Fragwürdige Vergabepraxis in Niedersachsen: Militärlogistik für Geflüchtete

In Braunschweig hat ein Militärdienstleister den Zuschlag für eine Flüchtlingsunterkunft bekommen. Die Grünen halten das für einen Skandal.

Zwei überquellende Müllcontainer mit dem Firmennamen Ecolog stehen vor einer Baracke.

Ecolog-Mülltonnen im Feldlager der Bundeswehr nahe Masar-i-Sharif in Afghanistan 2010 Foto: Star-Media/Imago

HANNOVER taz | Die grüne Landtagsabgeordnete Swantje Schendel war die erste, die Alarm geschlagen hat. Die Vergabe einer großen Braunschweiger Flüchtlingsunterkunft an das Unternehmen Ecolog hält sie für einen Skandal. Es sei ihr unbegreiflich, wie man einen Militärdienstleister mit Sitz in Dubai ohne erkennbare Erfahrungen in diesem sensiblen Bereich einsetzen könne.

Ecolog hatte die europaweite Ausschreibung gewonnen, einziges Bewertungskritierium war der Preis. Seit Anfang August ist das Unternehmen für den Betrieb der Flüchtlingsunterkunft in der Salzdahlumer Straße zuständig, einem ehemaligen Hotel mit derzeit 70 Bewohnern, überwiegend aus der Ukraine.

Wobei die Angabe „Dubai“ möglicherweise etwas irreführend ist. Die Muttergesellschaft Ecolog International soll dort ihren Hauptsitz haben. Die Website des Unternehmens verzeichnet einen Briefkasten am Internationalen Flughafen. Die Ecolog Deutschland GmbH, eine der zahlreichen Tochterfirmen, hat ihren Sitz in Düsseldorf. Wenn man dort anruft, geht allerdings niemand ans Telefon. Auch Kontaktversuche via ­E-Mail laufen ins Leere.

Die Informationen über das Unternehmen kann man sich im Internet zusammenklauben. Demnach wurde es Ende der 90er von Nazif Destani gegründet und übernahm zunächst Dienstleistungen für die Bundeswehr – hauptsächlich Wäsche waschen und Müll entsorgen, zunächst in Jugoslawien.

Die Familie des Gründers stammt aus Mazedonien, weite Teile der Belegschaft zunächst auch. Dieses Geschäftsfeld baute das Unternehmen systematisch und international aus, wird auch für KFOR- und ISAF-Truppen tätig, tummelt sich auf allen Krisenschauplätzen der Welt und erweitert das Portfolio nach und nach um alle Infrastruktur- und Logistikdienstleistungen, die dabei anfallen und vom Militär outgesourct werden.

In die Schlagzeilen gerät es dabei bei verschiedenen Gelegenheiten: Mal gab es Kritik an der Qualität der Dienstleistungen, mal an der allzu freihändigen Vergabepraxis der Bundeswehr oder dem grundsätzlichen Trend zu dieser Art von Private-Public-Partnership.

Bei Einsätzen in Afghanistan und im Irak hat das Unternehmen schließlich auch Todesopfer zu beklagen. Mitarbeiter von Ecolog wurden entführt, manche kamen nach Lösegeldzahlungen frei, andere wurden getötet. Gefahrenzulagen zahlt das Unternehmen einem Bericht der Wirtschaftswoche aus dem Jahr 2006 zufolge nicht – mit der Begründung, dass diese Art von Einsätzen halt immer gefährlich sei.

Früher war es eine Vorzeigeunterkunft

Während der Coronapandemie betrieb Ecolog außerdem im großen Stil Testzentren in Bayern. Auch hier gab es Ärger, weil aufgrund einer Software-Panne zahlreiche Kunden auf ihre Ergebnisse warten mussten – darunter Menschen, die infiziert waren, aber auch solche, die das Testergebnis für den Reiseantritt dringend benötigten.

Unklar ist, wann das Unternehmen das Geschäft mit den Flüchtlingsheimen für sich entdeckte. Nach Auskunft der Stadt Braunschweig soll es schon von 2017 bis 2020 drei Unterkünfte im Auftrag des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) in Berlin betrieben haben.

Beim LAF ist ein privater Betreiber dieses Namens aber unbekannt, möglicherweise ist der Betreiber hier unter einem anderen Namen oder als Subunternehmer aufgetreten. Die Überprüfung dieser Angaben laufe noch, erklärt Braunschweigs Stadtsprecher Rainer Keunecke.

Besonders ärgerlich in den Augen der grünen Ratsfraktion in Braunschweig: Der bisherige Betreiber der Unterkunft in Braunschweig – das Deutsche Rote Kreuz (DRK) – hat hier anderthalb Jahre Aufbauarbeit geleistet und nicht nur die Unterkunft betrieben, sondern auch für ein umfassendes Beratungs- und Freizeitangebot gesorgt.

Das ging auch deshalb, weil neben den hauptamtlichen Sozialpädagogen zahlreiche ehrenamtliche Kräfte geholfen haben. Die Einrichtung galt als so vorbildlich, dass man sie stolz der frischgebackenen niedersächsischen Innenministerin Daniela Behrens (SPD) kurz nach ihrem Amtsantritt Anfang 2023 präsentierte.

Dem neuen Betreiber fehlt nicht nur diese lokale Vernetzung, die Grünen zweifeln auch daran, dass er die Anforderungen an die Qualifikation der Hauptamtlichen hinreichend ernst nimmt. So wird beispielsweise in einer Stellenanzeige auf dem Portal „Indeed“ ein „Administrator“ gesucht.

Aufgaben: Verwaltung und Organisation der Flüchtlingsunterkunft, Koordination des täglichen Betriebs und Einhaltung von Standards. Erforderliche Qualifikation: Quereinsteiger, Kommunikationsstärke und interkulturelle Kompetenz, ausgezeichnete Deutschkenntnisse.

Erfahrungen im Sozial- oder Flüchtlingsbereich werden nur als „von Vorteil“, Kenntnisse im Asyl- und Migrationsrecht als „wünschenswert“ aufgelistet, sind also keine notwendige Bedingung. Als Vergütung werden 15 Euro pro Stunde offeriert.

Die Stadt will die Qualifikation der frisch eingestellten Mitarbeiter noch überprüfen, mit der Leitung sei aber jemand betraut worden, der schon einmal ein vergleichbares Heim geleitet habe.

Kritik an der Ausschreibungspraxis

Von den qualifizierten Mitarbeitern des DRK ist jedenfalls keiner zum neuen Anbieter gewechselt: „Wir sind sehr froh, dass es uns gelungen ist, allen ein Angebot an anderen Standorten zu machen und wir so alle Mitarbeiter halten konnten“, sagt die zuständige Vorständin Nicole Kumpis.

Zur Konkurrenz sagt sie prinzipiell nichts. „Wir haben es natürlich sehr bedauert, dass wir nicht zum Zuge gekommen sind. Unsere Mitarbeiter haben den Standort mit viel Herzblut aufgebaut. Wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir uns für künftige Ausschreibungen besser aufstellen können.“

Über die Ausschreibungspraxis möchten auch die Braunschweiger Grünen noch einmal reden. Sie halten Ausschreibungen im sozialen Bereich grundsätzlich für problematisch, weil diese Arbeit Kontinuität und gute Vernetzung benötige. Im diesem Fall räumt auch die erfahrene Ratsfrau Elke Flake ein, es hätte an einer europaweiten Ausschreibung wohl kein Weg herum geführt – dazu war die Auftragssumme zu hoch.

„Das Verfahren ist formal korrekt gelaufen“, sagt sie. Allerdings hätte man sicherstellen müssen, dass bei der Bewertung der Angebote auch die Konzepte und Qualitätsanforderungen stärker berücksichtigt werden und nicht nur der Preis.

Die Verwaltung vertrete hier eine zu strikte Auslegung des Ausschreibungsrechts. Rechtssichere Ausschreibungen durchzuführen, ist allerdings ein kompliziertes juristisches Kunststück, viele Verwaltungsjuristen fürchten vor allem die aufschiebende Wirkung der Rügen und Klagen unterlegener Unternehmen, die Auftragsvergaben über längere Zeit lahmlegen können.

In der Stadt Lüneburg scheint man diesen Weg allerdings erfolgreich beschritten zu haben. Auch hier hatte sich Ecolog als Betreiber einer großen Flüchtlingsunterkunft beworben – ist aber letztlich nicht zum Zuge gekommen. Man habe eine Bewertungsmatrix erstellt und zu 50 Prozent die Qualität und zu 50 Prozent den Preis für die Vergabeentscheidung herangezogen, erklärt der dortige Sozialdezernent Florian Forster (Grüne) auf taz-Anfrage.

Zu der Entscheidung in Braunschweig kam es möglicherweise auch, weil der Posten der Sozialdezernentin gerade vakant war. Die Amtsinhaberin Christine Arbogast war im November als Staatssekretärin ins niedersächsische Sozialministerium gewechselt, Nachfolgerin Christina Rentzsch trat ihr Amt erst im Mai an.

Nun kommt ihr die Aufgabe zu, das Kind wieder aus dem Brunnen zu holen. Der Auftrag an Ecolog wurde für sechs Monate vergeben – mit der Option auf Verlängerung. Nach spätestens zwei Verlängerungen ist Schluss, dann muss neu ausgeschrieben werden – wenn überhaupt noch Bedarf besteht.

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