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Pioniere der Netzkunst in Frankfurt a.M.Und ganz oben surrt der Gottserver

Für die bisher größte Einzel­ausstellung von Eva & Franco Mattes muss man sich auf den Boden legen. Seit Jahren begleiten sie schelmisch das Internet.

Erfahrungsberichte als Make-up-Tutorials: „Fake Views“ im Frankfurter Kunstverein Foto: Melania Dalle Grave/DSL Studio

Wo Videokunst vielen sonst maximal einen kurzen Blick im Vorbeigehen wert ist, will jener Blick hier erst einmal auf die Kunst geworfen werden. Im Vorbeigehen ist das aber gar nicht möglich. Denn die Bildschirme der Arbeit „Befnoed“ wurden auf aberwitzige Weise im Raum platziert: ziemlich hoch angesetzt, gegen die Decke gerichtet, kurz überm Boden installiert, zu einem Bildschirmspitzdach geformt oder in die hinterste Ecke verbannt.

Fragen zu Urheberschaft, Informationsfreiheit, Inszenierung geraten en passant in die Waagschale

Anschauen erfordert also derzeit im Frankfurter Kunstverein die Bereitschaft, sich mitten im White Cube hinzulegen oder sich in einen kleinen Freiraum zwischen zwei Wände zu quetschen. Barrierefrei zugänglich sind diese Bilder keineswegs. Und bemerkenswert ist, dass die geforderte Anstrengung eine Spannung schafft, die auch beim geglückten Anschauen aufrechterhalten wird, obwohl es sich um erst einmal unspektakuläre Aufnahmen handelt. Denn so nah wie hier war man dem Bildschirm vermutlich noch nie.

Der Frankfurter Kunstverein zeigt „Fake Views“, die bisher größte Einzelausstellung von Eva & Franco Mattes. Das Duo gilt als Pionier der Netzkunst, die auf die Medien- und Videokünste, vielleicht einen guten Teil der Kunst überhaupt nach 1990, rückwirkte.

1976 in Italien geboren, arbeiten beide seit Jahrzehnten an und mit dem Medium, das unseren Alltag prägt, sowie dessen Implikationen: Fragen zu Urheberschaft, Informationsfreiheit, Inszenierung geraten en passant in die Waagschale. Mal machten Eva & Franco Mattes drei Jahre lang den gesamten Inhalt ihres PCs online verfügbar, mal fakten sie Webseiten von Unternehmen und Vatikan oder erfanden einen Biennale-Künstler, der inszenierte und dann vermeintlich doch echte Bilder von Kriegsopfern zeigte.

Wenn man sie nicht als Trolle bezeichnen möchte, weil der Begriff heute so eindeutig bösartig besetzt ist, dann vielleicht doch als ausgewiesene Schelme. Das Duo kennt seine Materie nicht bloß als diskursive Verfügungsmasse und hat offenbar diebische Freude an ihr. Technologie, erklärten Eva & Franco Mattes einmal The Art Newspaper, kreiere nicht die sozialen Probleme, die wir so oft kritisieren. Ein zentrales Werk im Frankfurter Kunstverein stellt die Installation „The Bots“ dar, in der sich Make-up-Tutorials, auf Tiktok und Youtube beliebte Schminkvideos, als fragmentarisch nacherzählte Erfahrungen von Content-Moderator:innen herausstellen. Für geringe Bezahlung durchforsten diese Bild- und Textmassen nach pornografischen, gewaltvollen und politisch heiklen Inhalten. Oftmals über Subunternehmen. Wer genau ihr Auftraggeber ist, wissen viele gar nicht.

Liegt das Problem in den sozialen Medien oder im Menschen?

Die neon-gelben Kabeltrassen mit halber Katze Foto: Melania Dalle Grave/DSL Studio

Die Mo­de­ra­to­r:in­nen geben groteske, oft erschreckende, bisweilen banale Einblicke, manchmal alles zugleich. Liegt das Problem nun in den sozialen Netzwerken, den dahinterstehenden Milliardenunternehmen, der Politik oder doch im Menschen selbst begründet? Was ist nun jener überhaupt im World Wide Web, wenn man frei nach Friedrich Kittler feststellte: „Letztlich passen wir uns der Maschine an, nicht die Maschine an uns“? Wo andere verkürzen, fächern Eva & Franco Mattes die Dinge weiter auf.

Dies mit oft ziemlich guten Pointen, wie nochmals Befnoed zeigt: Wirkliches Anschauen ist in diesem Setting anstrengend, denn Sehen erfordert ja Abstand, entspannt konsumieren ist unmöglich.

Wer einen Blick erhascht, sieht kurze Ausschnitte von Menschen, die Eimer auf dem Kopf tragen oder auf eine Leiter klettern. Nonsense-Videos, deren Performance das Duo bei lokalen Mikrojobbern in Auftrag gibt und auf peripheren, kaum mehr genutzten sozialen Plattformen beispielsweise in Pakistan, Russland oder Indien einschleust. Kommentarlos, ohne jeglichen Hinweis auf ein Kunstprojekt. Klandestin vor sich hin flimmernde Bilder, die vielleicht ein Stirnrunzeln hervorrufen, vielleicht mehr. Man könnte sie jederzeit finden – theo­retisch. In der Praxis wird das womöglich nie passieren. Das globale Dorf erscheint plötzlich als reine Mär.

Durch den gesamten Kunstverein schlängelt sich eine neon­gelbe Kabeltrasse, die alle digitalen Arbeiten miteinander verbindet. Bei einigen muss man dem Duo freilich glauben, dass sie existieren. Man kann die 101 permanent verschickten Bilddateien, die hier behauptet werden, nicht sehen, nur ihre äußere Infrastruktur begutachten. Ganz oben surrt, gesichert in einem Gitterkäfig, der Gottserver vor sich hin. Über einen Link kann das Publikum Teil des Netzwerks werden und Zugang zu den hier geteilten Bild­dateien erhalten. Ob sein Wirken hierdurch weniger okkult wird – oder Erkenntnis, wie oft bei Eva & Franco Mattes, amüsant, aber flüchtig bleibt?

„Fake Views – Eva & Franco Mattes“: Kunstverein Frankfurt am Main. Bis 9. September

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