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Aiwanger im InterviewFragen ohne Antworten

Der bayerische Minister Aiwanger äußert sich in einem Interview zur Flugblatt-Affäre. Nicht alles, was er sagt, kann veröffentlicht werden.

Man wird ja auch mal nix sagen dürfen. Hubert Aiwanger auf dem Weg zu einer Pressekonferenz Foto: Peter Kneffel/dpa

Die Augsburger Allgemeine (AA) veröffentlicht am 14.9. ein Interview mit dem bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Vier Fragen bleiben ohne Antwort stehen, weil der Interviewte seine Aussagen nach dem Gespräch zurückzieht.

Auf Anfrage der taz, ob Aiwanger die Streichungen bestimmter Antworten begründet habe und wie die Reaktionen auf die Veröffentlichung der unbeantworteten Fragen ausgefallen seien, wollten sich die Redaktion der AA nicht äußern.

Hubert Aiwanger (Freie Wähler) steht seit Wochen in der Kritik, nachdem die Süddeutsche Zeitung (SZ) über ein antisemitisches Flugblatt aus seiner Jugend berichtet hatte. Zwar ist unklar, inwiefern Aiwanger darin verwickelt ist, doch sein Umgang mit der Affäre sorgte für Aufregung.

In dem Interview mit der AA spricht Aiwanger über die Berichterstattung rund um den Vorfall.

„Eigentlich wollte Hubert Aiwanger über die Flugblatt-Affäre gar nicht mehr reden“, erläutern die Interviewer Christoph Frey und Holger Sabinsky-Wolf. Aiwanger tut es dann doch und wirft der SZ vor, schon „deutlich länger an der Geschichte dran“ zu sein als bisher behauptet. Schon 2008 habe die Zeitung bei seiner Schule nach Unterlagen von ihm angefragt.

Außerdem wirft er der SZ vor, „eine von der Sachlichkeit abgekoppelte reißerische Verdachtsberichterstattung mit Falschbehauptungen“ zu betreiben.

Es widerspricht journalistischen Grundsätzen

Manche Antworten, die der bayrischen Wirtschaftsminister den interviewenden Journalisten gibt, bleiben aber den Le­se­r:in­nen vorenthalten. Denn Aiwanger wollte laut AA kurz vor Veröffentlichung vier Fragen und Antworten vollständig streichen lassen. Die AA veröffentlichte die Antworten nicht, aber die Fragen:

„Sie haben mehrfach gesagt, an vieles erinnern Sie sich nicht mehr so genau. Und Sie haben gesagt, Zitat: „Der Vorfall war ein einschneidendes Erlebnis für mich, hat wirklich wichtige gedankliche Prozesse angestoßen.“ Können Sie noch mal erklären, welche gedankliche Prozesse er bei Ihnen angestoßen hat in der Jugend?

Was uns überrascht hat, ist, dass Sie sich an so viele Dinge nicht mehr erinnern können, wo es doch ein so einschneidendes Erlebnis war in Ihrer Jugend. Wenn sich so ein Schuldirektor vor einem aufbaut zur Standpauke, das weiß man doch noch.

Ab wann haben Sie denn gewusst, dass Ihr Bruder dieses Flugblatt verfasst hat?

Wollen Sie, falls die Koalition mit der CSU bei den Wahlen bestätigt wird, stellvertretender Ministerpräsident bleiben?

In einer unter dem Interview veröffentlichten Rubrik „In eigener Sache“ informiert die AA darüber, dass die Zeitung ihren Gesprächspartnern Interviews zur Autorisierung der Antworten vorlegt. „Nach journalistischen Grundsätzen nicht zu akzeptieren ist allerdings, dass unsere Gesprächspartner Fragen streichen, die in dem Interview gestellt und beantwortet wurden“, schreibt die AA. Deshalb habe man sich innerhalb der Redaktion dafür entschieden, die gestrichenen Fragen trotzdem zu veröffentlichen.

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12 Kommentare

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  • Balzac verzeihe mir, wenn ich ihn in dieser schmutzigen Angelegenheit bemühen muss... „Man lebt zweimal: das erste Mal in der Wirklichkeit, das zweite Mal in der Erinnerung.“ (Honoré de Balzac)...aber wie soll nun man nun in der Erinnerung leben, wenn man auf die Frage 23, des von Söder vorgelegten Fragenkatalogs, wie folgt antwortet...

    "Welche Konsequenzen haben Sie damals aus der Angelegenheit für sich persönlich gezogen?"Antwort: "Der Vorfall war ein einschneidendes Erlebnis für mich. Er hat wichtige gedankliche Prozesse angestoßen."

    Der Herr hat also keine Ahnung von nichts, weiß aber noch ganz genau, dass die Affäre, an die er sich kaum erinnert, "wichtige gedankliche Prozesse angestoßen" hat. Wenn er aber sich an nichts so richtig erinnern kann, was diese "Flugblattjugendsünde" angeht, dann lb. Herr Balzac...wie soll er dann in der Erinnerung leben können? Nun, ich gestehe Ihnen gerne zu, dass Sie natürlich nicht mit einem Herrn Aiwanger - zu Ihrer Zeit - rechnen konnten. Mir schwant etwas Gruseliges...die Wirklichkeit des Herrn Aiwangers ist 35 Jahre alt!

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Struppo:

      Die wichtigen gedanklichen Prozesse könnten darin bestanden haben, sich auf mögliche Folgen, die das erste Leben im zweite Leben nach sich ziehen könnte, rechtzeitig gezielt vorzubereiten. Es ist ihm die Kontinuität der beiden Leben offenbar geworden. Ob er dazu Herrn Balzac gelesen hat …? ;-)

  • "Vier Fragen bleiben ohne Antwort stehen, weil der Interviewte seine Aussagen nach dem Gespräch zurückzieht."

    Vorzensur sichtbar machen - das ist ungewöhnlich für Deutschland, es ist ballz of steel, und/oder es erfordert gute Anwälte.

    Normalerweise werden nämlich die Fragen direkt mitzensiert.

    (Und ja, DAS ist ZENSUR. Vorzensur. Die, die "eigentlich" verboten ist. Aber ohne die sich krumme Hunde wie Aiwanger niemals auf Interviews einlassen würden.

    Sein Gewäsch nicht als Onlinekommentar veröffentlich zu kriegen, ist hingegen editoriales Hausrecht; geht halt zur jungen Freiheit, wenns euch hier nicht gefällt...

    Just sayin'.)

  • Von einer erfolgreichen Berliner Kommunikationstrainerin, die auch "Vorstände in Not" berät, hab ich gehört, dass die Taktik gut wäre, in Stresssituationen keine Interviews live zu geben und es anschließend safe wäre, das Interview zu autorisieren. Aiwanger hält sich offensichtlich daran, sich nicht mehr aus der Deckung locken zu lassen, selbst nicht im abgemilderten Modus von bekannten Fragenkatalogen. Dem Meister der spontanen wortgewaltigen Bierzeltrede ist das Pflaster des ausgefeilt fragenden Journalismus vielleicht doch horribles Terrain. Justiziable oder schädliche Fakten sind vielleicht verständlicherweise aus seiner Sicht Privatsache, obwohl er eine öffentliche Person ist.

  • Hatte schon gedacht, warum kommt Nichts mehr in Sachen Aiwanger. Welche Erkenntnisse in dem Artikel sind jetzt neu ?

    • @Filou:

      "Welche Erkenntnisse in dem Artikel sind jetzt neu ?"

      Nicht die, die gedruckt werden durften.

      Was die anderen angeht: die sind vielleicht neu - aber sie sind leider zensiert.

      Und nur weil die Augsburger Allgemeine von der üblichen deutschen Praxis abweicht, konnte überhaupt *irgendjemand* außerhalb der Redaktion erfahren, dass es diese zensierten Antworten *gibt*.

  • Aiwanger hin - Aiwanger her. Das Eingreifen in den Wahlkampf so knapp vor der Wahl sollten Medien möglichst unterlassen. Schon die SZ konnte bisher den von manchen politischen Beobachtern geäußerten Verdacht der versuchten Wahlbeeinflussung nicht komplett entkräften. Sollte Aiwanger als sichtbarer Kopf der Freien Wähler verunmöglicht werden ? Sollte Söder so gezwungen werden, doch noch mit den Grünen koalieren zu müssen. Wir wissen es nicht. Doch was war letztendlich das Ergebnis des SZ-Berichtes ? Solidarisierungseffekte in der Bevölkerung. Die Zustimmung zu den Freien Wählern liegt derzeit in Bayern bei 17 %. War das so gewünscht ? Eher nein. Ohne die ‚Affäre‘ lägen die FW weiterhin bei etwa 10 %.

    • @Nikolai Nikitin:

      Nein, es ist in der Sache überhaupt nicht relevant, ob mittels einer SZ-„Kampagne“ Aiwanger zu Fall gebracht, die Umfragewerte der FW nach oben gepusht bzw. nach unten gedrückt werden, ob Söder gezwungen werden soll, mit den Grünen zu koalieren etc.



      Hier geht es immer noch um Antisemitismus, Rassismus, Extremismus der Mitte, rohe Bürgerlichkeit und wie sich unsere Gesellschaft dazu verhält. Eine „kleine Wurst“ namens Aiwanger ist dabei letztlich vollkommen irrelevant.



      Und wenn die Medien die „Bombe“ am bayerischen Wahltag platzen lassen … recht so. Der Demokratie und dem Diskurs täte das nur gut.



      Bitte am Ball bleiben, SZ!

      • @Abdurchdiemitte:

        Und wenn die Medien die „Bombe“ am bayerischen Wahltag platzen lassen … recht so. Der Demokratie und dem Diskurs täte das nur gut.

        Ja, was hilft es denn dann, wenn Medien die "Bombe platzen lassen", die Explosion aber nicht den trifft, dem sie gelten sollte, sondern dazu führt, dass sich die Menschen mit dem Beschuldigten solidarisieren.

    • @Nikolai Nikitin:

      Woher wollen Sie wissen, was welchen Effekt hat? Wir haben sehr viele Medienakteure mit unterschiedlichen Interessen. BILD, Welt, Focus, NZZ & CO. fahren rechte Kampagnen, Andere verfolgen andere Interessen. In Summe ist es weißes Rauschen mit punktuellen Verstärkungen. Da kann man sich einfach hinter Bild und Namen russischer Intellektueller verstecken und hinterher alles schon vorher gewusst haben...

      • @CarlaPhilippa:

        Russischer Intellektueller ?

      • @CarlaPhilippa:

        Im Kern frage ich mich, ob es der SZ bewusst war, dass sie mit ihrer Veröffentlichung nicht das Gegenteil von dem erreicht hat, was sie eigentlich wollte. Im Endeffekt ist sie dafür mitverantwortlich, dass die FW nun in der Wählergunst bei 17 statt 10 % liegen.