piwik no script img

Was macht die Kunst im Wald?

Es geht auch ohne Beton-Umgebung: Der niedersächsische Springhornhof ist ein vielfältiger Kunstraum fern der Großstadt

Aus Neuenkirchen Hajo Schiff

Zur Wolkenformation am Abendhimmel sagen beeindruckt die, die gerade aus der Stadt kommen: „Schön“. „Es wird regnen“, antwortet kritisch der Mann vom Bauernhof. Und die rundgepressten großen Strohballen auf der Wiese im Hintergrund sehen unter der Schutzfolie wie seltsam platzierte Kunstwerke aus. Es ist eben der Kontext, der aus Agrarflächen eine ästhetisch zu rezipierende Landschaft formt.

Doch wenn da Bäume verkehrt herum mit den Wurzeln nach oben stehen, mitten im Wald geschwungen gepflasterte Wege ohne erkennbaren Zweck ins Nichts führen und ein Stück Himmel blendend auf die Lichtung gefallen scheint, schleicht sich in das gewohnte Vorstellungsbild einige Irritation darüber ein, was im ländlichen Raum so alles möglich ist. Und diese Beispiele sind keine Tagträumereien, sondern reale Erlebnisse in der südlichen Lüneburger Heide: Rund um den Springhornhof in Neuenkirchen sind von fast 100 Arbeiten eines der ältesten und wichtigsten Landschaftskunstprojekte Europas noch über 40 erhalten.

Weder ein historischer Schlosspark noch ein weit­läufiges, aber eingezäuntes museales Areal mit Skulpturen ist zu entdecken – das Besondere im Heidekreis nahe dem niedersächsischen Soltau ist, dass die Kunst dort eine ganze Region erobert hat. Der Rundweg ­dazwischen hat eine Länge von über 35 Kilometern.

Das Projekt begann 1966: Wilhelm und Ruth Falazik gaben ihre Galerie in ­Bochum auf und zogen nach Neuenkirchen. Damals wurde Kunst weitgehend als autonomes Objekt oder bestenfalls im stadträumlichen Zusammenhang gedacht – 1973 prägt Volker Plagemann in Bremen den Begriff „Kunst im öffentlichen Raum“. Parallel zu der Entwicklung der aufwendigen Land Art in den Wüsten der USA begann das Galeristenpaar Projekte in den Wäldern und auf den ­Wiesen um das Dorf zu ini­tiieren.

In Symposien konnten Künstlerinnen und Künstler ihre ­Beziehung zur Landschaft ­ausformen, bauten mit Materialien aus der Natur oder pointierten Skulpturen auch gegen die spezifische Situation vor Ort. Wichtig war immer, nicht einfach fertige Objekte in die Landschaft zu stellen. Das wäre sowieso schwierig. Der ­idyllische Waldrand gehört jemandem, vielleicht sogar zweien, und wenn es schlimm kommt, streiten die seit Jahrzehnten über die genaue ­Abgrenzung.

So gab es von Anfang an den sozialen Aspekt: Alle künstlerischen Interventionen sind ohne Hilfe und Verständnis derer, denen die Ländereien gehören, sowie der politischen Gremien der Ortschaften, von Stammtisch, Feuerwehr und Forstverwaltung nicht möglich.

Das Galeristenpaar begann Projekte in den Wäldern und auf den ­Wiesen um das Dorf zu ini­tiieren

Auf Dauer war der notwendige Aufwand von einer privaten Galerie nicht zu leisten: Der Springhornhof wurde 1982 ein Kunstverein. Nach dem Tod der Gründerin Ruth Falazik im Jahr 1998 gelang es, mit einer Stiftung das Projekt „Kunst – Landschaft“ langfristig zu sichern. Es ist Mitglied im European Landart Network und so anerkannt, dass es sich auch Ironie leisten kann: Im Nachbarflecken Tewel hat das skandinavische Künstlerpaar Elmgreen & Dragset einen „Park für unerwünschte Skulpturen“ eingerichtet, eine Art Gnadenhof für anderswo abgeräumte Kunst.

Heute präsentiert sich der Springhornhof unter Direk­torin Bettina von Dziem­bows­ki auch als Ausstellungshaus ­aktueller Kunst mit Räumen in den ehemaligen Stallungen, mit Bibliothek und einem Shop in der Diele, der ein eigenes Projekt der KünstlerInnengruppe Myvillages ist: Als „Internationaler Dorfladen“ bietet er eigens gefertigte Produkte aus europäischen Regionen von Russland bis Spanien. Auf dem Heuboden finden Künstlergespräche, Kinderprogramme und Workshops statt. Im Obstgarten zeigt der ortsansässige Bildhauer Hawoli seine Skulpturen. Der ehemalige Hühnerstall ist ein Gastatelier und im historischen Treppenspeicher befindet sich das fiktive „Institut für Paläolithische Archäologie“ des ­amerikanischen Künstlers Mark Dion.

Gespiegelte Momente und redende Steine, Worte als Wegmarken und verblüffende Brücken, zu Objekten versteinerte Gedankenskizzen und verwunschene Gerätschaften begleiten den Jahreslauf der Landschaft. Immer öfter geht es dabei auch um strukturelle Problematiken des ländlichen Lebensraumes oder machtpolitische Aspekte der Lebensmittelökonomie. So liefert diese Kunst in der Heide poetische Momente und bewirkt trotz aller scheinbaren Idylle auch eine Angleichung von Stadt und Land.

Kunstverein & Stiftung ­Springhornhof, Tiefe Straße 4, 29643 Neuenkirchen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen