Kreuzberger Institutionen: Eingerichtet in der Zwischenmiete

Weil die Mietverträge ausliefen, ziehen NGBK und Werkbund-Archiv von Kreuzberg nach Mitte. Allerdings sind die neuen Räume auch nicht dauerhaft.

Blick aus den neuen, leeren Ausstellungsräumen auf die Karl-Liebknechtstraße und die Marienkirche und Alexanderplatz in Berlin

Erstmal eine Lösung auf Zeit: Neue Räume für die ngbk in Mitte Foto: Thomas Bruns

BERLIN taz | Kreuzberg ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Insbesondere die Gegend des alten Postzustellbezirks SO 36 zwischen Kottbusser und Schlesischem Tor verliert ihren einstigen Nimbus als Epizentrum der Berliner Sub‑, Gegen‑ und Alternativkultur aus Mauerzeiten. Und in Zukunft wird davon wohl wenig mehr als Erinnerung bleiben. Denn inzwischen ist dieses nordöstliche Kreuzberg eine zentrale Innenstadtlage geworden. Die günstigen Mieten sind Vergangenheit. Das betrifft besonders die Gewerberäume.

Nun hat die voranschreitende Gentrifizierung zwei Institutionen erwischt, die sich im (ehemaligen) Kreuzberger Milieu in der Oranienstraße 25 eigentlich recht wohl gefühlt hatten. Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (kurz: NGBK) und das Werkbundarchiv – Museum der Dinge. Beide sind eigentlich Vereine, beide begreifen sich als Institutionen mit kulturellen Auftrag, beide werden vom Land Berlin daher gefördert.

Nur den Hauseigentümer scheint die kulturelle Sendung seiner Mieter in der Oranienstraße nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Der Immobilienfonds Victoria Immo Properties ließ die jeweiligen Mietverträge beider Vereine auslaufen. Was die Briefkastenfirma mit Sitz in Luxemburg mit ihrem Gebäude plant, ist unklar. Die Gewerbemieten der beiden Vereine für ihre Räume waren aber längst nicht mehr auf dem Niveau, das die Immobilienbranche heute als normal erachtet. Beide Vereine bekamen nicht einmal ein Angebot für neue Mietverträge, wohl ahnend, dass sich diese eine Vervielfachung der Mieten nicht würden leisten können.

Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge ist noch bis 5. November in der Oranienstraße 25 geöffnet. Nächstes Jahr im Mai wird es dann am neuen Standort in der Leipziger Straße 54 wiedereröffnen. In Mitte also, wo die NGBK inzwischen bereits ein neues Zuhause an der Karl-Liebknecht-Straße 11/13 gefunden hat. Die neuen Räumlichkeiten eröffneten pünktlich zur Art Week am 13. September mit der Ausstellung „House of Kal“, was die NGBK selbst als „lebendiges Archiv antikolonialer und queerer Methoden gemeinschaftlicher Kunstproduktion“ beschreibt.

Mitglieder schlagen Themen vor

Die Ausstellung ist ein ziemlich typischer Fall, wie in der NGBK gearbeitet wird – nämlich basisdemokratisch: Die Vereinsmitglieder machen Themenvorschläge, die von der Hauptversammlung zur Realisierung abgestimmt werden, Arbeitsgruppen bilden sich und erarbeiten dann Ausstellungen in Eigenregie. Das hat Vor‑ und Nachteile. Die aktuelle Schau über das Wasser, das globalisierte Migrationsströmen trennt aber auch verbinden könnte, ist thematisch leider ziemlich selbstbezogen, ästhetisch wenig einladend, strotzt aber dafür von ideologischen Schlagworten.

Ja, die 1969 gegründete NGBK begreift sich als links, ist es bis heute geblieben, auch wenn kein Vorstand und keine Geschäftsführung über Themen und Inhalte der Vereinsarbeit bestimmen. Wo die Geschäftsführung aktuell die Fäden in der Hand halten musste, war die Organisation des Umzugs. Der Kontakt zur landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin‑Mitte mbH (WBM) als neuem Vermieter spielt dabei eine zentrale Rolle. Denn eigentlich hatten sowohl die NGBK als auch das Werkbundarchiv ohnehin zugestimmt, ihren Standort in Kreuzberg zu verlassen, um an die Karl-Marx-Allee zu ziehen.

Der Senat plant hier zwischen Alexanderplatz und Strausberger Platz eine Ergänzung der bestehenden Bebauung mit neuen Pavillonbauten, um das Wohngebiet mit Räumlichkeiten für die Kreativ‑ und Start-up-Szene zu bereichern. Die halbdutzend dafür zu errichtenden t‑förmigen Pavillons waren in der ursprünglichen Planung aus den 1960er Jahren vorgesehen, aber nicht realisiert worden. Die WBM wollte die Idee eigentlich bis Mitte der 2020er-Jahre umsetzen. Wegen Corona, des Kriegs gegen die Ukraine und Inflation kommt auch dieses Bauprojekt nicht planmäßig voran.

Die NGBK kann also ihr neues Domizil nur als Zwischenlösung begreifen. Der Vertrag läuft zunächst für 10 Jahre. Das hatte Konsequenzen für Umbau, Ertüchtigung und Einrichtung der Räume, die zuvor eine McDonald’s-Filiale beherbergten. Aus einem Wettbewerb mit einer Handvoll von eingeladenen Architekten für die Gestaltung der neuen NGBK-Räume ging das Berliner Büro Hütten und Paläste als Gewinner hervor.

Architektur und Städtebau heute

Und eingedenk der temporären Zwischennutzung wie der Arbeitsweise des Vereins stand deren Konzept unter dem Motto „Veränderbarkeit“, wie es Frank Schönert, Co-Gründer von Hütten und Paläste Mitte September anlässlich einer von der Architekturzeitschrift ARCH+ veranstalteten Podiumsdiskussion in der NGBK gegenüber der taz formulierte. Und das Konzept ist selbst programmatisch – nicht nur für Arbeit und Ausrichtung eines sich als progressiv begreifenden Kunstvereins, sondern vielleicht sogar für die Auffassung von Architektur und Städtebau in aktueller, krisengeschüttelter Gegenwart.

Flexibilität, Nachhaltigkeit, Sparsamkeit und Minimalismus prägen die Gestaltung der neuen NGBK-Räume. Auf den ersten Blick sieht das Innere des Vereins im ersten Stock am östlichen Ende des Gebäuderiegels daher so aus, als wäre es noch nicht fertig: Da gibt es einen flickenartigen Bodenbelag aus neuen und alten Materialien, offen gelassene Decken mit Versorgungsinstallationen unter altem Beton, unverputzte Wände mit Relikten der McDonald’s-Nutzung und sogar DDR-Tapetenreste in den neu eingebauten Büros zwischen verglasten Rohholzwänden.

Unverputzte Wände mit Relikten der McDonald’s-Nutzung und sogar DDR-Tapetenreste

Aber das Provisorische und vermeintlich Unfertige hat Methode. Statt fertige Antworten zu geben, scheint die Gestaltung zu sagen: Wir richten uns ein im Transitorischen. Denn vieles – ob beim Bauen, ob beim Arbeiten, ob beim Ausstellen – muss heute schon aus ökologischen Gründen anders werden. Der multifunktionale DDR-Stahlskelettbau für die sozialistische Hauptstadt der DDR bot überraschenderweise viel Gestaltungspotenzial, so dass die Umbau-Architekten ein neues, in Zonen aufgeteiltes Raumkonzept realisieren konnten. Zur Straße mit den großen Schaufenstern liegen nun Arbeitsgruppen‑ und Veranstaltungsräume, dahinter in der Mitte Ausstellungsflächen, und nach hinten Büros.

Heiß umkämpfte Mitte

Programmatisch ist übrigens auch die von der NGBK beauftragte „Kunst am Bau“ von Folke Köbberling. Statt der üblichen Logos im Leuchtkastenformat hat die Künstlerin und Professorin für architekturbezogene Kunst an der Technischen Universität Braunschweig wollbezogene Nistplätze für aus Holz angebracht. Ein – allerdings leicht zu übersehendes – Statement zum fürsorglichen Zusammenleben aller Spezies auch im urbanen Raum.

Annette Maechtel, Geschäftsführerin des NGBK, ist jedenfalls „glücklich über den spezifischen Standort“ „ihrer“ NGBK. Denn hier – mit Blick auf die neuerlich baulich wie ideologisch wieder heiß umkämpfte Berliner Mitte zwischen Fernsehturmgelände, Molkenmarkt und Humboldt Forum – scheint die NGBK mit ihrem linken, am basisdemokratischen Modell orientierten Standpunkt derzeit dringend nötig zu sein.

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