Nach 13 Jahren schließt die Buchkönigin: „Du musst das zu 120 Prozent wollen“

Nina Wehner und Hannah Wiesehöfer wollen mit der Buchkönigin in Neukölln Schluss machen. Aber nicht etwa, weil sie die Lust am Buch verloren haben.

Zwei Frauen Arm in Arm lachen in die Kamera: Nina Wehner (l.) und Hannah Wiesehöfer vom Buchladen Buchkönigin

„Es hat direkt gepasst“: Nina Wehner (l.) und Hannah Wiesehöfer in ihrer „Buchkönigin“ Foto: Doro Zinn

taz: Frau Wehner, Frau Wiesehöfer, Sie geben Ende August nach 13 Jahren die Buchkönigin auf, Ihren Neuköllner Buchladen. Läuft der Mietvertrag aus?

Hannah Wiesehöfer: Im Gegenteil! Der Mietvertrag geht noch zwei Jahre. Wir hatten großes Glück mit unserem Vermieter, unsere Miete ist absolut moderat. Wir schließen den Laden nicht, weil er nicht mehr funktioniert. Aber ich lebe familienbedingt nicht mehr ausschließlich in Berlin. Wir möchten den Laden in gute Hände geben.

Nina Wehner: Als Hannah gesagt hat, sie ist nur immer mal wieder hier, da war ich schon sehr erschöpft. Und dann kam dieses wahnsinnige Corona-Geschäft. Das war natürlich einerseits ein Segen und der Rest des Landes hat uns darum beneidet, dass wir anders als die Buchhandlungen in allen anderen Bundesländern immer offen bleiben konnten. Aber es war irre! Es war über das Machbare hinaus, was hier passiert ist. Wir haben ab Tür verkauft, waren am Anfang zu dritt, bis die eine Kollegin irgendwann mitten im laufenden Geschäft einfach hingeschmissen hat. Dann waren wir nur noch zu zweit, haben Minimum 60 Stunden die Woche gearbeitet, von zu Hause noch die Mails bearbeitet und so weiter. Dieses hohe Stresslevel hat bei mir zu einer ernsthaften Erkrankung geführt, es war eine Zeit lang nicht klar, ob ich überhaupt wieder arbeiten könnte. Glücklicherweise ist die Krankheit jetzt unter Kontrolle und ich kann wieder ein normales Leben führen.

Und dann kam vergangenes Jahr der Einbruch nach dem Corona-Hoch?

Nina Wehner und Hannah Wiesehöfer betreiben die Buchhandlung Buchkönigin in der Neuköllner Hobrechtstraße 65, unweit vom Hermannplatz. Im August geht die Buchkönigin mit verkürzten Öffnungszeiten von Mittwoch bis Samstag in die letzte Runde, am 31. August soll Schluss sein.

Wehner: Nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine vergangenes Jahr ist das Geschäft einfach zum Erliegen gekommen. Es wurde noch nie so viel zu den Verlagen zurückgeschickt. Während Corona hatte man viel eingelagert und nun Angst vor der Inflation. Es war wie eine Schockstarre, über Wochen. Da muss einfach etwas passieren, sonst geht zu viel den Bach runter. Andere Länder sind in Sachen Verlagsförderung sehr viel weiter.

Aber dann wollten Sie es trotzdem noch mal versuchen?

Wehner: Ja. Bis Ende des vergangenen Jahres bei mir einfach ein Punkt erreicht war, wo ich gemerkt habe, okay, das geht nicht. Manchmal ist man morgens um zehn da und wegen einer Veranstaltung abends um zwölf erst zu Hause. Das ist einfach zu viel.

Haben Sie mal nachgezählt, wie viele Veranstaltungen Sie gemacht haben?

Wiesehöfer: Vielleicht 20 oder 30 im Jahr.

Also etwa 300 in 13 Jahren?

Wehner: Ja, das könnte hinkommen. Ich will aber auch einfach nicht mehr die komplette Verantwortung für alles andere allein tragen.

Wirtschaftlich?

Wehner: Ja, aber auch inhaltlich! Also: Wann soll ich noch lesen? Mir fehlt der Austausch mit Hannah. Wir haben ziemlich unterschiedlich gelesen und uns ständig darüber ausgetauscht, was wir lesen, und dieses kuratierte Sortiment, das kann ich nicht alleine leisten.

Wiesehöfer: Es macht einfach viel mehr Spaß zu zweit. Der Laden war auf unser gemeinsames Arbeiten ausgelegt, zu zweit ging es einfach am besten.

Sie haben sich kurz vor der Eröffnung der Buchkönigin kennengelernt, richtig?

Wiesehöfer: Über meine Annonce, weil ich einen Buchladen gründen wollte. Zum Glück hat es dann direkt gepasst.

Sie haben damals Bücher ins Schaufenster gelegt zu Themen rund um Feminismus, Sexismus, Rassismus, die teilweise erst heute breit diskutiert werden.

Wiesehöfer: Das war eher zufällig und ganz aus dem Bauch heraus.

Wehner: Ich weiß noch, wie wir uns damals in einen der ersten Coworking Spaces eingemietet haben. Dann haben wir uns die ganzen Kataloge und Vorschauen von den Verlagen schicken lassen und einfach recht intuitiv Bücher ausgewählt. Einfach so, darauf habe ich Bock, darauf habe ich Bock, darauf habe ich Bock. Und dann weiß ich noch, wie die erste Ware kam und wir auf einmal merkten, dass wir doch ganz schön viel politische Sachen bestellt hatten, auch durchaus links. Und dann haben wir uns angeguckt und gesagt: Cool, dass wir das rote Regal für diese Sachen haben. Das steht übrigens immer noch hier.

Wollten Sie eine feministische Buchhandlung machen?

Wehner: Ich habe mein Kind mit 24 bekommen, und da war dann plötzlich nicht mehr viel Raum, um mich irgendwo einzubringen oder mich zu engagieren. Hier war das auf einmal möglich, und ich konnte das wieder abbilden – und ich hatte mit Hannah die gleiche Wellenlänge. Wir wollten Themen, die für Frauen relevant sind.

Hat sich an dieser Ausrichtung in den letzten Jahren etwas geändert?

Wehner: Manchmal wirkt dieser neue Feminismus auf mich wie eine Hülse oder wie ein Lifestyle. Ich finde nach wie vor, du kannst nicht Feminismus sagen und dich nicht für Politik, Ehegattensplitting, Scheidungs- und Abtreibungsrecht interessieren. Ein cooles Käppi oder ein cooles Shirt reichen einfach nicht.

Wiesehöfer: Man muss wissen, was Intersektionalität ist. Dass hinter allen Unterdrückungsmechanismen – ganz gleich, ob es Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Antifeminismus, religiöse Verfolgung, Homophobie, Transphobie oder Klassismus ist, eine einzige Sache steht, nämlich die Diskriminierung.

Wehner: Für mich fühlt es sich manchmal so an, als hätte die nächste Generation eine gewisse Scheu, weil es anstrengend und zeitaufwendig ist, aufzustehen, sich zu engagieren, Petitionen anzutreiben, Dinge durchzusetzen und darüber hinaus auch zu akzeptieren, dass man nicht die Erste ist, sondern dass wir uns mitten in der dritten Welle befinden.

Kommt da vielleicht ein Teil Ihrer Müdigkeit her? Haben Sie die Lust verloren, zu bohren und immer wieder nachzuhaken?

Wiesehöfer: Wir haben die Dinge nicht gemacht, weil sie modern waren, sondern menschlich korrekt und plausibel. Und manchmal erwische ich mich schon dabei, dass ich die nächste Debatte jetzt wirklich nicht auch noch mitverfolgen muss. Dass mich manches einfach nicht mehr so brennend interessiert.

Wehner: Mir wird einiges auch zu kleinteilig. Und die Ansprüche, die manche Leute auch an den Laden hier stellen, die werden mir manchmal zu viel. Ich merke einfach, dass ich mich inhaltlich nicht mehr so stark mit dem identifizieren kann, was hier gewünscht wird. Das ist eine ganz persönliche Entwicklung und soll nicht bedeuten, dass ich das schlecht finde. Es sind einfach nicht mehr so sehr meine Themen.

Wiesehöfer: Es gab zum Beispiel ein Buch über Mikrodebatten innerhalb der queeren Community, und da kam wirklich am selben Tag vormittags eine Person, die uns einen Vortrag darüber hielt, warum das Buch so wichtig sei, und abends eine andere, die sich empörte, dass wir dieses Buch überhaupt verkaufen.

Sie waren schon immer sehr stark verankert hier im Kiez, richtig?

Wiesehöfer: Im Grunde konnte hier ja jeder machen, was er wollte, wenn es nicht rechts war. Die Buchhandlung war ein offener Raum.

Und so konnte auch der Internetbuchhandel keine Bedrohung für Sie sein?

Wehner: Na ja, am Anfang mussten wir den Leuten schon immer wieder erklären, warum die englischsprachigen Bücher im Internet billiger sind als bei uns: dass die nicht der Buchpreisbindung unterliegen, dass die Internethändler ganze Paletten von einem Titel einkaufen und so weiter und so fort.

Was müsste sich im Buchhandel ändern, damit niemand mehr ausbrennt?

Wehner: Ich glaube, das ist immer schon so im Buchhandel. Wenn du dich für den Buchhandel entscheidest, musst du das zu 120 Prozent wollen. Ich bin jetzt seit 20 Jahren Buchhändlerin.

Wiesehöfer: Du musst dein Produkt gut kennen, und das ist im Buchhandel sehr zeitaufwendig.

Wehner: Und es ist auch nicht so, dass es gar keine Förderung gibt. Die Buchpreisbindung zum Beispiel, die enorm wichtig ist. Oder auch der deutsche Buchhandlungspreis. Aber den gibt es halt nur einmal im Jahr, und nur drei der nominierten Buchhandlungen bekommen den mit 25.000 Euro dotierten ersten Preis. Das ist alles richtig und schön, aber wir bräuchten einfach darüber hinaus eine zuverlässigere, flächigere Förderung ohne viel Bürokratie. Das gilt auch für unabhängige Verlage.

Wiesehöfer: Darüber hinaus muss ich sagen, dass es einfach zu viele Bücher gibt. Man hat das Gefühl, man kann die Bücher gar nicht mehr richtig wirken lassen. Mitten im Weihnachtsgeschäft soll man schon ans Frühjahrsprogramm denken.

Sind Sie optimistisch, dass Sie eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für die Buchkönigin finden?

Wiesehöfer: Wir haben schon vor ein paar Monaten öffentlich gemacht, dass wir die Buchkönigin abgeben möchten, konnten aber die Suche noch nicht mit voller Kraft verfolgen. Ich glaube aber, dass sich da jemand finden wird.

Wehner: Es wäre schön, wenn wir das zu einem guten Ende bringen könnten und sich Menschen finden würden, die die grundsätzliche Idee dieses Ortes verstehen, aufgreifen und weiterführen.

Was sind denn Ihre Pläne nach der Buchkönigin?

Wehner: Ich würde gern die Seiten wechseln, vielleicht zu einem Verlag oder einer Literaturvermittlung. Ganz aus der Branche weg will ich nicht. Ich bin ganz zuversichtlich, ich bin seit einigen Jahren in der Branche unterwegs und ganz gut vernetzt.

Wiesehöfer: Ich bin Landwirtin und Lehrerin geworden, und das wird aus familiären Gründen auch noch ein paar Jahre so bleiben.

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