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Vergessene deutsch-türkische GeschichteEin Straßenschild für „Beutetürken“

Zum ersten Mal wird in Hannover eine Straße türkisch benannt – ganz heimlich, still und leise. Sie erinnert an zwei sogenannte „Beutetürken“.

Lückenhaftes Wissen: Links der „Hammet“ zugeschriebene Grabstein, rechts der von „Hasan“ Foto: Christian Burkert

Hannover taz | Auf einmal war es da, das Straßenschild. „Hammet-und-Hasan-Weg“ steht da, und darunter: „Nebenan bestattete Hofdiener, die im 17. Jahrhundert als Kriegsgefangene nach Hannover kamen. Ihre muslimischen Gräber gehören zu den ältesten Deutschlands.“

Es ist das erste Mal, dass in Hannover eine Straße einen türkischen Namen trägt. „Und keiner hat es gemerkt“, titelte Ende Juli erstaunt die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ). Was aber einen falschen Eindruck erweckt, findet zumindest Jannik Schnare: „Wir pflegen da grundsätzlich eher den Ansatz des Understatements“, sagt der junge Grünen-Bezirksbürgermeister. Die Ehrung bestehe schließlich in der Benennung selbst – nicht daran, dass er selbst da nun ein Tuch vom Schild zieht.

Ausnahmen davon (und Enthüllungen mit großem Tamtam) habe man in letzter Zeit vor allem dort gemacht, wo es vorher eine lange öffentliche Debatte gab. Zum Beispiel bei der Hindenburg-, die nach langem Streit in Lotte-Loebenstein-Straße umbenannt worden sei. Oder dem Ballhof: Historiker und jüdische Gemeinde hatten lange moniert, dass Nazi-Inschriften am alten HJ-Heim einfach so, ohne kritische Einordnung, stehen blieben.

So ganz leicht ist die Benennung des Hammet-und-Hasan-Weges dem Bezirksrat auch nicht gefallen – eigentlich gilt die Maßgabe, dass jetzt erst einmal Frauen dran sind. Letztlich gab hier den Ausschlag, dass der neue Name auf ein fast vergessenes Stück Stadtgeschichte verweist.

Ein orientalischer Bediensteter

Der Hammet-und-Hasan-Weg ist eigentlich nur ein Stück Radweg, der vom Uni-Gebäude am Königsworther Platz Richtung Innenstadt führt, vorbei an dem, was von einem der ältesten Friedhöfe der Stadt übrig ist. In dieser von alten Bäumen beschatteten kleinen Parkanlage stehen verwitterte Grabsteine aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Zwei davon, die von Hammet und Hasan, waren bei Reisenden des 17. und 18. Jahrhunderts noch als „die Türkengräber“ berühmt.

Wobei „Türke“ hier weniger auf die ethnische Herkunft als vielmehr den Glauben verweist, wie Günter Max Behrendt anmerkt, der sich um die Erforschung verdient gemacht hat: Ein zum Christentum konvertierter Muslim wird in zeitgenössischen Quellen als „gewesener Türke“ bezeichnet. Davon gab es immerhin so viele, dass sich noch NS-Rasseforscher wegen einer „Beimischung türkischen Blutes in deutsche Familien“ sorgten.

Da lag die Sache mit dem hier als „Hammet“ bezeichneten Mann schon 250 Jahre zurück: 1683 wurde er als osmanischer Sipahi, Lehensreiter, bei Párkány in der heutigen Slowakei gefangen genommen, gelangte dann vermutlich im Gefolge des Welfenprinzen Georg Ludwig an den Hof nach Hannover, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1691 als Lakai gedient haben soll.

Damals hielt man es für schick, orientalische Bedienstete zu haben. So viel lässt sich aus den Grabinschriften rekonstruieren – über Hasan ist weniger bekannt: Er starb vermutlich ein paar Jahre nach Hammet, aber sein Grabstein blieb blank.

Bestattung nach muslimischem Ritus

Ungewöhnlich ist, dass diese beiden eben nicht zur Taufe gezwungen oder genötigt wurden und ihre Bestattung nach muslimischem Ritus erfolgte. Ursprünglich lagen die Gräber auch außerhalb der Friedhofsmauer. Heute sind nur noch die Fußsteine übrig, ursprünglich wurden die Gräber von je einem hohen Stein am Kopf und einem am Fuß eingefasst und waren nach Mekka ausgerichtet.

Vor allem die arabischen Schriftzeichen auf Hammets Kopfstein, der wohl erst den Bomben im 2. Weltkrieg zum Opfer fiel, faszinierten zeitgenössische Reisende. An der Übersetzung biss man sich allerdings lange die Zähne aus. Ende der 1980er-Jahre versuchte der türkische Arzt Yektin Güran sich mit Hilfe eines Imams daran. Er brachte auf diese Weise immerhin den türkischen Staat dazu, für die Restaurierung und Neuaufstellung sowie das Errichten einer bronzenen Gedenktafel aufzukommen.

Die Übersetzung war allerdings auch deshalb so schwierig, weil der Text sozusagen doppelt „lost in translation“ war: Zu diesem Zeitpunkt existierte nur noch die Abschrift, die der Kammerschreiber Johann Heinrich Redecker angefertigt hatte – Mitte des 18. Jahrhunderts. Der Sprache, die er da kopierte, war der Mann mitnichten mächtig gewesen. Genauso wenig wie der Steinmetz, der sie aufgebracht hatte, gestützt vermutlich auf eine handschriftliche Vorlage.

Erst 2001 stieß der engagierte Günter Max Behrendt auf eine Fotografie aus den 30er-Jahren, auf der sich Grabstein und osmanische Inschrift besser erkennen ließen. Seither glaubt man, dass Hammet wohl eher aus Temeschwar im heutigen Rumänien stammte; die erste Übersetzung hatte ihn im kurdischen Grenzgebiet zu Persien verortet.

Zwei „Beutetürken“ in Hannover

Selbst wenn nicht viel über beider Leben bekannt ist, muss man annehmen, dass Hammet und Hasan unter den zahllosen „Beutetürken“, die nach der 2. Belagerung Wiens ihren Weg nach Deutschland fanden, noch zu denen gehörten, die das bessere Los gezogen hatten. Der Historiker Hartmut Heller weiß in einem 1996 erschienen Aufsatz von „ganzen Fässern voller Türkenköpfe, die Händler 1684 zur Leipziger Neujahrsmesse brachten“ und die dann als Trophäen in Bibliotheken und Kunstkammern landeten.

Auch aus anderen Körperteilen fertigte man Trophäen, Menschenfett und getrocknetes -fleisch wurden in Apotheken als Wundermittel verkauft – während man sich gleichzeitig Gruselgeschichten über primitive, „wilde“ Menschenfresser erzählte. Ein Großteil der Leichen dürfte aber gleich am Schlachtfeld verscharrt worden sein, wenn man sie nicht einfach den Fluss hinunter treiben ließ.

Gleichzeitig gab es einige bemerkenswerte Aufstiegsgeschichten, vor allem, wenn sich Kriegsgefangenen taufen ließen. Spuren hinterließen die „Beutetürken“ nicht nur als Kammerdiener, sondern auch im Militär, als Musiker, Konditoren, Kaffeezubereiter oder in der Porzellanherstellung. Auch dafür gibt es in Hannover noch ein Zeugnis: An der St-Petri-Kirche in Döhren findet sich der Grabstein des Mehmet von Königstreu, den Georg Ludwig als Kammerdiener mit nach London nahm und später sogar in den Adelsstand erhob.

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