Australische Rugby-Misere: An den Rand gedrängt

Dem zweifachen Weltmeister Australien droht nach der 6:40-Niederlage gegen Wales mehr als das WM-Aus. Es geht um die Existenz.

Australische Rugby-Nationalteam, aneinandergedrängt, in gebückter Haltung, von hinten fotografiert

Versteckspiel in der Krise? Im australischen Rugby sticht auch bei der WM niemand hervor Foto: Sarah Meyssonnier/reuters

Als die Rugby-Nationalmannschaft von Fidschi vor gut einer Woche dem großen Nachbarn aus Australien die erste Niederlage seit 69 Jahren beigebracht hatte, da schrieb der englische Guardian, dass es nicht darum ginge, dass die Männer von Down Under als großer Favorit eine Schmach erlitten hätten, sondern eher, ob sie in genau dieser Partie gegen einen Inselstaat mit lediglich knapp einer Million Einwohnern jemals wieder der Favorit sein werden.

Anlass für solche Polemik gibt es auch nach dem Spiel gegen Wales am Sonntag reichlich. Bis vor gut einer Woche hatte der zweifache Weltmeister (1991 und 1999) lediglich drei seiner 36 WM-Gruppenspielen verloren. In einer Partie, in der auch die Waliser nicht glänzten, wurden die Männer in Gold und Grün in der zweiten Halbzeit regelrecht zerquetscht.

Nach dem 6:40, welches die höchste Niederlage der Wallabies bei einer WM überhaupt war, erklärte der langjährige australische Nationalspieler David Campese, der beim Titelgewinn 1991 zum besten Spieler des Turniers gewählt worden war: „Das ist der Tiefpunkt der Wallabies. Ich habe dies schon seit Jahren vorhergesagt, nachdem ich den Mangel an Rugby-IQ im Jugend- und im Breitenrugby in Australien gesehen habe.“

Für die Mannschaft von Trainer Eddie Jones ist das erste Ausscheiden in der Vorrunde bei einer WM (seit 1987) überhaupt damit so gut wie besiegelt. Nur wenn Fidschi gegen Georgien und Portugal noch Federn lässt, ist ein Weiterkommen noch möglich. Wahrscheinlich ist das nicht.

Zerfall seit zehn Jahren

Ein Wunder wäre das frühe Turnier-Aus der Australier nicht. Seit zehn Jahren schon malen Experten ein düsteres Bild des Rugby Union in Down Under. Die brutale Wahrheit ist, Rugby Union – also die bei der WM gespielten Variante mit 15 gegen 15 Spieler – ist in Australien zu einer Randsportart geworden und in einer gewaltigen Krise.

Geht man zurück, um das eine symbolhafte Ereignis des beginnenden Zerfalls zu ermitteln, kommt man zwangsläufig bei Jonny Wilkinsons Drop Goal im WM-Finale von 2003 im Telstra-Stadion von Sydney an. Bis dahin hatten die Wallabies zwei der vier stattgefundenen Weltmeisterschaft gewonnen und waren drauf und dran im eigenen Land den dritten Titel einzufahren. Doch obwohl dominierend, hatte sie Englands Posterboy Jonny Wilkinson in der Verlängerung mit einem Dropgoal besiegt und damit den bisher einzigen Weltmeisterschaftsgewinn für die nördliche Hemisphäre klargemacht.

Für die Australier begann damit eine, wie es der renommierte irische Rugby-Journalist Matt Williams in der Irish Times nannte, „apokalyptische Serie von Katastrophen“. Denn in den nächsten zwei Jahrzehnten wurden von einer abgehobenen Führungsschicht ebenjene zig Millionen verschwendet, die man dringend in die Nachwuchsarbeit hätte stecken müssen. Während die Nationalmannschaft im Rugby Union der Liebling der Nation blieben, erodierte die Basis im Rekordtempo.

Spieler spielen lieber woanders

Mittlerweile haben Rugby League, jene weitaus schnellere und spektakulärere Variante mit lediglich 13 Spielern und Australian Rules Football dem Rugby Union in Australien komplett den Rang abgelaufen. Sie florieren und knöpfen dem Rugby Union nicht nur die besten jungen Athleten, sondern auch das Medienpublikum und die Rundfunkgelder ab. Dies kann als eine durchaus existenzbedrohende Gefahr gesehen werden. Wie groß die ist, illustriert die Tatsache, dass es zwischen Melbourne und Perth zwar 16 professionelle Rugby League-Vereine gibt, aber nur vier Profimannschaften im Rugby Union.

Es ist bereits so, dass viele australische Spieler lieber in den Profiligen in Frankreich, Großbritannien und Japan spielen. Mittlerweile entscheiden sich gar gebürtige Australier für andere Nationalteams. Bestes Beispiel ist der in Canberra aufgewachsene Mack Hansen, der am Samstag Irlands einzigen Versuch gegen Südafrika erzielte.

Die nächste WM findet in Australien statt. Sollte der Gastgeber wieder kein wettbewerbsfähiges Team aufbieten, könnte das dem Union Rugby dort endgültig das Licht ausblasen.

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