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Netflix-Film „Nimona“Auflösung der Klassengesellschaft

Mittelalterwerte und futuristische Flugautos treffen im Netflix-Film „Nimona“ aufeinander. Und es geht um Ungleichheit von metaphysischem Ausmaß.

Nimona Foto: Netflix

D ie bevorstehende Änderung im Königreich ist gigantisch: Die Garde des Instituts für Eliteritter soll nicht mehr Angehörigen von Adelsfamilien vorbehalten sein, sondern zukünftig allen Menschen offenstehen. Ausgerechnet das Schwert von Ballister Boldheart, den die Königin als Erstes in diese neue Ordnung aufnimmt, killt die Reformerin mit einem Laserstrahl.

Boldheart muss seinen Geliebten Ambrosius Goldenloin zurücklassen und untertauchen. In seinem Schrottiversteck wird er von der fünfzehnjährigen Nimona heimgesucht, die Bock hat, mit einem Bösewicht zusammenzuarbeiten. Nur ist Boldheart eben kein Bösewicht und Nimona kein menschliches Mädchen.

Mittelalterwerte und futuristische Flugautos treffen im Netflix-Film „Nimona“ aufeinander. Der Trickfilm ist ein Plädoyer für die Auflösung der Klassengesellschaft und letztlich für Entmilitarisierung, denn der Status quo, in den Boldheart aufgenommen wird, basiert auf einem Fundament der Ungleichheit von metaphysischem Ausmaß.

Nimona ist nämlich ein Wesen, das jede Form annehmen kann – Eichhörnchen, Wal, Drache mit Nasenring – womit ihre Umwelt so gar nicht klarkommt. Mauern wurden gebaut und Nimona seit Jahrhunderten zum Phantom verklärt, dem die Ritter eines Tages in einer tödlichen Battle gegenüberstehen sollen. Sogar Kinder werden schon morgens auf der Cornflakespackung vor dem Monster gewarnt und mit kleinen Plastikfigürchen spielerisch auf Kampf trainiert.

Als Wesen existieren reicht

Der Vorschlag der italienischen Familienministerin Eugenia Rocella, zu verbieten, Haustieren menschliche Namen zu geben, erscheint bei diesen Szenen plötzlich nicht mehr so banal. Zumal Giorgia Meloni parallel damit begann, Co-Eltern aus den Geburtsurkunden von Kindern aus queeren Familien zu streichen.

Der Film, der auf ND Stevensons Graphic Novel basiert, ist dagegen endlich ein Kinderfilm, in dem zwei Männer sich händchenhaltend ihre Liebe erklären. Riz Ahmed, der Schauspieler mit den liebsten Augen von Hollywood, spricht Boldheart bewusst mit Akzent, und das Animationsteam hat es geschafft, seine ikonische Mimik auf die Figur zu übertragen.

Und dann ist da Nimona. Auch wenn sie tausend Jahre alt ist, ihre Teenagerseele sucht sich in Boldheart die erwachsene Person, die sie an ihrer Seite braucht. Die Szenen, in denen sie die Bitte, einfach in Mädchenform aufzutreten, nicht versteht, weil sie gerade ein Hai ist und weil sie weder eine menschliche noch eine tierische Ursprungsform hat, sind großartig. Sie erinnern daran, dass das Außen kein Recht auf queere Transparenz hat, weder auf Blicke in Unterhosen, noch auf die persönlichsten Winkel unserer Erfahrungen.

Daran, dass wir nicht erst dadurch Rechte erlangen, dass wir alles von uns preisgeben, was der Mainstream für verwertbar hält, sondern dass es reicht, als Wesen auf diesem Planeten zu existieren, um von unwiederbringlichem Wert zu sein.

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Noemi Molitor
Redakteur:in
Redakteur:in für Kunst in Berlin im taz.Plan. 2022-2024 Kolumne Subtext für taz2: Gesellschaft & Medien. Studierte Gender Studies und Europäische Ethnologie in Berlin und den USA und promovierte an der Schnittstelle von Queer-Theorie, abstrakter Malerei und Materialität. Als Künstler:in arbeitet Molitor mit Raum, Malerei und Comic. Texte über zeitgenössische Kunst, Genderqueerness, Rassismus, Soziale Bewegungen.
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