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Kunstfest WeimarGedenken und Gartenflucht

Beim Kunstfest in Thüringen kreisen Performances und Aufführungen um private Paradiese, Nietzsches Schwester sowie die Deutschen und den Klimaschutz.

Kostüme und Bühnenbild von „Ubu“ basieren auf Entwürfen von Joan Miró Foto: Thomas Müller

Schon im RE von Erfurt nach Weimar sitzt der erste Rechtsextreme. Hitler-Frisur, ein Polo mit Reichsadler darauf, vielleicht 25 Jahre alt. Mit sanfter, sogar sympathischer Stimme diskutiert er mit seiner Begleitung über Proteinriegel. Aber warum sollten Nazis auch immer brüllen oder nur über „Ausländer“ sprechen.

Wenn man von Köln aus nach Thüringen fährt, wo der AfD 32 Prozent prognostiziert werden, ist die innere Ost-West-Brille nicht auszuschalten. Auf dem legendären Theaterplatz in Weimar, dort, wo sich in grauem Erz Goethe und Schiller erheben und allmontäglich die Querdenker treffen, ist sie erst recht geschärft. In strahlend heller Kleidung sitzt der 93-jährige Künstler Günther Uecker auf einem Stuhl und betrachtet die paar Weimarer Bürger und West-Touristen, die um ihn herum Steine zu Häufchen schichten – Steine, die direkt aus jenem Steinbruch stammen, in dem KZ-Häftlinge einst Zwangsarbeit leisteten.

Sein „Steinmal für Buchenwald“ hat Uecker 1999 schon einmal hier realisiert – damals war Weimar Kulturhauptstadt – allerdings in der Häftlingskantine von Buchenwald. Bundesinnenminister Kanther warnte vor einer „Buchenwaldisierung“ der Klassikerstadt.

Nun, zur Eröffnung des Kunstfests Weimar 2023, ist das Steinmal deutlich näher zu den Klassikern gerückt. „Erinnern schafft Zukunft“, lautet das Motto in diesem Jahr. Zunächst passiert nicht viel auf dem weiträumigen Platz, bis auf einen grölenden Holocaust-Leugner, der später festgenommen wird – und einen netten Herrn, ehemaliger Studienrat, der findet, dass es nun mal genug sei mit dem Gedenken. Gegen Nachmittag füllt sich aber der Platz, stellen sich viele ans Megafon, um laut Opfernamen aus Buchenwald und ihre Geburtsdaten zu lesen.

Die AfD-Erfolge: nur temporäre Verirrungen?

Um die fertigen Türmchen bindet Uecker weißen Stoff, um Heilung ersuchend. Der charismatische Künstler, einst DDR-Flüchtling, nun aus Düsseldorf angereist, sah als 14-Jähriger die Kriegsleichen aus der Ostsee an den Strand treiben. Für ihn sind die AfD-Erfolge nur temporäre Verirrungen: „Ich glaube, das ist ein psychischer Prozess, der sich klären wird, von konservativen Bürgern, die sich in einer seelischen Abgeschiedenheit wähnen. Wenn wir aufhören, als Sieger und Besiegte zu denken, werden wir das miteinander überwinden“, sagt er.

Kann Kunst gesellschaftliche Bewegungen gestalten? fragt im Hotel Elefant der Moderator den linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, der sich im Herbst 2024 in Thüringen zur Wiederwahl stellt. Ramelow, beeindruckend belesen, bejaht vehement und erzählt, wie viel es mit Menschen macht, wenn in Jena Plätze nach NSU-Opfern benannt oder in Erfurt im Gebäude des Auschwitz-Ofenbauers Topf und Söhne, die immer noch das deutsche Patent dafür innehaben, ein Gedenkort errichtet wird: „Gedenken schafft Ruhe und Verortung“.

Aber Uecker hat vermutlich recht: der Rückzug ins rechte Denken vor der Komplexität der Weltkrisen ist ein Erklärungsansatz für den Erfolg der AfD.

Die paradiesische Welt einer Weimarer Kleingartenanlage

Dass sich manch einer aber auch einfach in die Kleingartenanlage zurückzieht, in private Paradiese, erzählt die Audioinstallation von Martha Hennersdorf im idyllischen Weimarer Gartenlokal August Fröhlich. Sie untersucht in ihrem schönen, vielstimmigen Feature, wie Schrebergärten die Gesellschaft in streng regulierter Gemeinschaft versammeln, von syrischen Geflüchtetenfamilien zu Großstadt-Hipstern, führt mit einem strengen Schrebergartenaufseher in utopische Paradiese, die eben auch keine wären, wenn niemand die Hecken zurückschneiden würde. Nazis, die Schrebergärten ja auch gerne mal als Rückzugsorte nutzen, tauchen hier nicht auf – man könnte meinen, die Welt in der Weimarer Kleingartenanlage sei in Ordnung. Wenn da nur nicht das Buchenwald-Mahnmal hinten auf dem Ettersberg ins Bild ragen würde.

Friedrich Nietzsche hat sein spärliches, schwarz gestrichenes Mobiliar wohl niemals als sinnvollen Rückzugsort erlebt, schließlich hat er seine größten Bücher als reisender Nomade geschrieben. Als er in Weimar ankam, galt er schon als geistig umnachtet – was seine Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche jedoch nicht davon abhielt, seine Räume in der Weimarer Villa „Silberblick“ noch zu seinen Lebzeiten als Wallfahrtsort zu gestalten.

Die Klassik Stiftung Weimar hat nun erstmals Nietzsches private Gegenstände dieser Zeit aus dem Depot geholt. Sie stehen in krassem Kontrast zum von Henry van der Velde posthum prächtig gestalteten Jugendstil-Nietzschearchiv: ein schäbiges Sammelsurium der Epochen, triste Reliquien seiner Krankheit: ein Arbeitssessel zum Toilettenstuhl umgestaltet, eine verrutschte Totenmaske, Medikamentenfläschchen.

Nietzsches Schwester als PR-Profi

Bewusst werden sie im Neuen Museum Weimar in und auf Kisten ausgestellt, den Gegenständen jede Heldenaura ausgetrieben – während im Nebenraum die Schauspielerin Judith Rosmair unter einer VR-Brille in der zwanzigminütigen Performance „Being Nietzsche“ als Schwester Elisabeth wieder aufersteht als maliziös lächelnder PR-Profi, die Nietzsche zur geldwerten Weltmarke macht. Unter der Brille reist man mit ihr durch Raum und Zeiten, bis man sich selbst wie der Kranke fühlt, der ihrer Fürsorge nicht mehr entgehen kann.

Eine Art Rückzug vor der komplexen Welt steht auch hinter dem Monolog „Eschenliebe“ von Theresia Walser, uraufgeführt im Studiotheater Weimar und danach auf Tournee in ganz Thüringen, dem luxemburgischen Schauspieler Steve Karier auf den Leib geschrieben. Ein Mann gießt in heißen Nächten einen Baum. Was zunächst wirkt wie eine liebevolle wie wohlfeile Weltrettungsgeste in Dürrezeiten, verwandelt sich in ein erotisches Verhältnis, in dem zusehends die Verzweiflung wächst: denn die Blätter vertrocknen, die Krone lichtet sich, Rinde und Blätter fallen.

„Das hätte ich nicht gedacht – dass du einer von denen bist, die glauben, sie könnten mit zwei Eimern die Welt retten“, höhnt der ebenfalls von Karier verkörperte Nachbar – doch die Sehnsucht des Mannes geht tiefer, zum Eins- und Allsein mit einer Natur, die bedroht ist und doch überleben wird. Fein, aber manchmal etwas zu polternd agiert Karier zwischen weltüberdrüssigem Esoteriker, vehementem Naturschützer und sehnsüchtigem Romantiker und bringt das kompliziert verdruckste Verhältnis der Deutschen zu Natur und Klimaschutz auf den Punkt.

Und dann gibt es da auch noch das groteske Antikriegsstück „König Ubu“ von Alfred Jarry von 1896. Eine Persiflage auf Macbeth, Richard III. und alle totalitären Herrscher – aufgeführt im Weimarer E-Werk, während viele Kilometer entfernt zeitgleich der Tyrann Prigoschin vom Himmel fällt. Der legendäre Regisseur Robert Wilson hat das Stück nur „Ubu“ genannt, benutzt wenige Text-Fragmente. Wie Puppen sitzen die prächtig mit Zeitungsfetzen ausstaffierten Protagonisten auf der Bühne, Sounds und infantiler Text kommen aus dem Off – gesprochen etwa von der Schauspielerin Angela Winkler.

Ubu und sein Gefolge stolzieren, tanzen, schwingen zum Musik-Medley über die Bühne, fressen, furzen, kämpfen, töten – die Banalität des Bösen brachte das Stück immer schon auf den Punkt. Zeitlebens war auch der spanische Surrealist Joan Miró von Ubu besessen, auf dessen Entwürfen Bühnenbild und Kostüme beruhen. Die spektakulären Bilder sind ein Rausch aus Schwarzweiß, Blutrot und Königsblau und stehen für den Stil des legendären US-amerikanischen Regisseur Wilson. Doch letztlich bleiben die 50 Theaterminuten inhaltsarm und ornamental. Vom Antikriegsaufruf ist hier nichts mehr zu spüren. Eher vom putzigen Spiel mit der Wirklichkeitsflucht, diesmal mithilfe von Kunst.

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