Die Kunst der Woche: Die Ohren der Mutter
Die Berlin Art Week war in diesem Jahr sehr performativ. Besonders unterhaltsam: Coco Fusco in den KW. Und das Atelierhaus Mengezeile feiert Jubiläum.
Unbound: Performance As Rupture“ heißt die neue Ausstellung der Julia Stoschek Foundation (JSF), passend zur Berlin Art Week (BAW), wo das Interesse an Performance größer ist als es sonst war. Etwa bei der Neuen Nationalgalerie, mit dem hübsch als Garten aufmöblierten Vorplatz ein Treffpunkt der Art Week.
Der Hausherr des Kunsttempels, Klaus Biesenbach, hatte mit seinem Team ein vielfältiges Programm auf die Beine gestellt, darunter der Launch der ersten Ausgabe des Kunstmagazins „One To(o) Many“, dessen Konzept es ist, seine Autoren und Fotografen auf ein einzelnes Kunstwerk anzusetzen. Passend zur großen Retrospektive der Neuen Nationalgalerie ist es Isa Genzkens „Office Lighting“ von 2008.
Im Zentrum des Programms stand jedoch mit „Perform!“ das „2nd Annual Performance Festival“, das Göksu Kunak mit „Venus“, einer Performance auf einem unter Spitzendeckchen geschützten BMW eröffnete. Eigentlich sollte „Venus“ eine Auseinandersetzung mit Klischees sein, erfüllte dann aber vor allem die Kriterien des so genannten Berliner Kanons, der Nacktheit, Autostunts und Minderheitenperspektive verlangt.
Dem genügt Yoko Onos berühmtes „Cut Piece“ von 1964 nur mäßig, das Klaus Biesenbach mit Hilfe verschiedener Künstler:innen wieder aufführen durfte. Die einstmals als erschütternd erlebte Aggression dieser Einladung zur Entblößung der Künstlerin lässt sich heute freilich nicht mehr wirklich rekonstruieren.
Ein weiteres Performance Event mit dem irritierenden Namen „Gallery Weekend Festival“ wurde von BMW gefördert. Womit die Namensfrage geklärt wäre, denn der Münchener Autobauer ist ja bekanntlich Sponsor des Gallery Weekends im Mai. Über die im großen Gedränge des Hotel Mondial am Ku’damm gesammelten, flüchtigen Eindrücke lässt sich wenig sagen.
Gerade Performances verlangen, entgegen ihrem klassischen Konzept der einmaligen Aufführung, oft eine zweite und dritte Begegnung, um sie richtig zu würdigen. Das geschieht dann eben durch filmische Dokumentationen wie sie nun bei JSF zu sehen sind. Dass dort die Eintrittskarte zu wiederholtem Besuch berechtigt, ist eine ausgesprochen glückliche Idee.
Bei Unbound geht es nun um die Frage wie sich Künstler:innen seit den 1960er Jahren bis heute mit ihrem Körper ganz bewusst der Kamera ausgesetzt und dabei Ideologien der Unterdrückung und traditionelle Narrative zurückgewiesen und Vorstellungen von Identität erschüttert haben.
Die Kamera wird dabei als ein wesentlich durch den kolonialen und patriarchalen Blick geprägtes, oft genug gewaltsam eingesetztes, in der zeitbasierten künstlerischen Arbeit freilich unumgänglich Werkzeug gesehen. In den alten Arbeiten aus den 1960er Jahren zeigt sich dann aber sehr schön, wie mit neuen Techniken wie Video neue emanzipatorische Sichtweisen Raum gewinnen.
Heute nun könnte man erwarten, digitale Bildtechniken erweiterten erneut den Raum für emanzipatorische Bewegungen. Doch in den neueren bei JSF gezeigten Arbeiten streiten junge Künstler:innen wie etwa Mandla & Graham Clayton-Chance oder Panteha Abareshi nur für die individuelle Repräsentation einer/ihrer Geschichte oder Kultur. Die einzelnen Arbeiten faszinieren durchaus, bleiben aber letztlich anekdotisch.
Eine maßgebliche Stimme im Diskurs um race, Feminismus, postkolonialer Theorie und Institutionskritik ist Coco Fusco, der die KW ihre erste große Retrospektive in Deutschland widmen. Gleich beim Eintreten trifft man auf die kardinale Performance „Two Undiscovered Amerindians Visit the West“ (1992-94), die Coco Fusco und Guillermo Gómez-Peña anlässlich des 500. Jahrestages der so genannten Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus entwickelt haben.
Obwohl ihre sarkastische Dekonstruktion des eurozentrischen Konzepts des „Anderen“– in einen Käfig eingesperrt, Bananen essend und von Experten über ihre Herkunft und Kultur aufgeklärt – nicht authentisch wirken sollte, wurde sie von vielen so wahrgenommen. Das brachte dann die ursprünglich nicht vorgesehene Kamera in ihrer bereits erwähnten kolonialen Funktion ins Spiel: Die beiden beschlossen, ihre Auftritte in einem ethnologischen Film zu dokumentieren.
Für „Tomorrow, I will Become an Island“ bräuchte es natürlich auch eine Eintrittskarte, die einen mehrmaligen Besuch erlaubt. Denn für das reichhaltige Ausstellungsmaterial, Videos, Fotosequenzen, Textarbeiten, lohnt das genaue Studium, zumal Coco Fuscos scharfer, treffender Witz selbst äußerst kritische Auseinandersetzungen – etwa mit der Rolle von Frauen in der US-Armee, sei es als Militärpolizistinnen oder Vernehmungsbeamtinnen – verführerisch unterhaltsam macht.
Unerwartet trifft man dann auf Performance in der Ausstellung „protocol“ bei drj art projects. Die Ausstellung zeigt unterschiedlichste Arbeiten mit künstlerischen Notationen zur Zeit, darunter ein Fragment der Installation „Doing time“, die Tehching Hsieh 2017 auf der 57. Biennale von Venedig zeigte.
Von dem 1950 in Nanzhou, Pingtung, Taiwan, geborenen Künstler zeigte die Neue Nationalgalerie gerade noch die Langzeitperformance „One Year Performance 1980-1981 (Time Clock Piece)“. Ein Jahr lang fotografierte sich Tehching Hsieh, wie er stündlich eine Stempeluhr bedient. Durch den Schlaf- und Mobilitätsentzug leicht delirierend, verpatze er einige Aufnahmen. Performance als Extremsport.
Performance als Minimal art zeigt Cevdet Erek bei neugerriemschneider, einer der vierzig Galerien, die die Art Week organisieren. Die ortsspezifische Installation „in circulation“ des Istanbuler Klangkünstlers und Musikers – er ist Schlagzeuger der Experimentalrockband Nekroposi – besteht zum einen aus der Skulptur „The Mother Ear“, einem Porträtkopf seiner Mutter. Der Silikonabguss trägt binaurale Mikrofone im Ohr und wiegt sich rhythmisch zu einem unhörbaren Beat.
Im Raum hängen außerdem eine „Daf without skin“ sowie eine „Larger Daf without skin“, also ihrer Membran beraubte Rahmentrommeln wie sie im Mittleren Osten, in Zentralasien, Indien und den arabischen Ländern bis in den Maghreb verbreitet sind. Sie bestehen aus einem flachen, runden Holzrahmen der mit einem Ziegen- oder Schaffell bespannt ist.
Wird das Instrument bewegt, schlagen normalerweise am Rahmen befestigt Metallringe auf die Membran und erzeugen so den charakteristischen Klang der Daf. Da Ereks Instrumente leer sind, rascheln die Ringe nur. An fast unsichtbaren Schnüren aufgehängt, verführt vor allem die größere Daf die Besucher:innen, in ihren leeren Kreis zu steigen, um sich inmitten des von ihnen selbst erzeugten Geräusches zu erleben.
Endlich ist man selbst der Performer und erfährt im Ring der Daf eine neue, eigene Wahrnehmung von Raum und Zeit. Als es beim Verlassen des Hofs von neugerriemschneider plötzlich raschelt, meint man erst, es sei der Nachhall, den man hört und nicht eine im Durchgang installierte Klangarbeit.
Nach der Art Week ist vor dem 30jährigen Jubiläum der Mengerzeile, einem schönen, alten Gebäude mit nicht weniger als 40 Künstler:innen-Ateliers. Seine Existenz ist alles andere als selbstverständlich, selbst nach Umbau und Neugestaltung bleibt das Atelierhaus langfristig erhalten. Es lebe die Kunst der Verhandlung, muss man sagen. Also wird gefeiert mit Open Studios, Hoffest und der Dokumentationsausstellung „1993-2023 Atelierhaus Mengerzeile“. Tim Renner, ehemaliger Berliner Kultursenator war ein wichtiger Unterstützer des Projekts und wird daher die Laudatio halten (23. 9., 14 Uhr bis 24 Uhr, Mengerzeile 1-3).
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