Hamburger Ausstellung über Sami-Kultur: Verzweifelte Selbstermächtigung
Die Ausstellung „Sami Horizonte“ in Hamburgs ethnografischem Museum erzählt von nordischem Kolonialismus. Was fehlt, sind dessen aktuelle Ausprägungen.
Es macht einen Unterschied, ob man etwas in Stein ritzt oder klopft. Wer ritzt, kratzt an der Oberfläche. Wer klopft, der fragt: Wer oder was ist da drin, und wie können wir kommunizieren? Die Sami haben ihre Symbole traditionell in Steine geklopft. Es war die rituelle Wiederholung des Klopfens aufs schmelzende Eis im Frühjahr. Dann konnten die Rentiere aus den schützenden Wäldern auf die Sommerweiden geführt werden, Hunderte Kilometer weit. Das Rentierjahr für die ZüchterInnen begann.
Sie klingt sehr fern, diese Erzählung, dabei ist sie teils noch real: Etwa 15 Prozent der 70.000 der in Norwegen, Schweden, Finnland und Russland lebenden Sami züchten zumindest teilberuflich noch Ren. Manche beherbergen nebenbei Touristen, denn lukrativ ist die Zucht nicht mehr, seit die Weidegründe durch Industrialisierung und Verstädterung kleiner wurden.
Und das geschah peu à peu im Zuge des – immer noch wenig bekannten – nordischen Kolonialismus: Zunächst unterteilte man die samischen Sippenverbünde in klar abgezielte Dörfer, um sie besser zu kontrollieren. Die Grenzen der seit dem 17. Jahrhundert gegründeten Nationalstaaten schließlich zerschnitten den Lebensraum der Nomaden, erschwerten den Zugang zu Sommer- und Winterweiden. Ende des 19. Jahrhunderts blühte dann auch in Nordeuropa die Rassentheorie – mit brutalen Folgen. Lebende und tote Sami wurden vermessen, Gebeine in Museen und Labors verschleppt. Man wollte beweisen, dass sie einer weniger entwickelten Kulturstufe angehörten. Sehr gelungen thematisiert das die seit Juni laufende, mit zeitgenössischer Kunst bestückte Parallel-Ausstellung im Hamburger Kunsthaus, „Speaking Back“.
Rassismus mit Folgen
Der staatliche Rassismus hatte Folgen: Samische Kinder wurden in norwegische Internate gezwungen, Landverkauf an Sami verboten. Ihre Schamanenrituale und die bunten Trachten hatten schon die Missionare des Mittelalters als „sündig“ denunziert, heilige Trommeln verbrannt, die hohen Frauenhüte (Ladjo) als „Teufelshorn“ gebrandmarkt. Als dann auch noch die pietistische Erweckungsbewegung des Laestadianismus im 19. Jahrhundert Fuß fasste und die Ladjo „Satanszeichen“ nannte, trug sie niemand mehr.
Andererseits wurden – auch das gängige koloniale Praxis – kunsthandwerkliche Objekte für Museen gesammelt, als wolle man Relikte der Kultur, zu deren Aussterben man beitrug, wenigstens als exotisches, sogar ästhetisches Beispiel präsentieren.
Einer der deutschlandweit größten Bestände an Sami-Objekten liegt im Hamburger Museum Kulturen und Künste der Welt (Markk). Die meisten eignete sich der Hamburger Ethnografica-Händler Julius Konietzko zwischen 1911 und 1916 auf seinen Reisen an, weitere der Arzt und überzeugte Nationalsozialist Ludwig Kohl-Larsen. Manches erwarben sie unter Wert, anderes stahlen sie; Konietzko soll sogar Ritualorte aufgesucht und Gräber geplündert haben, um die von Museen und Labors „bestellten“ Gebeine zu bekommen. Und wie schon in den Ausstellungen „Wasserbotschaften“ und „Lose Enden“ resultiert die aktuelle Markk-Schau „Das Land spricht. Sami Horizonte“ aus einer Depot-Recherche gemeinsam mit KünstlerInnen und ForscherInnen der betroffenen Kultur.
Daraus ist ein Dialog entstanden, der sehr klar den – zumal ökologischen – Abstand zwischen der traditionellen Sami-Kultur und der Moderne zeigt: Da hängt eine Wiege aus Holz, da steht ein Paar Schuhe aus Rentierfell in der Vitrine. Daneben aktuelle Fotos von Marja Helander aus dem nordschwedischen Kiruna. Dort errichtete man 1888 auf Sami-Gebiet eine der weltgrößten Eisenerz-Minen und baute eine Stadt dazu. Demnächst wird Kiruna zugunsten weiterer Abbauflächen verlegt. Die von den Jobs abhängigen BewohnerInnen protestieren nicht, und die Sami wurden nicht gefragt.
Versmogt wirkt die Stadt auf den Fotos, verletzt und aufgerissen die Erde. Auf dem Bild daneben stapft eine Samin in Tracht unter riesigen Stromleitungen durch den Schnee. Steht sie für das letzte Wort oder für das erste, für eine Selbstermächtigung? Wird das Land wieder sprechen, wie es der Ausstellungstitel nahelegt?
Sie sei wütend darüber, was aus ihrem Land gemacht worden sei, sagt eine Sami in einem Video von Sissel Bergh. „Wir sind noch da“ lautetet die Botschaft, und das erzeugt Kraft: Jahrelang, von 1968 bis 1982, gab es Proteste und Prozesse von Sami und Umweltschützern gegen den Bau eines Wasserkraftwerks am Alta-Flusslauf in Nordnorwegen.
Gebaut wurde das Kraftwerk trotzdem, aber die Sami gingen gestärkt aus dem Konflikt hervor: 1987 wurde das norwegisch-samische Parlament eröffnet, gebaut in Form eines Sami-Zeltes. In Finnland gab es das seit 1973, Schweden folgte 1993, Russland 2010. Ein langwieriger Prozess.
Für manche vielleicht überraschend: Auch die Deutschen haben in diesem Zusammenhang einiges aufzuarbeiten. Denn Sami waren 1875 die erste Gruppe, die bei Hagenbecks „Völkerschauen“ auftraten – angeworben von windigen Agenturen, die Geld für die Tourneen boten. Einige Familien gingen mit, aus Not. Für Tierparkbetreiber Hagenbeck ein reines Geschäftsmodell. „Schön konnte man unsere Gäste gerade nicht nennen“, schrieb er 1908 in seiner Abhandlung „Von Tieren und Menschen. Erlebnisse und Erfahrungen“: „Ihre Hautfarbe ist ein schmutziges Gelb, der runde Schädel ist mit straffem, schwarzen Haar bewachsen, die Augen stehen ein wenig schief, die Nase ist klein und platt.“
Selbstermächtigung im Nachhinein
Im Markk liegt ein in Hagenbecks Archiv gefundener Vertrag, daneben die einzigen erhaltenen Aufzeichnungen eines Teilnehmers; als Zehnjähriger habe er die Reise durchaus als Abenteuer empfunden, schrieb Trygve Danielsen viele Jahre später. Gegen Ende der Tournee habe der Chef allerdings weniger gezahlt und sei dann verschwunden, sodass die Eltern auf eigene Faust nach Norwegen zurückkehren mussten.
An der Museumswand gegenüber hängen Fotos, auf denen die KünstlerInnen Annika Dahlsten und Markku Laakso in Sami-Tracht vor den Hagenbeck'schen Gehegen posieren, in denen ihre Vorfahren einst „arbeiteten“. Aber die Nachfahren stehen nicht mehr im Gehege, sondern davor, sind zu selbstbewussten AkteurInnen geworden.
Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln
Überhaupt besinnen sich junge Sami zunehmend auf ihre Wurzeln, suchten alte Kunsthandwerk-Techniken zu lernen, vor allem die Fertigung der Ladjo-Hüte. Aber wie herankommen an das alte Wissen? Outi Pieskis hat ein Video gedreht, auf dem ihre Tochter, die Tänzerin Biret Haarla Pieski, ein Ladjo festhält, dreht, wendet – und lauscht. Vom Sissel-Bergh-Video nebenan erklingt derweil der alte samische Joik-Gesang, von Missionaren vor 300 Jahren als „heidnisch“ verboten und heute unter anderem von der Norwegerin Mari Boine wieder populär gemacht.
„Das Land spricht. Sami Horizonte“: bis 25. 2. 2024, Hamburg, Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (Markk)
Aber die Botschaft von Ladjo und Joik ist fern und leise; die Ideologie des Wirtschaftswachstums hat alles übertönt. Dass genau dessen Folgen – etwa die Bedrohung der Rentierzucht durch den Klimawandel – in der Ausstellung ausgespart werden, irritiert. Auch erfährt man im Markk nicht, dass das oberste norwegische Gericht 2021 entschied, dass der landesweit größte Windpark auf Sami-Gebiet illegal gebaut wurde. Da aber der Abriss unterblieb, gab es im März 2023 neue Proteste der Sami in Oslo. Die Regierung entschuldigte sich und erstrebt nun ein „Nebeneinander“ von Rentierzucht und Windpark.
Auch im Schweden dräut Unheil: Im Februar 2023 gab der Bergbaukonzern LKAB die Entdeckung des bisher größten europäischen Vorkommens seltener Erden in Kiruna bekannt. Für die Sami bedeute die Öffnung der neuen Mine „womöglich das Ende ihrer traditionellen Rentierzucht sowie ihres halb-nomadischen Lebens in der Region, denn dadurch würde die letzte jahrhundertealte Route entfallen“, schreibt die Gesellschaft für bedrohte Völker.
Ihr Land, so scheint es, werden die Sami also nicht retten können. Wohl aber ihre Identität, ihre Kunst, ihren Respekt vor der Natur.
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