Comeback des US-Turnstars Simone Biles: Ohne Salti geht es nicht

Simone Biles ist besser denn je zurück: Bei der Turnweltmeisterschaft in Antwerpen zeigt die US-Amerikanerin einmal mehr Spektakuläres.

Am Schwebebalken: Simone Biles gewohnt graziös.

Am Schwebebalken: Simone Biles gewohnt graziös Foto: AP

ANTWERPEN taz | Für das Gros der Nationen ist bei der Turn-WM die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris das einzige Thema. Nicht so für Simone Biles, die in Antwerpen ein bemerkenswertes Comeback feierte. „Da schließt sich ein Kreis, das ist schon ziemlich verrückt“, sagte sie vor wenigen Wochen nach ihrer Nominierung für das bereits qualifizierte US-Team mit Blick auf den Umstand, dass ihre internationale Karriere an gleicher Stelle ihren Anfang genommen hatte: Bei der WM in Antwerpen 2013 hatte sie ihren ersten Titel gewonnen. Zehn Jahre später ist sie erneut die haushohe Favoritin auf den Titel im Mehrkampf und wird am heutigen Mittwoch das US-Team aller Voraussicht nach mal wieder zum Sieg führen.

In den vergangenen zehn Jahren hat Simone Biles alle möglichen Rekorde gebrochen. Quasi nebenbei hat sie in dieser Zeit das Frauenturnen verändert, indem sie die Grenzen dessen, was an Salti und Schrauben für Turnerinnen vorstellbar war, immer weiter verschoben hat. Der doppelte Salto rückwärts mit drei Schrauben am Boden, der Triple double, den sie 2019 erstmals zeigte, ist hierfür nur ein Beispiel.

Gleichzeitig war ihre Dominanz so absolut, dass der sportliche Wettbewerb darunter litt, was dazu führte, dass diejenigen im Weltverband, die dafür zuständig sind, zu definieren, was erfolgreiches Turnen überhaupt ist, begannen gegenzusteuern. In den Wertungsvorschriften wurden die nichtakrobatischen Anforderungen – zum Beispiel gymnastische Drehungen oder Ausdrucksstärke auf der Bodenfläche – aufgewertet. Trotz allem bleibt die Faszination für die außergewöhnliche Akrobatik und das neue, noch nie dagewesene Element, ungebrochen.

Hingucker: Jurtschenko-Doppelsalto

Das konnte man auch in Antwerpen gut beobachten, als Biles mit ihrem Jurtschenko-Doppelsalto gebückt am Sprung zum fünften Mal eine Weltneuheit präsentierte. Es ist ein Sprung, den bislang nur Männer gewagt haben. Er wurde mit einem Schwierigkeitswert von 6,4 Punkten eingestuft. Im Vergleich: Der schwierigste Sprung im deutschen Frauenteam, das übrigens die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris verpasste, betrug am Montagabend 4,2 Punkte.

Man könnte also meinen: Alles wie gehabt: darüber staunen, wie sich der Körper der mittlerweile 26-Jährigen in den vergangenen zehn Jahren scheinbar überhaupt nicht verändert hat und sie immer weiter sportliche Grenzen verschiebt. Aber Biles hat nicht nur sportliche Grenzen überschritten. Kurz nach den Spielen 2016, bei denen Biles unter US-Chefin Marta Karolyi zum Superstar avancierte, flog der größte Missbrauchsskandal in der Historie des US-Sports auf.

Teamarzt Larry Nassar hatte über Jahrzehnte Turnerinnen sexuell missbraucht, auch auf der berühmten Trainingsranch der Karolyis in Texas. 2018 machte Biles öffentlich, dass auch sie ein Missbrauchsopfer von Nassar ist, und fand danach mehrfach deutliche Worte für den US-Verband, der Nassars Tun offenbar jahrelang gedeckt hatte. „Wir haben alles für euch gegeben, und ihr hattet einen verdammten Job, nämlich den, uns zu schützen, und das habt ihr nicht getan,“ sagte sie bei den US-Meisterschaften 2019.

Als Biles twitterte, sie könne sich nicht vorstellen, je wieder auf die Ranch der Karolyis zurückzukehren, wurde kurz darauf beschlossen, diese definitiv zu schließen. Dann die Olympischen Spiele 2021, bei denen wiederum alles danach aussah, dass Biles das Gesicht der Spiele werden würde.

Der Druck war enorm und brachte ihr sonst so außergewöhnliches Orientierungsvermögen im Raum durcheinander. Nachdem sie im olympischen Teamfinale am ersten Gerät komplett die Orientierung verloren hatte, brach sie den Wettkampf ab. Ihre mentale Gesundheit habe Vorrang, erklärte ­Biles und brachte damit noch während der Spiele eine grundsätzliche Debatte in Gang.

Biles hat in diesem Frühjahr geheiratet, und kaum jemand hatte an ein erneutes Comeback geglaubt. Auf die Frage, warum sie das tue, antwortete sie: „Das frage ich mich auch jeden Tag“, und berichtete, das Team und die Arbeit seien jetzt „ganz anders als früher“. Jetzt also Olympia 2024? ­Biles verweigert noch eine Antwort: Sie habe schon „persönliche Ziele“, aber nicht die Absicht, diese bekanntzugeben. „Lasst mich einfach ein wenig in Frieden“, forderte sie die Journalisten auf. Simone Biles ist in Antwerpen alles zuzutrauen, in vielerlei Hinsicht.

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