Ordnung und Unordnung im Schrebergarten: Saisonalität und Kontrolle

Unsere Autorin wuchs in der Stadt auf. Nun hat sie einen Kleingarten und versucht, im Rhythmus gezähmter Natur zu schwingen. Was viel Arbeit macht.

Portrait Marlen Hobrack sitzend zwischen Pflanzen, im Hintergrund ein Schuppen

Wie viel Unordnung kann man zulassen? Marlen Hobrack in ihrem Kleingarten Foto: Thomas Victor

Der Garten steht nicht still. Jedes Jahr im August, wenn ich aus dem Sommerurlaub zurückkehre und zum ersten Mal seit ein oder zwei Wochen den Garten betrete, überkommt mich ein kleiner Schauer: Wie kann es sein, dass die Pflanzen in meiner Abwesenheit ein solch extremes Eigenleben führen? 20 Zentimeter Wachstum in nicht einmal 14 Tagen, wie ist das möglich?

Es gäbe kein grenzenloses Wachstum, heißt es oft in der ökologischen Kritik am ökonomischen Wachstumsfetisch, aber mein Garten scheint diese Annahme zu widerlegen. Nach jedem Urlaub beginnt deswegen das Aufräumen, denn natürlich wächst nicht nur das, was wachsen soll, im Gegenteil: die Un- und Beikräuter, oder schlicht das, was in diesem Beet an dieser Stelle nun definitiv gerade nicht wachsen soll, müssen beackert werden.

Beinahe hätte ich „bekämpft“ geschrieben, doch das hätte ein völlig falsches Bild von mir als Gärtnerin vermittelt. Ich habe nämlich kein grundsätzliches Problem mit Unkraut. Bekanntermaßen lautet die einzige gültige Definition von Unkraut, dass es sich um ein Kraut handelt, das man an einer bestimmten Stelle des Gartens nicht wünscht.

Unkräuter essen

Zumeist sind solche Unkräuter wie der Löwenzahn oder die Brennesel oder der Giersch essbar und sogar gesundheitsfördernd. Andere sind einfach schön, wie die Distelarten, die stachelbewehrt in die Höhe schießen, die allerdings dem Gärtner das Leben schwer machen, so er denn auf die Idee kommt, sie auf den Kompost zu werfen.

Würde kein vernünftiger Gärtner machen, weil hier ja die Gefahr der Vermehrung droht, aber ich bin in diesem Sinne nicht vernünftig, sondern pragmatisch (oder faul).

Als ich um diesen Text gebeten wurde, lautete die Frage, ob ich nicht am Ende der Saison über das Gärtnern nachdenken wolle. Der Witz ist: Es gibt kein Ende der Gartensaison, und falls doch, dann ist es sicher nicht der Spätsommer oder Herbst, jene Zeit, die gemeinsam mit dem Frühling zur arbeitsreichsten Zeit gehört. Wobei sich ja nicht nur die Haupterntezeit von August bis in den Oktober hinein erstreckt, sondern allerhand anderes unternommen werden muss.

Stauden teilen und umpflanzen. Unkraut entfernen und mulchen. Bäume und Sträucher beschneiden, Hecken stutzen, Formschnitte durchführen und zweijährige Pflanzen aussäen. Stecklinge fürs nächste Jahr schneiden. Die Zahl der Aufgaben ist unendlich. Im Sommer dagegen gebietet schon die Wärme, lediglich Regenwasser zu verteilen und die Früchte des Sommers, buchstäblich, zu genießen.

Intensive Verbindung zur Natur

Ich wurde als Stadtkind geboren und habe nie auf dem Land gelebt. Ich bin die Tochter eines Gärtners, der nie privat gärtnerte, ich hatte schon als Kind eine intensive Verbindung zur Natur – oder das, was man am Stadtrand dafür hält. Meist handelt es sich um Orte, die im hohen Maße produziert und fabriziert sind, Felder und „Naturparks“ etwa. Lange Zeit fand ich die Erinnerung an das Streifen über Mais- und Rapsfelder sehr idyllisch, heute frage ich mich, wie viel Glyphosat ich dabei wohl eingeatmet habe.

Ein Garten hätte dem hypersensiblen Mädchen, das ich einmal war, sicher gutgetan. Seit ein paar Jahren nun habe ich einen Schrebergarten. So seltsam es klingen mag; kein Ort lädt mehr dazu ein, sich mit dem eigenen Ich auseinanderzusetzen, als der Garten. Wie viel Ordnung braucht man, wie viel Unordnung kann man zulassen? Lässt man sich überraschen oder muss man kontrollieren?

Ich habe so gewisse Zwänge an mir festgestellt. Ich bin sensorisch etwas sensibel und ertrage daher bestimmte Farbkombinationen nicht. Ist etwas albern, aber wahr. Weswegen es mich wahnsinnig frustriert, wenn die Farben der Pflanzen, die ich kombiniert habe, in meinem Kopf nicht harmonieren. Ich mag keine penible Ordnung, aber es gibt einen Kipppunkt, an dem mir die Unordnung Angst macht. Immer dann, wenn die Dinge aus allen Ecken und Enden herausquellen.

20 Zentimeter Pflanzenwachstum in nicht einmal 14 Tagen? Wie ist das überhaupt möglich?

Unser Garten ist ein Schreber meets Cottage meets Naturgarten, mit anderen Worten: Viele Stauden sind sehr ausbreitungsfreudig, manchmal vermehren sie sich durch Selbstaussaat explosionsartig. Womit wir wieder bei der Frage der Kontrolle wären. Zumeist schüttele ich den Kopf, wenn ich Gärten passiere, deren Rasen wie mit der Nagelschere zurechtgestutzt wirkt und die weit und breit kein Leben in sich tragen. Aber das mag auch nur Ausdruck der Persönlichkeit des Besitzers sein.

Gärten sind hochpolitisch

Der Garten gilt als Freizeitraum, zugleich als der unpolitischste Ort schlechthin, dabei ist die Frage, wer Zugang zu Gärten und damit zu Erholungsräumen, zu Plätzen für den Anbau von hoffentlich ungespritztem Obst und Gemüse hat, hochpolitisch. Das, was so lange Hohn und Spott über den Kleingarten brachte, eben die kleinbürgerliche piefig-spießige Atmosphäre, überdeckt die Geschichte des Kleingartens als Ort der Erholung für Arbeiter in engen Stadtquartieren.

Genau hier entdecken Studenten und Familien und übrigens auch viele Menschen mit Migrationsgeschichte den Kleingarten wieder für sich. Erholung und Naturkontakt (wie gesagt, das Wort Natur ist hier mit Vorsicht zu genießen) sind willkommen, wo zwischen Wohnung und Discounter um die Ecke vierspurige Straßen liegen und wo jegliches Gefühl für Saisonalität von Früchten und Gemüsen abhanden gekommen ist.

Es ist nämlich das eine, im Sinne des nachhaltigen Lebens auf Saisonalität zu verweisen, aber etwas ganz anderes, das Wissen darum zu erwerben. Weil ohnehin nicht lokal und streng saisonal für Supermärkte produziert wird.

Einer der größten Trends des Gärtnerns, wenn man Instagram-Hashtags und Youtube-Vlogs folgt, ist das Selbstversorgen. Wobei ebenjene Selbstversorgung die Abhängigkeit von der konventionellen Landwirtschaft (ob bio oder nicht) schmerzlich vor Augen führt.

Selbstversorgung ist illusorisch

Selbst zum Höhepunkt der Erntezeit ist das, was unser Garten abwirft, nur eine willkommene Ergänzung unseres täglichen Bedarfs. Tomaten, Gurken, Zucchini, Kürbisse, Äpfel, Sauerkirschen und so weiter produzieren dann sogar einen kleinen Überschuss, der nach Rezepten für Tomatensoßen und Zucchinibrote, Einlegegurken-Essigmischungen und Apfelkuchen verlangt. Aber eine Selbstversorgung ist illusorisch, was nicht nur an der Fläche liegt – es heißt, man brauche circa 30 Quadratmeter pro Person.

Diese 30 Quadratmeter müssten nicht nur mit maximaler Effizienz bewirtschaftet werden (Fruchtwechsel, ständige Folgeaussaaten), sondern dürfen weder Trockenheit, Dauerregen, Hagel noch Schnecken, Larven oder Viren zum Opfer fallen. Das ist aber insbesondere in einem Garten, in dem keine Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen, schlichtweg der Fall.

In unserem Garten sind Nacktschnecken zum Beispiel in trockenen Jahren – was die Regel ist – kein Problem, aber in regnerischen Jahren ein echter Albtraum, dem kaum beizukommen ist – und dem junge Salat- und Kohlrabipflanzen nichts entgegenzusetzen hatten (bitte schreiben Sie mir jetzt keine Mails, in denen Sie mir erklären, dass man sie nur absammeln muss).

Respekt vor Öko-Landbau

So ein Garten lehrt also den allergrößten Respekt vor echt ökologischer Landwirtschaft, mit all den Problemen, die selbst sie mit sich bringt. Er zeigt, warum die Idee des Rückzugs auf die eigene Scholle, auf der man autark für sich produziert, so romantisch gar nicht ist (wobei die Schollenidee natürlich auch aus anderen Gründen reichlich problematisch ist).

Der Garten, in dem wir nicht selten Kulturgut mit Natur verwechseln, den wir hegen und pflegen oder vernachlässigen oder mit Gift zuschütten, ist Ausdruck unseres Verhältnisses zur Welt. So, wie er vor hoffnungsloser Romantik schützt, offenbart er die schwierige Balance zwischen menschlichen Interessen (etwa Flächenverbrauch und Ernte) und Umwelterfordernissen.

Wir können ihn als Ort des Rückzugs verstehen oder aber als Resonanzraum, in dem wir im besten Falle mit einer gezähmten Natur im gleichen Rhythmus schwingen, uns als Mensch geborgen und aufgehoben fühlt, was wiederkehrende Gefühle der Über- und Herausforderung nicht ausschließt (verdammte Wühlmäuse!). Er ist kein Abbild des himmlischen Paradieses. An guten Tagen aber immerhin das kleine Äquivalent.

Die Autorin ist Preisträgerin des Jörg-Henle-Preises für Literaturkritik 2023. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Schrödingers Grrrl“ (Verbrecher-Verlag). Sie lebt in Leipzig.

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