Rodungen für Umgehungsstraße: Schluss mit Waldfrieden

Der Senat treibt das Planfeststellungsverfahren für die Tangentiale Verbindung Ost voran. Die Befürchtungen von Um­welt­schüt­ze­r*in­nen sind groß.

Zwei Aktivisten gehen durch die Wuhlheide

Im Mai wurde eine Teil der Wuhlheide kurzzeitig besetzt Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Ein Waldspaziergang der anderen Art: Man verlässt die laute Straße und versinkt in der Geräuschlosigkeit der Berliner Wuhlheide. Die wild gewachsenen Eichen sind gut 80 Jahre alt, unter dem grünen Blätterdach wachsen jüngere Bäume, Ahorn, Buchen und Linden, dazu Sträucher, Kräuter und Pilze. Das herumliegende Totholz ist Lebensraum für Insekten, Vögel und Säugetiere.

Das alles erfährt man am Sonntagnachmittag bei einem Spaziergang, den der Naturschutzbund Nabu Berlin organisiert hat. Kay-Uwe Reschke trägt eine knallgelbe Weste und einen breitkrempigen Outdoor-Hut. Der ehemalige Forstarbeiter ist Mitglied der Nabu-Bezirksgruppe Treptow-Köpenick und führt gut 25 Erwachsene und Kinder durch das Teilstück der Wuhlheide im Südosten von Berlin, in dem hauptsächlich Eichen und Kiefern stehen.

Hier ist fast niemand, nur ab und zu hechelt ein Jogger vorbei. „Dieser 80 Jahre alte Wald fängt gerade an, wertvoll zu werden, und kann nicht einfach ersetzt werden“, sagt Reschke. Doch wenn es nach dem Willen des Senats geht, soll dieser Wald abgeholzt werden, um Platz für eine vierspurige Schnellstraße zu machen: die Tangentiale Verbindung Ost, kurz TVO.

Vierspurige Autobahn durch den Wald

Dabei handelt es sich um eine seit 1969 projektierte Trasse zwischen dem Nordosten und Südosten Berlins. Wobei das Mittelstück zwischen Schöneweide und Biesdorf nie gebaut wurde. Das soll nun nach nachgeholt werden. Geplant ist eine mindestens 6,4 Kilometer lange vierspurige Trasse, um Hauptverkehrsstraßen wie die Treskowallee in Karlshorst zu entlasten, wo An­woh­ne­r*in­nen besonders unter dem Durchgangsverkehr leiden.

Die Verkehrssituation im Berliner Osten ist problematisch, daher sind fast alle Parteien für die Schnellstraße. Auch der alte rot-grün-rote Senat hatte sich für den Bau der TVO mit einem parallel verlaufenden Radschnellweg und einer „Schienen-TVO“ genannten Regionalbahn- und S-Bahn-Trasse ausgesprochen. Letztere fehlt in der aktuellen Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD.

Kri­ti­ke­r*in­nen befürchten daher, dass nun sowohl die Bahntrasse als auch der Radweg dem motorisierten Individualverkehr geopfert werden. Und das ist nicht das einzige Problem. Das Projekt könnte frühestens in den 2030er Jahren fertiggestellt werden und ob die Schneise durch den Wald dann wirklich für eine Entlastung sorgt, ist mehr als fraglich.

Auf der neuen Trasse sollen nach Schätzungen des Senats täglich bis zu 33.000 Fahrzeuge in beiden Richtungen fahren. Ausgebaute Straßen führen aber laut einer Studie kurzfristig zu 10, langfristig zu 20 Prozent mehr Verkehr. Die Entlastung der Umgehungsstraßen ist meist geringer als prognostiziert. Dafür wird ein Anstieg des Transitverkehrs aus dem Umland auf der Schnellstraße befürchtet. Mehr Straßen bedeuten zudem eine zusätzliche Belastung durch Lärm und Feinstaub. Allein die Verwendung von Beton und Stahl in der jahrelangen Bauzeit würden für einen hohen CO2-Ausstoß sorgen.

Wertvoller Wald

Dazu kommen nicht nur die immensen Kosten für die Schnellstraße, die inzwischen wohl bei 400 Millionen Euro liegen. Darüber hinaus müssten auch 14,6 Hektar Wald gefällt werden, nach neueren Angaben sogar 15,6 Hektar. Die Wuhlheide würde weiter zerschnitten, selbst das Naturschutzgebiet Biesenhorster Sand könnte betroffen sein. Und die wertvollen Eichen wären weg.

An einer kleinen Wegkreuzung machen die vom Nabu betreuten Spa­zier­gän­ge­r*in­nen halt. Hier sehen fast alle Teilnehmenden die geplante Trasse kritisch. Einer immerhin spricht sich dafür aus. Biesdorf-Süd solle vom „extremen Durchgangsverkehr“ entlastet werden, fordert er. „Jetzt eine Straße zu bauen, ohne ein Konzept erarbeitet zu haben, halte ich für Unsinn“, erwidert ihm eine Teilnehmerin. Dem Bedarf werde „hinterhergebaut“, die Staus würden sich nur verlagern.

Kay-Uwe Reschke selbst ist zurückhaltend. Er sagt: „Wald an sich ist wertvoll.“ Jeder gefällte Quadratmeter sei ein Verlust. Eine Fragmentierung sei zudem eine Barriere für Tiere und würde auch das Mikroklima verändern. Kurzum: Das ganze Schnellstraßenprojekt sei „ein großer Schaden für die Natur“. Dennoch glaubt er, dass die TVO „in irgendeiner Form“ kommt.

Während sich gegen die A100 breiter Widerstand regt, sah das bei der TVO lange anders aus. Viele Ber­li­ne­r*in­nen erfuhren erst im Mai von der geplanten Straße durch den Wald, nachdem Ak­ti­vis­t*in­nen der Gruppe „Wuhlheide bleibt“ in einer spektakulären Aktion ein Stückchen des Waldes kurzzeitig besetzten. „Berlin braucht weder die TVO noch den Ausbau der A100“, schreibt die Gruppe. Stattdessen fordert sie „ein gesellschaftliches Umdenken, die Eindämmung des motorisierten Individualverkehrs und eine stabile und verlässliche Nahverkehrsinfrastruktur“.

Schiene statt Straße

„Das Straßenbauprojekt zerschneidet nicht nur wertvolle Naturräume, sondern symbolisiert das Festhalten an klimaschädlicher Verkehrspolitik“, kritisiert der Nabu Berlin. „In einer Zeit, in der die unwiderruflichen Kipppunkte der Klimakatastrophe immer näher rücken, ist der Bau neuer Infrastruktur für den motorisierten Individualverkehr äußerst kontraproduktiv“, sekundiert der Umwelt- und Naturschutzbund BUND und fordert, die Planungen für die TVO „sofort“ einzustellen und stattdessen eine Schienen-TVO zu errichten.

Der Senat plant, in diesem Herbst die Unterlagen für das Planfeststellungsverfahren einzureichen. Dieses Verfahren soll nach dem Willen des Senats bis 2026 abgeschlossen sein. Nach dem Abschluss des Verfahrens soll der Bau der Trasse dann weitere sechs bis sieben Jahre dauern. Allerdings ist damit zu rechnen, dass gegen den Bau der TVO geklagt wird, wodurch sich eine Fertigstellung weiter verzögert.

Inzwischen hat sich die Bürgerinitiative Wuhlheide gegründet. Sie lehnt die Umsetzung der Straßen-TVO ab und demonstriert an diesem Mittwochvormittag vor dem Abgeordnetenhaus „für eine neue Evaluation des Projekts“. Sie befürchtet, „dass der CDU/SPD-geführte Senat das Straßenprojekt nun ohne Berücksichtigung der Schienenplanung durchwinken könnte“.

Am Dienstag in einer Woche ist der nächste Waldspaziergang mit Kay-Uwe Reschke angesetzt. Sein Ziel ist es, möglichst viele Menschen zu erreichen, damit diese sich ihre eigene Meinung bilden. Er möchte „niedrigschwellig und neutral sensibilisieren“, sagt er zum Abschluss: „Meine Botschaft ist, dass der Wald wahrgenommen wird.“

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