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Siegeszug der HandyfotografieIch möchte kein Influencer sein

Gastkommentar von Jörg Colberg

Handys haben das Fotografieren demokratisiert. Aber es wird immer schwieriger, Bilder zu machen, die nicht dem Kommerzdenken entsprechen.

Alles so schön bunt hier, mit dem Handy wirds noch schöner Foto: Stefan Schütz/imago

E s hätte etwas Boomerhaftes, sich nach den alten Zeiten zu sehnen, als es die Rolle des Vaters war, Familienurlaube fotografisch zu begleiten. Wer die daraus resultierenden Diaabende nie erlebt hat, möge sich glücklich schätzen. Nicht nur in den Familien ist die Autorität der Person mit der Kamera (in der Vergangenheit zumeist ein Mann) dadurch aufgelöst worden, dass jedes Handy eine Kamera hat und seine Be­sit­ze­r:in in die Lage versetzt, ohne technisches Know-how problemlos fotografieren zu können.

Die nicht nur in der Kunstszene weit verbreitete Meinung, dass Leute, die ihr Mittagessen fotografieren oder einen Konzertbesuch auf sozialen Medien teilen, dadurch ihr Essen oder Konzert weniger genössen, als wenn sie nicht fotografierten – diese Idee fand ich immer zu einfach. Zum einen unterscheidet sich die Geste, bildlich andere Menschen am eigenen Genuss teilhaben lassen zu wollen, nicht von den Diaabenden der Vergangenheit.

Davon abgesehen ist es schwer zu verstehen, dass Menschen ein Interesse daran haben sollen, mit Absicht ihren eigenen Genuss zu mindern. Als ich zum Beispiel vor vier Jahren den Großen Buddha in Kamakura, Japan besuchte, gehörte ein Selfie natürlich mit zum Programm. Geschmälert hat das mein Erlebnis auf gar keinen Fall. Und ich gucke mir das Foto immer wieder gerne an – als könnte ich es immer noch nicht begreifen, dass ich wirklich an diesem magischen Ort war.

Es wäre aber fatal zu glauben, dass es keine Probleme mit der Handyfotografie gäbe. Handykameras haben das Fotografieren einfach gemacht. Aber es gibt das Problem, dass gerade in sozialen Netzwerken oft sehr ungesunde Körperbilder kommuniziert werden, was zu erheblichen psychologischen Problemen führen kann.

privat
Jörg Colberg

ist Fotograf und Autor und lebt in Northampton, Massachusetts/USA. Er bietet Foto­seminare an und betreibt den Blog cphmag.com.

Fluch und Segen von KI

Und die Firmen, die Handys produzieren, können es nicht lassen, ihre Kamerafunktionen ständig zu verbessern oder zunehmend zu verschlimmbessern. In zunehmendem Ausmaße greifen Handy-Hersteller auf künstliche Intelligenz (KI) zurück. Auf der einen Seite kann das sinnvoll sein: Im Vergleich zu Profikameras sind die Sensoren und Optiken in Handys einfach zu klein, um vergleichbare Ergebnisse zu liefern. Versprochen und erwartet werden diese aber. Dadurch müssen die Rohdaten, die die Hardware liefern kann, mit Software aufgebessert werden, ob nun durch Kombination verschiedener Einzelbilder oder durch Extrapolationen, also Schätzungen, oder durch KI.

Wie genau das Endergebnis gemacht wurde, ist oft nicht klar. Und wel­che:n Ver­brau­che­r:in kümmert das schon? Dass mittlerweile aber Handyfotos oft so aussehen, als wären sie mit einem Filter versehen worden – das ist nicht unbedenklich. Für mich als Fotografen und Kritiker ist die reguläre „Camera“-App des iPhones zu problematisch, um sie zu benutzen. Wir könnten uns lange darüber streiten, in welchem Ausmaß Fotos wirklich die Realität abbilden. Interessant wird so eine Debatte nur, wenn wir nicht fragen, ob ein Foto eine Realität abbildet, sondern wessen Realität es abbildet. In meinem Foto des Großen Buddha ist die über 13 Meter hohe Bronzestatue dezent grün-blau-grau unter einem von Wolken verhangenen Himmel.

Damals hatte ich noch ein viel älteres iPhone-Modell als heute. Was mein iPhone 12 aus der Szene gemacht hätte, mag ich mir nicht ausdenken. Vermutlich gäbe es mehr Kontraste, das Zartgrün-Blaugraue der Patina wäre knalliger und weniger dezent. Dieses Handy macht keine Fotos, die von einem ruhigen, wolkenverhangenen Tag zeugen. Stattdessen liefert es mir Bilder, die mich an Werbeanzeigen erinnern oder an die immer so intensiven Fotos, mit denen In­flu­en­ce­r:in­nen zeigen, wie unnatürlich schön es doch überall ist. Aber wie gesagt, mich interessiert nicht, welche Ästhetik angebracht ist, mich interessiert, wessen Ästhetik mir hier verkauft werden soll. Als Benutzer meines Handys beharre ich darauf, dass es meine eigene ist.

Wenn die Apps in unseren Handys uns alle zu Influencern machen, ist das ein Riesenproblem

Ich habe kein Problem damit, einen Filter zu benutzen, wenn ich es für angemessen halte. Ich habe auch kein Problem damit, dass andere Leute Filter benutzen oder ihre Fotos auf eine Weise bearbeiten, die ich selber nicht besonders attraktiv finde. Was mich allerdings beunruhigt: Für viele Handys ist die Ausgangsbasis für ein Foto nicht mehr etwas, das vielleicht einer Nachbearbeitung bedarf (ob nun mehr oder weniger Kontrast, buntere oder dezentere Farbe zum Beispiel).

Apps machen uns zu Influencern

Die Ausgangsbasis ist stattdessen oft ein Foto, das schon sehr weit in eine bestimmte Richtung gedreht wurde: die Welt des Kommerzes, in der alles, aber auch wirklich alles am Ende nur die Frage aufwirft, was hier verkauft werden soll. Mit anderen Worten: Wenn die Apps in unseren Handys uns alle zu Influencern machen, ob wir es wollen oder nicht, dann ist das ein Riesenproblem. Natürlich lassen sich solche Funktionen oft abschalten – aber eben nur für die Leute, die wissen, wie das geht, und die nötige Geduld aufbringen. Im Falle meines iPhones 12 bleibt mit nur, eine andere App als die von Apple zu benutzen – was eine nicht unaufwändige Recherche erforderte.

In zunehmendem Maße wird es schwieriger, mit Handys Fotos zu machen, die nicht aus der Welt des Kommerzes zu kommen scheinen. Die Welt, von der wir unsere Bilder machen, sieht nicht so aus, wie es unser Handy zeigt. Aber es sind auch am Ende nicht unsere Fotos, die wir machen. Stattdessen bekommen wir „eine Anschauung der Welt“, so der Filmemacher Guy Debord, „die sich vergegenständlicht hat“: die Welt als kapitalistisches Spektakel.

Ohne unsere Zustimmung werden wir zu Teil­neh­me­r:in­nen dieses Spektakels. Interessanterweise versagten Handykameras dann aber, als in den USA der Himmel durch Rauch und Feinstaub von Waldbränden orangerot wurde. Dieses Spektakel, verursacht durch die Klimakrise, die eine Ausgeburt des Kapitalismus ist, konnte bildlich nicht erfasst werden. Die Symbolik dieser Tatsache brauche ich sicher nicht zu erläutern.

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10 Kommentare

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  • Dass Smartphones die Fotografie demokratisiert haben, ist falsch. Sie haben es lediglich möglich gemacht, dass massenhaft von talentfreien Knipsern aufgenommene und von einer künstlichen "Intelligenz" dem Massengeschmack entsprechende digitale Bild- und Filmergebnisse das Internet überfluten.



    Mit Fotografie als Ergebmis eines künstlerischen Schöpfungsprozesses hat das überhaupt nichts zu tun. Denn Kunst kommt immer noch von Können. Käme sie von Wollen, hieße sie bekanntlich Wunst. Oder "Handy-Fotografie."

  • "Handys haben das Fotografieren demokratisiert". Ist das wirklich so, oder haben die Handys lediglich das Knipsen demokratisiert? Wenn man Fotografieren als kreativen und schöpferischen Akt betrachtet, schließt diese Definition eigentlich aus, dass man mit dem Handy "fotografieren" kann. Es sei denn man findet eine Möglichkeit, alle "Optimierungen" abzuschalten und diese dann, nur wenn es gewollt ist, vorzunehmen. Die einfachste Methode, nicht kommerzialisierte Bilder zu machen ist dann wohl, eine Kamera zu benutzen und kein Handy...

  • Handys haben das Fotografieren demokratisiert. Aber es wird immer schwieriger, Bilder zu machen, die nicht dem Kommerzdenken entsprechen.



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    Da gehe ich fast VOLL mit dem Autor mit!



    Jede "Fotokiste" ist ein Werkzeug! Nur es ist ein Unterschied ob jemand ein Werkzeug mit Zusatztools nutzt, oder das "Werkzeug", fremdbestimmt, das "Werk" massiv beeinflusst!



    OK. Fotos für alle, auch mit "Motivklingel" (der alte Witz in dem die Kamera sagt: Jetzt knipsen!) doch dann müssen wir die Funktion von "Foto" komplett NEU denken!



    Digitalisierung & IT haben nicht nur DAS kreative "Handwerk", & mMn. ist & war Fotografie ein Handwerk, wie Grafik, Schriftsatz usw, massiv "KAPUTT GEMACHT", sondern auch die "Inhalte, Darstellung, Qualität, usw" massiv verändert!



    Aber nicht im gleichen Maß "unsere Einstellung" dazu!



    Der Sprung von "Analog > Digital" war schon "eine ganz andere Hausnummer" die Fotografie Grundlegend veränderte, doch da war, auch Digital noch, wenigstens ein Hauch von Wirklichkeit mit drin. "Photoshop" setzte wenigstens noch Wissen voraus. aber wenn jetzt "Voreinstellungen" bestimmend werden, können wir mMn. 99% der "Fotos" glatt vergessen!



    Wenn es uns nicht gelingt unsere Wahrnehmung von "Bild" zu splitten, d,h. von KI usw. beeinflusst, vom "Urheber, usw." als DOKU, Kunst, wie auch immer "gelabelt", können wir mMn. das Medium "Foto" als Informationsträger vergessen. ;-((



    .



    Steht DAS Problem nicht auch bei ChatGTP usw. massiv im Raum?



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    Ps. Was hier, bei mir auch, bei dem Thema ausgelassen wurde, ist z.B. die inhärente "Archiv- & Dokumentations-Funktion" von aufgenommenen "analogen Bildern". Die berühmten Negative usw. in/auf "Omas Kleiderschrank, Dachboden, usw" wird es nicht mehr geben! Damit geht eine ganz wichtige Funktion von Fotografie für die Zukunft verloren!



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    Pps. MMn. ist das o.a. Thema sehr wichtig & wird viel zu wenig beachtet. Es greift sehr tief in unseren Alltag ein, ist uns aber kaum bewusst! Ich würde, gerade in der TAZ für "Mehr davon" plädieren!

  • Diese Fragen sind so alt wie die Fotografie und auch bildende Künste selbst. Ich habe ein Foto einer der ersten Handykameras. Es ist vergrößert und auf siberkarton gedruckt. Es wirkt abstrakt und überzogen in den Farben. Die jpg Kompression wird zur Textur.



    Nicht jedes Bild ist dafür gedacht schön zu sein oder Aufmerksamkeit zu erheischen. Vielleicht. Müssen wir uns an die vielen Ausdrucksformen der Fotografie erinnern. Eine Demokratisierung und Vereinfachung der Bedienung nimmt die erzwungene Reduktion der Möglichkeiten die oft Ausgang für kreative Prozesse sind. Aber den kreativen Umgang selbst nimmt sie nicht.

  • Vielen Dank für diesen Artikel zu Fragen, die ich mir nie im Leben gestellt hätte.

  • "Interessanterweise versagten Handykameras dann aber, als in den USA der Himmel durch Rauch und Feinstaub von Waldbränden orangerot wurde." bitte? da versagt jede kamera deren weissabgleich auf automatisch steht.

  • Ich hab hier so ein 8 Jahres junges Androiden-Ding ohne Simkarte, ein hauptberufliches Katzenfotografiergerät. Das einzige, was ich damit beeinflusse, ist meine (oder Schatzis) Stimmung, wenn ich mit den Bildern mal die Wartezeit irgendwo vertreibe.

    Die Bild-Optimierung und die sozialen Medien gehen hier aber Hand in Hand, würde ich sagen. Wenn Leute nicht allenaselang ihr Leben überall bildlich verbreiten würden (schließlich sagt ein Bild ja angeblich mehr als 1000 Worte), gäb's auch nicht diesen Wettbewerb, immer "schönere" und "bessere" Fotos liefern zu müssen, um noch interessant zu sein - und die Industrie spring auf diesen Zug natürlich auf und beschleunigt ihn noch.



    Die Menschheit optimiert ihren eigenen Untergang, in jeder Hinsicht. Aber wir sind zu beschäftigt damit, retuschierte Dias zu gucken.

  • Ähnlich schlimm ist es doch mit Videos.

    Jeder, der mindestens ein Apple 13 in der Hand hält, welches nicht zur Reparatur geschickt wurde, womit die Softwareupdates und Firmwarelizenzen der Kamera eingestellt werden, hält sich für den besten Kameramenschen. Einfach nur den Record-Button drücken, technische Kenntnisse, wie man sie von früher kennt, werden mit einem Knopfdruck eliminiert.

    Wobei... nicht ganz. Wer eine Filmkamera von ARRI bedient oder eine Panavision wird schon vorher ne Ausbildung gemacht haben. Und die Videoqualität ist nochmal ne ganz andere. Doch Youtube-Stars und generell Social Media nutzen keinen 20,000€ Hasselblad-Kameras. Auch keine 80,000€-ARRIs. Dortiger Standard sind CMOS-Sensoren in Smartphones und Tablets. Das Publikum verlangt keine Filmkamera oder eine Mittelformatkamera - das würde auch zuwenig Likes bringen. Selbst, wenn eine AI dies simulieren kann.

    Und nicht nur bei Waldbränden versagen diese Kameras - wobei ich das schon verstanden habe, dass die Reichweite und die Likes einfach 0 betragen in Zeiten der Klimakrise, während Andrew Tate 300,000 Likes fürs Draufklatschen auf den Po einer Frau kriegt. Schonmal das diffuse, tiefviolette Licht von Schwarzlampen fotografisch festgehalten? Als Bonus noch eine, die mit einer Art "Sonnenbrillefolie" umwickelt wurde und ein nahezu gräuliches Licht erzeugt? Eine Smartphone-Kamera vermag mehr Wellenlängen zu verarbeiten, als das menschliche Gehirn. Also wird so eine Schwarzlichtlampe, verbunden mit den automatischen Helligkeitsregulierungen, die wir schon fast nicht mehr wahrnehmen können, ein helles Magenta erhalten. Und ARRI oder Panavision? Da gibt es Filter, Licht mit Wellenlängen von kleiner 380nm wird nicht mehr aufgezeichnet.

  • Handyfots sind Schnappschussfotografie. Dafür hatte man früher irgendeine kleine Billigknipse. Die hat auch schlechte Bilder gemacht und die Leute, die sie benutzt haben hatten weder von Belichtung, noch Tiefenschärfe, etc. irgendeiene Ahnung.



    Handys haben jedem die Möglichkeit eröffnet, schnelle Alltagsfots zu schießen. Und mit den ganzen Spaßapps zur Bildaufbereitung haben die Leute halt das Gefühl, schöne Fotos gemacht zu haben.



    Schau ich mir aber die professionellen Fotos im Netz, in Zeitschriftn und vor allem in den omnipräsenten Landschaftskalendern an, dann ist da in der Regel soviel bearbeitet, dass sich das kaum von dem ganzen Handyfilterkram unterscheidet. Kaum ein veröffentlichtes Fotos bildet heute ungeschönt "die Realität" ab.

    • @Deep South:

      Die allermeisten Handy-Fotografen haben von Fotografie ebenso wenig oder noch weniger Ahnung wie diejenigen, die früher mit billigen Instamatic-Kameras knipsten.Schnappschüsse sind nun nicht Ausdruck von Fotografie, denn das die entweder ein solides Handwerk oder sogar eine Kunstform, aber eben nur, wenn sie auch von Menschen betrieben wird, die man als halbwegs befähigt erachten kann. Die allermeisten Handy-Knipser sind das ganz deutlich erkennbar nicht, daran ändern auch zig tausende von Instagram-Filtern nichts, die man über die belanglosen Schnappschüsschen legt, mit welchen sogen. "Influencer" die Banalität ihrer Existenz künstlich aufblasen und sich wichtig machen wollen.

      Wenn Sie sich professionelle Fotos anschauen, dann sehen Sie eben NICHT, was da alles bearbeitet wurde, denn die allermeisten Profis können nicht nur deutlich besser fotografieren als die Knipser, sondern beherrschen auch die Techniken zur Bildoptimierung deutlich besser. Sie können also allerhöchstens vermuten, dass etwas bearbeitet wurde, aber wissen tun sie es nicht, im Gegensatz zu diesem ganzen Handy-Social-Media-Kram, dem man seine Künstlichkeit schon auf einen kurzen Blick ansieht und diese auch exakt aufzeigen kann.