen fügt sich alles zusammen. Der etwa 30 Quadratmeter große Raum ist vollgestellt mit allerlei Lebensmitteln und Hygieneprodukten. An der Wand steht mit schwarzer Farbe geschrieben „Slava Ukraini!“

Die Lebensmittel werden in der Mitte auf Tüten verteilt. Zur Ration gehören Nudeln, Reis, Mehl, Buchweizen, Kekse, Zucker, Sonnenblumenöl und Konserven mit Bohnen, Fisch und Fleisch. Lebensmittel, die lange halten und nicht gekühlt werden müssen. Sind die Tüten gepackt, werden sie in einen Transporter verladen, der vor der Tür geparkt ist. Dazu kommen Kartons mit Waschpulver und Pakete mit Toilettenpapier. Nach einer guten Stunde ist alles verstaut. Es gibt Tee, Croissants aus dem Supermarkt mit Erdbeerfüllung und ein Erinnerungsfoto.

Eine der ehrenamtlichen Hel­fe­r:in­nen ist Nastya Teplyakova. Sie ist Philologin und arbeitet im örtlichen Literaturmuseum. Doch die 32-Jährige ist auch darüber hinaus viel beschäftigt: „Es ist immer etwas zu tun“, sagt sie. „Hilfe für die Dörfer, Hilfe für die Soldaten, Hilfe für die Binnenflüchtlinge, Hilfe für die Tiere, Bücher retten.“ Sie sieht müde aus und ist es auch. In ihre braunen Haare hat sie sich bunte Strähnen gefärbt. „Ich brauche etwas Farbe im Leben.“

Die Gruppe fährt nicht nur in den Donbas. Seit Herbst vergangenen Jahres organisiert sieauch Fahrten in die befreiten Gebiete in der Oblast Cherson. Von Dnipro sind es bis zu den Dörfern auf dem westlichen Ufer des Dnipro rund 200 Kilometer. Dort sei die Infrastruktur zerstört. „Es gibt keine Geschäfte, wo die Menschen etwas kaufen könnten, selbst wenn sie Geld hätten.“ Also bringe man Hilfsgüter. Ein halbes Dutzend mal sei man schon dort gewesen. Finanziert werde die Hilfe aus Spenden. Die Hel­fe­r:in­nen haben dazu eine NGO gegründet.

„Es ist immer etwas zu tun“, sagt die Philologin und freiwillige Helferin Nastya Teplyakova Foto: Marco Zschieck

Sie nennt sich Love.UA. Fotos von den Hilfslieferungen veröffentlichen sie auf Instagram. Ein bisschen Extrageld komme durch den Verkauf von sogenannten Trophäen im Internet dazu. „Es gibt Leute, die zahlen gern etwas für einen russischen Helm.“ Die Lieferung in den Donbas wird auch von der NGO Ukraine Trust Chain aus den USA unterstützt.

Von der Front oder aus den befreiten Gebieten bringt Nastya Teplyakova auch immer wieder Haustiere mit. Inzwischen hat sie selbst zwei Hunde und fünf Katzen. „Die leisten mir Gesellschaft und muntern mich auf.“ Zudem versucht sie Bücher aus zerstörten Bibliotheken zu retten. Ein paar haben es in die Ausstellung im Literaturmuseum geschafft: Sie zeigt ein Buch einer ukrainischen Autorin. Es hat ein Einschussloch.

Schon 2014 spielte Dnipro am gleichnamigen Fluss eine wichtige Rolle bei der Unterstützung des Widerstands im Donbas. In seiner Neujahrsansprache hat Präsident Wolodymyr Selenski die Millionenstadt als Rückgrat der Front bezeichnet. Sie ist mit mehreren Eisenbahn- und Straßenbrücken über den Fluss Dnipro ein logistischer Knotenpunkt. Von hier, am östlichen Ende des großen Dniprobogens, sind es rund 200 Kilometer in den Donbas und nur 130 Kilometer zur Front im Süden bei Saporischschija. Die großen Krankenhäuser der Stadt versorgen auch viele der Verwundeten.

Dnipro ist zwar nicht in Reichweite der russischen Artillerie, doch es gab bereits mehrere Raketenangriffe mit vielen zivilen Opfern. Der bisher folgenschwerste ereignete sich im Januar. Eine ballistische Kh-22-Rakete schlug in einen Wohnblock im Plattenbaugebiet Sobornaja ein. Mindestens 46 Menschen wurden getötet, rund 80 verletzt.Selbst erreicht hat die russische Armee die Stadt seit Beginn ihrer großangelegten Invasion nie.

Doch Dnipro hat einen Platz in der Erzählung vom sogenannten Neurussland: Gegründet wurde die Stadt nämlich von General Potjomkin im Jahr 1776. Zu Ehren von Kaiserin Katharina II. nannte er sie Jekaterinoslaw, was so viel wie „zum Ruhm Katharinas“ bedeutet. Sie sollte etwas wie eine dritte Hauptstadt Russlands in den seinerzeit in den Kriegen gegen das Osmanische Reich eroberten Gebieten nördlich des Schwarzen Meeres werden.

Diese Bedeutung hat die Stadt allerdings nie erreicht. Wirklich gewachsen ist sie erst mit dem Eisenbahnanschluss und der Industrialisierung, sie wurde vielsprachig und multireligiös. Noch heute sieht man die Architektur der prächtigen Bürgerhäuser in der auf einem Schachbrettmuster angelegten Altstadt. Nachdem die Bolschewiki die erste Ukrainische Republik besiegten, gaben sie der Stadt den Namen Dnipropetrowsk. Grigori Petrowski war ein General der Roten Armee.

Finanzzentrum der Ukraine

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt von der Wehrmacht erobert. Ein Großteil der jüdischen Gemeinde wurde ermordet. Ab den 1960er Jahren wurde Dnipropetrowsk ein Zentrum der Raketentechnologie. In der sogenannten südlichen Maschinenfabrik „Juschmasch“ wurde entwickelt und teilweise gebaut, was sowjetische Kosmonauten ins All brachte. Aber auch der militärische Raketenbau war dort angesiedelt. Wegen der Geheimhaltung war die Stadt für Ausländer tabu und nur mit spezieller Genehmigung zugänglich. In der unabhängigen Ukraine wurden Fabriken nicht mehr gebraucht.

Stattdessen entwickelte sich Dnipro zum Finanzzentrum der Ukraine. Von der gegenüberliegenden Seite des im Stadtzentrum rund 600 Meter breiten Flusses kann man die Skyline der Bankentürme sehen. In der Stadt sprechen viele Menschen Russisch im Alltag, doch die Moskauer Propaganda fand keinen Anklang. „Im Frühjahr 2014 hing einmal eine russische Fahne vor dem Rathaus“, erinnert sich Nastya. „Aber die war am nächsten Tag wieder weg.“

Ich würde gern mal wieder auf ein Feld schauen und nur an ein Feld denken. Nicht daran, wie die Russen sie verminen und unsere Ernten stehlen.

Nastya Teplyakova, ehrenamtliche Helferin

2016 wurde dann auch die Referenz zu Petrowski aus dem Stadtnamen getilgt. Im Morgengrauen treffen sich sieben der Hel­fe­r:in­nen an einer Tankstelle am Stadtrand. Vier Autos sind es diesmal: drei Geländewagen und der Transporter. Als alle ihren Kaffee getrunken haben, beginnen die Sirenen zu heulen: Luft­alarm. Auf dem Telegramkanal der ukrainischen Luftwaffe wird vor einer Gefahr durch Drohnen gewarnt. In Dnipro keine Seltenheit. Seit Kriegsbeginn gab es in der Stadt bis zu diesem Morgen schon 2.028 Alarme. Fast vier am Tag.

Die Fahrt führt über die Europastraße 50 nach Osten. Je weiter es nach Osten geht, umso mehr Tanklaster in Armeegrün sind unterwegs und umso weniger zivile Fahrzeuge. Am ersten Checkpoint außerhalb von Dnipro stehen noch Polizisten und winken die Autos fast beiläufig durch. Mindestens zehn Checkpoints sind es auf den 250 Kilometern bis Kateryniwka. Bei den letzten kontrollieren nur noch Soldaten die Fahrzeuge. Dort wird dann auch in den Kofferraum geschaut. Hektisch wird es nur einmal, als sich aus der Gegenrichtung zwei Ambulanzen mit Blaulicht einem Checkpoint nähern. Die Autofahrer machen rasch Platz, damit die Rettungswagen ohne Verzug durch das Zickzack der Betonsperren steuern können.

Meistens bieten die Hel­fe­r:in­nen den Kontrolleuren auch Tourniquets an. Die Aderpressen ­sind begehrt, besonders die aus westlicher oder ­ukrainischer Produktion. Sie können im Fall einer Verwundung Leben retten. Denn oft ist es der Blutverlust, an dem die Sol­da­t:in­nen sterben. Vor dem Autofenster zieht die Landschaft mit Feldern, Kuhweiden und kleinen Wäldern vorbei. „Die Russen haben uns so viel genommen“, sagt Nastya Teplyakova. „Ich würde gern mal wieder auf ein Feld schauen und nur an ein Feld denken. Nicht daran, wie sie sie verminen und unsere Ernten stehlen.“ Im Donbas kommen zu den Feldern auch immer mehr Fördertürme und Abraumhalden der Bergwerke hinzu.

Das Städtchen Kurachowe liegt an einem Stausee. Das Flüsschen Wowtscha ist dort aufgestaut, um Kühlwasser für ein riesiges Kohlekraftwerk zu liefern. Zwei Schlote speien auch an diesem Tag tiefschwarzen Rauch in den Himmel. Am Strand versucht ein einsamer Angler sein Glück mit den Fischen. An einer Kreuzung treffen sich die Hel­fe­r:in­nen mit Soldaten. Deren Einheit ist in der Nähe stationiert. Wo genau, soll nicht veröffentlicht werden, auch keine Namen. Der Kontakt zur Einheit ist persönlich. „Ein enger Freund gehörte mal dazu“, erzählt Nastya. „Er ist seit mehr als einem Jahr vermisst.“ Man rechne nicht damit, dass er noch wiederkommt.

„Ich habe ihm versprochen, mich um seine Brüder zu kümmern.“ Mit Brüdern meint sie die anderen Soldaten aus der Einheit. Und sie kümmert sich. Hält Kontakt. Sammelt Geld, um Ausrüstung zu besorgen, die die Armeebürokratie nicht oder nicht ausreichend bereitstellt. Bei dieser Tour bleiben zwei der Geländewagen, die die Hilfsgüter für die Dorfbewohner transportiert haben, später bei den Soldaten. „Das waren Nummer 20 und 21“, erzählt sie später.

Mobile Hilfe für alte Menschen

Zum Kämpfen kann man die zwar nicht benutzen. Aber sie sind hilfreich, um auf den kaputten Straßen zwischen den Dörfern überhaupt mobil zu sein. Und auch um im Notfall Verwundete schnell zu einem Versorgungspunkt zu bringen. „Das ist nichts Abstraktes. Jeder von uns kennt jemanden in der Armee“, erklärt sie. Auch ihr Ehemann ist Soldat. Er ist derzeit in der Nähe von Bachmut im Einsatz. Auch den Offizier der Einheit kennt Teplyakova schon länger.

Vor drei Monaten habe sie ihn zuletzt gesehen. „Er hat so abgenommen.“ Sie mache sich Sorgen. Tatsächlich wirkt der 1,90 Meter große Offizier in der Uniform mit dem sandfarbenen Tarnmuster ziemlich schlank. Er ist 24 Jahre alt. Ein paar der Soldaten sind deutlich älter als er, haben graue Haare, breite Schultern und auch Bäuche. Dennoch orientieren sie sich an dem Offizier, ohne dass er laute Anweisungen geben muss. Er lächelt sogar meistens. Die Situation an diesem Teil der Front sei stabil, erzählt er. Es gebe Beschuss von beiden Seiten. „Aber heute ist ein vergleichsweise ruhiger Tag, bisher.“

Als die meisten Dorfbewohner in Kateryniwka am Mittag schon gegangen sind, kracht es wieder zwei mal. Es klingt irgendwie lauter als zuvor und auch anders als das Geräusch, wenn die Geschütze abgefeuert werden, die irgendwo in der Umgebung sein müssen. „Wir sollten zusammenpacken“, sagen die Helfer. Ein paar von den Hilfspaketen in den Supermarkttüten sind noch übrig. „Die geben wir Leuten auf dem Weg“, sagt Nastya. Viele von den Älteren seinen nicht mehr mobil genug, um zu dem Lagerraum zu gehen. Oder sie haben es einfach nicht mitbekommen.

Über die ausgefahrenen Wege fahren die Autos wieder zurück durch Richtung Kurachowe, weg von der Front. Nach ein paar Minuten Fahrt stehen zwei Frauen am Straßenrand. Eine trägt Kopftuch und eine blaue Kittelschürze, die andere stützt sich auf einen Gehstock. Dackelmischling Ricky ist bei ihnen und nimmt auf diesem Teil der staubigen Schotterpiste offenbar sowas wie die Rolle des Ordnungsamts ein: haltende Autos werden angebellt, sobald sich eine Tür öffnet, nimmt der Rüde Platz auf dem Beifahrersitz. Während die Dorfbewohnerinnen die Hilfspakete in Empfang nehmen wird Ricky mit Hundesnacks versorgt. Dann grollt wieder das Geräusch eines Granateneinschlags durch die Baumwipfel. Die Helfer steigen in die Autos und fahren los. Die Dorf­be­woh­ne­r:in­nen tragen die Tüten weg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Das ist ein schöner Bericht über harmlose Menschen und was ihnen angetan wird.