piwik no script img

Finanzkrise vor 15 Jahren„Die Lehren wurden wieder vergessen“

2008 implodierte die US-Bank Lehman Brothers. Es folgten Schockwellen in der Welt. Experte Gerhard Schick warnt: Die Finanzmärkte sind labil wie damals.

Kann sich ein Chaos auf den Finanzmärkten wie 2008 heute wiederholen? Trader in New York Foto: Seth Wenig/ap/picture alliance
Simon Poelchau
Interview von Simon Poelchau

taz: Herr Schick, haben Sie als Finanzexperte derzeit Angst um Ihr Geld?

Gerhard Schick: Nein.

Ihre Initiative Finanzwende warnt aber anlässlich der sich am Freitag zum 15. Mal jährenden Pleite der US-Bank Lehman Brothers, dass das Bankensystem derzeit genauso instabil sei wie zur Zeit der Finanzkrise.

finanzwende ev
Im Interview: Gerhard Schick

Gerhard Schick ist Vorstand der Initiative Finanzwende, die sich für faire, stabile und nachhaltige Finanzmärkte einsetzt. Bevor Schick die NGO gründete, saß er für die Grünen im Bundestag.

Das ist richtig. Es gibt zwar keine unmittelbare Gefahr für die einzelnen Bank-Kund*innen, ihr Geld zu verlieren. Aber es besteht das Risiko, dass es erneut kräftig wackelt an den Finanzmärkten. Das bedeutet vielleicht nicht, dass das Geld auf dem Konto weg ist. Aber wenn die Finanzkrise auf die Realwirtschaft umschlägt, kann schnell der Arbeitsplatz in Gefahr geraten. Schließlich ging auch die letzte Finanzkrise mit massiven Konjunktureinbrüchen und Folgen für die Menschen einher. Und insofern ist es erschreckend, wie schnell die Erinnerung an die Finanzkrise 2007/2008 verblasst ist. Denn seitdem gab es immer wieder kleinere und größere Turbulenzen.

Stehen nach der Coronapandemie und den hohen Energiepreisen nicht gerade andere Krisen im Vordergrund?

Gerade in der Coronakrise hat sich gezeigt, wie anfällig das Finanzsystem ist. Die Notenbanken mussten am Anfang der Pandemie ein historisch einmaliges Programm zur Stabilisierung des Finanzsektors auflegen. Die Lehre daraus: Der heutige Finanzsektor puffert nicht Krisen ab, sondern verschärft sie.

Vor Kurzem musste die Credit Suisse gerettet werden, auch gab es Pleiten bei US-Lokalbanken. Aktuell ist es wieder etwas ruhiger geworden. Sind diese Baustellen behoben?

Genau das Beispiel der Rettung der Credit Suisse zeigt, dass die Lehren aus der Finanzkrise wieder vergessen wurden. Damals wurde gewarnt, dass die Banken zu groß geworden seien, dass sie too big too fail seien, zu groß, um sie pleite gehen zu lassen. Und jetzt wurde mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS eine Monsterbank geschaffen, die viel zu groß ist für die Schweiz. Es besteht das Risiko, dass das ganze Land ins Schlingern gerät, wenn diese Bank in Schieflage kommt.

Der Bankenstresstest der Europäischen Zentralbank im Juli hat ergeben, dass die europäischen Banken locker eine schwere dreijährige Rezession durchstehen könnten. Beruhigt Sie das nicht?

Niemand kann wissen, woher die nächste Krise kommt und wie sie aussieht. Der jüngste Zinsanstieg war zum Beispiel schneller und höher als das entsprechende Stresstest-Szenario der Bundesbank. Entscheidend ist: Die Banken sind weiterhin viel zu stark schuldenfinanziert. Das macht sie anfällig.

Ihre Organisation fordert für die Banken eine Eigenkapitalquote von 10 Prozent. Die Deutsche Bank weist eine Quote von knapp 14 Prozent aus, bei der Commerzbank liegt sie sogar noch etwas drüber. Eigentlich müssten Sie damit doch zufrieden sein?

Diese Zahlen sind eigentlich nur ein Marketinggag. In keiner anderen Branche berechnet man das so. Denn es sind die sogenannten risikogewichteten Eigenkapitalquoten. Das heißt, die Kredite und Wertpapiere, die dem Eigenkapital in der Bilanz gegenübergestellt werden, gehen in die Berechnung der Quote nicht voll ein, sondern nur insofern man glaubt, dass von ihnen ein Ausfallrisiko ausgeht. Die Folge ist, dass die so berechneten Eigenkapitalquoten mindestens dreimal so groß sind wie die tatsächlichen Quoten. Diese liegen eher bei 4 bis 5 Prozent und sind damit deutlich zu niedrig, damit die Banken im Falle von Krisen stabil bleiben. Die Banken müssten also eigentlich deutlich mehr eigenes Kapital in ihren Bilanzen haben.

Profitieren die Banken nicht von den steigenden Zinsen?

Sie profitieren davon, weil sie ihre Kun­d*in­nen nicht gut behandeln. Die steigenden Zinsen werden bei den Krediten weitaus schneller weitergegeben als bei den Sparguthaben. Und das ist auch nur eine Momentaufnahme. Der Finanzmarkt ist heute viel zu aufgebläht und ähnelt viel zu sehr dem Finanzmarkt, der 2008 gecrasht ist. Denn viele wichtige Maßnahmen, die damals gefordert wurden, sind nicht gekommen. Das Investmentbanking wurde nicht vom restlichen Bankensystem getrennt und auch die Finanztransaktionssteuer kam nicht, weil die Finanzlobby das alles ausgebremst hat.

Aber seit 2014 gibt es die europäische Bankenunion. Das müsste doch die Bankenwelt sicherer gemacht haben?

Das ist eine der wenigen Sachen, die gut gelaufen sind. Die nationalen Behörden konnten von den global agierenden Banken locker ausgespielt werden. Insofern ist die gemeinsame europäische Aufsicht ein Fortschritt. Gleichzeitig ist es aber zum Beispiel nicht gelungen, Geldmarktfonds richtig zu regulieren. Diese dürfen noch immer so tun, als ob sie so sicher seien wie eine Sparkasse.

Sie fordern auch die Begrenzung von Bonuszahlungen, weil diese vor allem kurzfristige Erfolge belohnen. Doch bei Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing machen den Großteil seiner Vergütungen Boni aus, die erst bei einem langfristigen Erfolg gezahlt werden. Haben die Banken da nicht gelernt?

Nicht die Banken haben gelernt, sondern der Gesetzgeber, indem er die Regeln für Vorstandsvergütungen änderte. Doch es gelang den Lobbyisten, eine große Lücke in die Regeln einzubauen. Aber machen wir es konkret: Die Credit Suisse hatte seit 2013 rund 3,2 Milliarden Franken Verlust gemacht und im selben Zeitraum 32 Milliarden Franken an Boni ausgezahlt. Wenn diese Gelder nicht ausgezahlt, sondern zur Stärkung des Eigenkapitals verwendet worden wären, hätte man die Bank vielleicht nicht retten müssen.

Sie fordern anlässlich des 15. Jahrestags der Lehman-Pleite eine Reihe von Maßnahmen. Was drängt am meisten?

Unsere Forderungen zielen darauf ab, dass das Finanzsystem wieder den Menschen dient. Der Finanzsektor greift auf Bereiche über, wo er nichts verloren hat. Fußball wird immer mehr von Finanzinvestoren bestimmt, Fi­nanz­in­ves­to­ren wollen 15 bis 20 Prozent Profit aus Pflegeheimen herausholen, auf dem Wohnungsmarkt treiben Anleger die Mieten hoch. Insofern geht es nicht um einzelne Maßnahmen, sondern darum, diese ausbeuterischen Geschäftspraktiken zu stoppen und sicherzustellen, dass der Finanzsektor Teil der Lösung wird und nicht Probleme verschärft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Dankeschön! Äußerst wichtiges Interview. "Vollgeld" wäre auch noch ein wichtiges Stichwort für Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsystems.

    • @Goldi:

      Erstmal verschwindet bei Vollgeld nur das Gegenparteirisiko für Girokontoeinlagen, was angesichts der Einlagensicherung vermutlich gar kein so großer Vorteil ist.

      Zudem verschiebt sich die Kontrolle der Geldmenge M1 vollständig zur Zentralbank. Ob das nun netto positiv ist, darf man bezweifeln.

      Das Hauptproblem von Fiatgeld ist doch, dass der Staat (via Zentralbank) nach Herzenslust neues drucken und es somit immer weiter entwerten kann. Daran ändert sich durch Vollgeld genau nichts.

      • @Trollator:

        "...was angesichts der Einlagensicherung vermutlich gar kein so großer Vorteil ist."

        Sehr steile These, ganz dünnes Eis!!!

        Die Einlagensicherung gilt nur für Beträge bis 100.000 Euro und was besonders frappierend ist:

        Die Antrag/ die Forderung muß innerhalb von 7 Tagen geltend gemacht werden!!!

        Weiß nur kaum jemand.

        Die Girokontoeinlagen sind im Falle einer Bankpleite ohne einen Umstieg auf Vollgeld so gut wie weg.

        Und die Umstellung auf Vollgeld ist ganz einfach möglich:

        www.vollgeld-initiative.ch/

        • @Goldi:

          Wer bitte hat denn mehr als 100000 Euro auf dem Girokonto? Das betrifft doch nur einen kleinen Bruchteil der Bevölkerung.

          Und meinen Verständnis nach wäre bei einem Vollgeld-System nur das Geld auf Girokonten durch Zentralbankgeld gedeckt. Für andere Kontenarten gäbe es nach wie vor ein Gegenparteirisiko.

  • Nuja, wenn (ein paar Beispiele unter vielen) der Chef der Deutschen Bank seinen Geburtstag im Kanzleramt feiert, diverse ehemalige führende Goldman-Sachs-Mitarbeiter in Trumps Kabinett waren, Mario Draghi (früher ebenfalls Goldman-Sachs) jahrelang in der EU eine führende Rolle hat, Malcolm Turnbull (ebenfalls ..) Premier von Asutralien wird, Romano Prodi (ebenfalls), Merz (Blackrock) etc. pp.

    Wir werden von Bankern regiert. Und die Krähen ...