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Klimaziele ins GrundgesetzHilft die Klimabremse?

Gastkommentar von Gert G. Wagner

Sollten klimapolitische Ziele ins Grundgesetz? Und ist es überhaupt wirksam, wenn der Politik kurzfristiger Entscheidungsspielraum genommen wird?

Wie wirksam wäre es, den dringend geforderten Klimaschutz ins Grundgesetz aufzunehmen? Foto: Stefan Boness

I n Berlin wird zurzeit eine Art „Schuldenbremse fürs Klima“ diskutiert. Die Idee ist, analog zur Schuldenbremse, Klimaschutz nicht nur explizit ins Grundgesetz zu schreiben, sondern auch konkrete zahlenmäßige Zielvorgaben zu machen. Klingt im ersten Moment nicht schlecht. Aber ist es wirklich eine gute Idee?

diw
GERT G. WAGNER

ist Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler in Berlin und Mitglied im Sozialbeirat der Bundesregierung. Bis Ende 2022 war er auch Mitglied im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV).

Es ist sicher zutreffend, dass es der Politik weltweit schwerfällt, den Klimawandel zu bekämpfen – nicht zuletzt, weil die Erfolge erst in der Zukunft liegen, aber die Kosten jetzt anfallen. Wir neigen deshalb dazu, klimapolitische Aktionen, die wehtun (wie etwa die Umstellung der Heizungen auf erneuerbare Energieträger), möglichst lange aufzuschieben. Und umstrittene Regeln können selbst dann, wenn sie zu Gesetzen geworden sind, von einem künftigen Gesetzgeber mit einfacher Mehrheit rückgängig gemacht werden.

Deshalb gibt es gesetzliche Regelungen in Verfassungen, die nur mit größeren Mehrheiten geändert werden können – im Falle des Grundgesetzes einer Zweidrittelmehrheit. Um die Neigung der Politik zum Schuldenmachen zu begrenzen, wurde als eine Art Selbstschutz die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert, die eine statistisch quantifizierte, niedrig angesetzte Vorgabe für die Obergrenzen der Verschuldung von Bund und Ländern macht. Die Idee ist nun, auch Zielwerte für die Klimapolitik ins Grundgesetz zu schreiben – als schwer änderbare Selbstbindung der Politik.

Es stellen sich etliche Fragen. So die, welche klimapolitischen Zielwerte gewählt werden sollten? Offensichtlich würde es nicht ausreichen, Zielwerte für das Klima selbst ins Grundgesetz zu schreiben. Etwa in der Art: „Alle Politik muss daran ausgerichtet sein, dass die Erderwärmung bis 2050 maximal nur x Prozent erreichen darf.“ Damit wäre keine konkrete Politik festgeschrieben. Das Grundsatzproblem ist, dass der Staat klimaschädliches Verhalten nicht einfach unterlassen kann, so wie er – wenn er will – seine Schuldenaufnahme begrenzen kann. Man müsste also klimapolitische Instrumente festschreiben, deren Wirkung meist ungewiss ist.

Wirksame Klimapolitik ist unklar

Welche Instrumente sind denkbar? Die angestrebte Zahl von Windkrafträdern zu benennen? Oder einen Preis(pfad) für CO2-Ausstoß? Aber damit wäre nicht gesagt, dass nicht weiterhin zuviel CO2 produziert würde – nicht zuletzt, weil man den Preis im Grundgesetz zu niedrig angesetzt hat.

Wirksame Klimapolitik zu machen, ist objektiv schwierig – nicht zuletzt deshalb, weil man die Klimawirkungen heutiger Politik erst in der Zukunft beobachten kann. Aufschlussreich ist, dass selbst die „Letzte Generation“ offen zugibt, dass sie nicht weiß, welche konkreten Politikmaßnahmen sinnvoll sind. Die Klimaaktivisten fordern einen „Gesellschaftsrat“, der „die nötigen Schritte“ zur Beantwortung der Frage „Wie beendet Deutschland bis 2030 die Nutzung fossiler Rohstoffe auf sozial gerechte Weise?“ erarbeitet.

Diese Frage macht nicht nur deutlich, dass wirksame Klimapolitik nicht nur nicht eindeutig definiert ist, sondern dass sie zudem, wie jede Politik, auch Nebenwirkungen berücksichtigen und einen Interessenausgleich finden muss. Sollten also auch Maßnahmen des sozialen Ausgleichs, etwa ein Klimageld und dessen konkrete Höhe, ins Grundgesetz geschrieben werden?

Ausnahmesituationen schützen Klima-Instrumente nicht

Da die Wirkungen von Instrumenten andere sein können als ursprünglich erhofft und Interessen sich ändern können, ist es grundsätzlich fragwürdig, ob man konkrete Instrumente in eine Verfassung schreiben sollte. Das kann man an der konkreten Ausgestaltung der Schuldenbremse gut erkennen: Diese gilt, sinnvollerweise, nicht unter allen Umständen, sondern kann in Ausnahmesituationen wie bei Naturkatastrophen und schweren Konjunkturproblemen ausgesetzt werden. Aufgrund der Coronapandemie geschah dies auch.

Da gesetzliche Regeln, die ein politisches Ziel priorisieren, nicht dafür sorgen, dass konkurrierende politische Ziele plötzlich keine Rolle mehr spielen, ist es nahezu unvermeidlich, dass quantifizierte Ziele immer mal wieder umgangen werden (müssen). Das kann man bei der Zunahme von Schattenhaushalten („Sondervermögen“) für die Schuldenbremse gut beobachten – die Aufstockung des Wehretats um 100 Milliarden ist das beste Beispiel. Grundsätzlich kann man dem Gesetzgeber kaum verbieten, Ausnahmesituationen feststellen zu können, in denen klimapolitische Instrumente vorübergehend ausgesetzt werden.

Es könnte sein, dass eine Klima-Schuldenbremse Atomkraft wieder attraktiv macht und große Staudämme

Es gilt: „Vom Wiegen wird die Sau nicht fett“, – sie muss geeignet gefüttert werden. Die alte Bauernweisheit zeigt zudem, dass vom Wiegen sogar eine Gefahr ausgehen kann, denn es stellt einen Anreiz dar, das Gewicht von Schweinefleisch, das über die Theke geht, durch Wassereinlagerungen zu erhöhen, was heutzutage durch Medikamente einfach machbar ist.

Unerwünschte Nebenfolgen sind real

Einzelne Instrumente gesetzlich zu priorisieren und andere zu vernachlässigen ist immer gefährlich, und kann unerwünschte Nebenfolgen haben. In der Wissenschaft ist dies als „Goodhart’s Law“ bekannt. Konkret könnte das bedeuten, dass eine Klima-Schuldenbremse plötzlich wieder Atomkraft attraktiv macht und große Staudämme, die Kulturlandschaften verschlingen.

Das Problem der Verstetigung von Klimapolitik, die kurzfristig wehtut, mit sehr unterschiedlich starken Schmerzen für verschiedene soziale Gruppen, ist real. Insofern ist die Frage nach einer dauerhaften Regelbindung für Klimapolitik durchaus berechtigt. Aber eine vernünftige Antwort zu finden, ist extrem schwer, denn letztlich geht es darum, der Klimapolitik in einer Welt mit vielen großen Problemen und konkurrierenden Zielen jederzeit ausreichend hohe Priorität zu gewährleisten.

Mehr tun als das Bundesverfassungsgericht, das der Klimapolitik verfassungsrechtlichen Rang einräumt, kann man wahrscheinlich nicht. Es gilt immer wieder, die Mehrheit der Menschen davon zu überzeugen, nicht zuletzt durch hinreichenden sozialen Ausgleich, dass hier und heute effektive Klimapolitik notwendig ist.

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3 Kommentare

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  • "Sollten klimapolitische Ziele ins Grundgesetz?"

    Öhm....

    "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung."

    Das ist alles, was wir im Grundgesetz brauchen.



    Und es wird ja schon jetzt nicht eingehalten.

    Stattdessen werden die, die mit gewaltfreiem passivem Widerstand auf diesen fortdauernden Verfasssungsbruch aufmerksam machen wollen, von der Union mit "Vorbeugegewahrsam" wie in Putins Faschistendiktatur verfolgt.

  • "Es gilt immer wieder, die Mehrheit der Menschen davon zu überzeugen, nicht zuletzt durch hinreichenden sozialen Ausgleich, dass hier und heute effektive Klimapolitik notwendig ist."

    Wohl wahr. Dazu muss man allerdings gegen massives Abwehrdenken, gegen immer wieder kursierende Verniedlichungs- und / oder Aufhetzformeln verschiedener Politiker, gegen mächtige Interessengruppen mit Einfluss und geschickter PR und - vor allem - gegen die Bequemlichkeit angehen. Im Kleinen wie im Großen.

    Ich kann es nicht fassen, dass der Schutz unserer Lebensgrundlagen noch immer zugunsten wirtschaftlicher Erwägungen hintenan gestellt wird. Das sind die Grundvoraussetzungen für alles, - auch für die Wirtschaft.

    Und sieht man sich an, wie längst bestehende Gesetze zu Umwelt- und Klimaschutz ausgehöhlt und umgangen werden, kann man das Papier für neue sparen.

  • Danke für diesen fundierten Kommentar!



    Den Aufbau eines bürgerlichen Gesellschaftsrats halte ich für nicht zielführend.



    Wer wissen will, was bei solchen "Räten" herauskommt, kann sich mal die öffentlichen Sitzungen in den Kommunen anschauen.



    Überwiegend Nicht- Fachleute machen hier Millionenentscheidungen.



    Das oft unangebrachte Selbstbewusstsein der AkteurInnen wird von Fachleuten in der Verwaltung flankiert. Das ist durch den Kompetenzunterschied schwierig, insbesondere wenn die ehrenamtlichen PolitikerInnen anderer Meinung als die Fachleute sind.



    Ein Gesellschaftsrat wäre hier ähnlich gelagert.



    Darum herum müsste ein beratendes Gremium angesiedelt werden und Kompetenzen, z.B. wer welche Entscheidungen fällt, geklärt werden.



    Es entsteht also eine Parallelverwaltung.



    Was soll daran besser sein?



    Wer bestimmt, wer hier wen vertritt?



    Was, wenn sich die Bürger gegen Umweltschutz entscheiden?



    Was wenn Rechte die "Vertretung" kapern?



    Was, wenn sich Leute bestechen lassen?



    Hat der, der sich am meisten Zeit leisten kann immer Recht?



    Vielen dieser Probleme hat unsere Demokratie Lösungen entgegen gestellt. Das ganze nochmals aufzubauen halte ich für vertane Liebesmüh.