Künstliche Intelligenz in der Kunst: Auf der Suche nach dem Deep Fake

Eine Ausstellung will KI in der Kunst zeigen. Was es bedeutet, wenn Technologie täuschende Bilder produziert, erklärt sie aber kaum.

Eine sumpfige Landschaft mit einer Reihe Straßenlaternen

Postapokalyptische Landschaften: Philippe Parreno, „The Owl in Daylight“, 2020 Foto: Courtesy of the artist and Esther Schipper Paris/Berlin/Seoul

Angeblich brauchte es nur eine Haarlocke, die im Internet ersteigert wurde, um Marlene Dietrich mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) zum Leben zu erwecken. Mit Zylinder, berlinernd, in einem Rahmen wie in der Künstlergarderobe hinter der Broadwaybühne ist sie in der Videoinstallation von kennedy+swan zu sehen.

Wenn man die bereitliegenden Brillen aufsetzt, sogar in 3D. Die 1992 in Paris verstorbene deutsche Diva wurde mit Computertechnik und Videotricks wieder ins Reich der Lebenden befördert, wo sie sich nun über solche technische Innovationen nur wundern kann.

Mit künstlicher Intelligenz (KI) reanimiert wird nicht nur sie in der Ausstellung „Shift. KI und eine zukünftige Gemeinschaft“, die vom Kunstmuseum Stuttgart und dem Marta Herford entwickelt wurde und nun in der westfälischen Stadt mit dem charakteristischen Museumsbau von Frank O. Gehry zu sehen ist.

Einen Raum weiter tönt die Stimme einer 2.000 Jahre alten Mumie schauerlich aus sechs Lautsprecherboxen, auch sie mithilfe von KI von dem deutschen Künstler Christian Kosmas Mayer und von Wissenschaftlern der Technischen Universität Dresden aus den zusammengeschnurrten Stimmbändern des Leichnams ausgelesen.

Geister auf Fotografien des 19. Jahrhunderts

„Shift. KI und eine zukünftige Gemeinschaft“: Marta Herford, bis 15. Oktober. Katalog: 30 Euro

Gleich daneben hat Mayer Bilder des US-amerikanischen Fotografen Wiliam H. Mumler aus dem 19. Jahrhundert nachbearbeitet. Mumler ließ durch Doppelbelichtung Geister hinter seinen Fotomotiven erscheinen; er haucht den Gestalten auf den braunstichigen Bildern neues Leben ein, indem er als digital animierter Geist in sie fährt und sie die Augen rollen und die Lippen bewegen lässt.

Aber was für eine Art von KI wirkt eigentlich in diesen Arbeiten? Bei Heather Dewey-Hagborg hat sie offenbar dabei geholfen, aus einer Speichelprobe der US-amerikanischen Whistle­blow­erin Chelsea Manning anhand der DNA ein gutes Dutzend mögliche Gesichter zu generieren. Mit dem 3D-Drucker ausgedruckt hängen sie nun gespenstisch von der Decke.

Bei Philippe Parreno würfelt die KI aus digitalen Bilddateien eine sich kontinuierlich leicht verändernde post­apokalyptische Landschaft in einer Videoprojektion zusammen. Und bei den Arbeiten von Hito Steyerl bringt sie offenbar 3D-Modelle mit Bewegungsdaten aus der Überwachungskamera zum Tanzen.

KI arbeitet oft im Hintergrund

In der NFT-Galerie von Christoph Faulhaber ist auf den ersten Blick gar kein signifikanter Einsatz von künstlicher Intelligenz zu beobachten – oder zumindest keiner, der über den hinausgeht, an den wir uns schon lange gewöhnt haben, weil er bei Amazon, Google, Online-Karten, Autokorrekturprogrammen oder Grafiksoftware unbemerkt im Hintergrund stattfindet.

„Shift“ zeigt Kunst, die in einer Zeit entstanden ist, als künstliche Intelligenz noch eher als Mittel zum Zweck hinter den Kulissen funktionierte, denn wirklich als Gestaltungsmittel diente. Was die Ausstellung nicht mehr reflektiert, ist der Shift, der sich im vergangenen Jahr abgespielt hat, als plötzlich hochentwickelte KI-Anwendungen wie ChatGPT oder Stable Diffusion für jedermann im Internet benutzbar wurden.

Was sie daher nicht zeigen kann, ist der Paradigmenwechsel, den dies bedeutet hat, ebenso wenig wie die neuen Formen von Gemeinschaft, die so entstanden sind: Textprogramme wie ChatGPT oder Bildgeneratoren wie DALL-E oder Midjourney sind Teil der Netzkultur geworden, haben virale Bilder und Memes hervorgebracht und es auf die Titelseiten von Cosmopolitan und Spiegel geschafft.

Das festzustellen hat nichts mit Häme zu tun. Bei Ausstellungen mit ganz aktuellen Themen besteht einfach die Gefahr, dass sich die Welt weiterdreht, noch während sie zu sehen sind.

Daran ist nichts Ehrenrühriges, im Gegenteil; in der deutschen Kunstwelt, die mit digitaler Kunst ebenso fremdelt wie mit den Themen der globalen Informationsgesellschaft, ist es schon ein Alleinstellungsmerkmal, wenn man vom aktuellen technischen Status quo und von den so ausgelösten diskursiven Verschiebungen überhaupt überholt werden kann.

„Shift“ ist so zur Retrospektive einer Kunst geworden, die zu einer Zeit entstanden ist, die man wohl langsam als „Vor-Chat-GPT“-Periode bezeichnen kann, auch wenn zum Beispiel kennedy+swan sogar schon mit GPT 3 gearbeitet haben. Aber die Art, wie künstliche Intelligenz hier eingesetzt wurde, hat oft etwas Nebelhaftes und einschüchternd Komplexes.

Die Blackbox künstliche Intelligenz wird trotzdem nicht aufgeknackt. Auch wenn sicherlich keiner der Künstler die Absicht hatte, KI zu mystifizieren, fehlen Werke, die diese Technologie wirklich transparent machen oder dekonstruieren. Da hat der Papst in der aufgepumpten Schneejacke, der kürzlich im Netz viral gegangen ist, möglicherweise eine noch aufklärerischere Wirkung.

Und die wieder erwachte Marlene Dietrich in der Videoinstallation von kennedy+swan? Ist in Wirklichkeit auch kein mit superschlauer KI erstellter, täuschend echter und verblüffend lebensnaher Deep Fake – sondern eine ganz normale Schauspielerin.

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