Expertin über Hitzeschutz in Deutschland: „Wir müssten es nur wollen“

Wie können wir Städte hitzeresistent machen, wie vulnerable Gruppen schützen? Knackpunkt sei die Umsetzung, sagt Hitzeexpertin Henny Annette Grewe.

Einr Pflegerin hilft einer älteren Person beim Trinken.

Vor allem ältere Personen müssen bei Hitze genug trinken Foto: Christian Charisius/dpa

taz: Frau Grewe, eine neue Studie kommt zu dem Ergebnis, dass im Sommer 2022 mehr als 61.000 Menschen in der EU an Hitze gestorben sind, darunter 8.173 in Deutschland. Das sind fast dreimal so viele, wie es Verkehrstote gab. Wie stirbt man denn an Hitze?

Henny Annette Grewe: Die klassische Todesdiagnose ist der Hitzschlag: Die Körpertemperatur ist auf 41, 42 Grad angestiegen, der Organismus wird dadurch derart überhitzt, dass Zellen zerstört werden, Bakterien in die Blutbahn eindringen, es kommt zu einem multiplen Organversagen. Die meisten Menschen sterben aber schon bei Körpertemperaturen unter 40 Grad.

ist Professorin und forscht am Public Health Zentrum Fulda zu Klimawandel und Gesundheit. Sie berät Behörden in Bund, Ländern und Kommunen.

Weshalb?

Wir Menschen produzieren durch Stoffwechselvorgänge ständig Wärme und werden bei hohen Umgebungstemperaturen zusätzlich erwärmt. Um die Kerntemperatur stabil zu halten, müssen wir überschüssige Wärme loswerden. Ab etwa 30 Grad Umgebungstemperatur geht das nur über Schwitzen: Damit die Wärme abgegeben werden kann, ist ein funktionierendes Herz-Kreislaufsystem notwendig, eine gesunde Lunge, eine gut arbeitende Niere, genug Flüssigkeit im Körper und so weiter.

Säuglinge und Kleinkinder haben, bezogen auf die Körpermasse, im Vergleich zu Erwachsenen eine größere Körperoberfläche, kühlen demnach bei niedrigen Umgebungstemperaturen schneller aus, werden bei hohen Umgebungstemperaturen aber auch schneller erhitzt. Im Alter oder durch Erkrankungen lässt die Leistungsfähigkeit der genannten Organsysteme nach, dies kann bei großer Hitzebelastung zu einem Versagen beispielsweise des Herz-Kreislaufsystems führen.

Wie ermittelt man denn, ob jemand an Hitze gestorben ist?

Die wenigsten Menschen werden nach ihrem Tod obduziert, weshalb die exakte Todesursache nicht immer bekannt ist. Zur Ermittlung der Hitzetoten wird daher ein statistisches Verfahren angewandt. Ganz vereinfacht gesagt: Es gibt Erfahrungswerte, wie viele Menschen in einem Bundesland oder einer Stadt pro Tag sterben. Wenn nun eine Hitzewelle über das Land zieht, registrieren die Behörden eine Übersterblichkeit: Mehr Menschen verlieren ihr Leben als „normal“ wäre, und das sind dann – mit etlichen Kontroll- und Sicherungsfaktoren überprüft – die hitzebedingten Todesfälle.

Nun hat Deutschland gerade wieder geschwitzt mit Temperaturen von bis zu 38 Grad. Wie viele Hitzetote gab es diesmal?

Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht seit 2019 Zahlen zur „hitzebedingten Mortalität in Deutschland“. Demnach sind hierzulande in diesem Jahr bis zum 2. Juli bereits 810 Menschen an Hitze gestorben.

Die Wissenschaft warnt: Die Klimaerhitzung wird mehr „Heiße Tage“ nach Mitteleuropa bringen, mehr „Tropische Nächte“ in denen es sich nicht mehr unter 20 Grad abkühlt, längere Hitzeperioden. Wie wird sich das Problem des Hitzetods in der Bundesrepublik entwickeln?

Das hängt natürlich davon ab, ob Deutschland sich endlich an die Veränderungen anpasst, die wir ja seit dem Hitzesommer 2003 mit 7.600 Toten beobachten. Das Bundesumweltministerium hat 2017 Handlungsempfehlungen zum Schutz der Bevölkerung vor und bei Hitze veröffentlicht. Dies und die heißen Sommer der letzten Jahre haben bereits in einigen Kommunen und Bundesländern ein Umdenken bewirkt. Wir brauchen aber nicht nur Hitzeaktionspläne, wir müssen sie auch umsetzen.

Zum Beispiel?

In Kassel gibt es bereits seit mehr als zehn Jahren einen Telefonservice für hitzegefährdete Menschen in der Kommune, Köln hat einen Hitzeaktionsplan für ältere Menschen implementiert, Worms, Mannheim und Nürnberg setzen ihre Pläne gerade um, Hessen hat im Februar einen Landes-Hitzeaktionsplan veröffentlicht, um nur einige zu nennen. Gute Hitzeaktionspläne sind in der Umsetzung sehr komplex, arbeits-, personal- und damit auch kostenintensiv: So etwas setzt man nicht mal eben in einem Jahr um, das braucht mehr Zeit und natürlich die entsprechenden Ressourcen.

Was muss ein guter Hitzeaktions-Plan beinhalten?

Er muss Zuständigkeiten und Maßnahmen für eine akute Hitzewelle und für den langfristigen Schutz der Bevölkerung vor und bei Hitze verbindlich festlegen. Seit 2005 betreibt der Deutsche Wetterdienst ein Hitzewarnsystem. Einer Warnung sollte ein ganzes Bündel von Maßnahmen folgen, die über Verhaltenstipps wie nachts lüften, tags die Fenster verschatten und viel trinken hinausgehen.

Ein Kernelement sollte die Betreuung vulnerabler Menschen sein. Bei Hitze müssten zum Beispiel viele Medikamente anders dosiert werden, gebrechlichen Personen sollte beim Einkaufen geholfen werden, Menschen, die in überhitzten Wohnungen leben müssen, sollten zumindest stundenweise an kühlen Orten Erholung finden können. Enthalten muss ein solcher Plan auch Angebote für Wohnungslose – analog zum Kältebus im Winter.

Und langfristig?

Langfristig muss es darum gehen, unsere Städte und unsere Häuser anzupassen. Wir brauchen Frischluftschneisen, um die angestaute heiße Luft aus den Straßenfluchten nachts auszuwaschen. Wir müssen die Städte begrünen, Bäume kühlen durch ihre Verdunstung bekanntlich. Wir brauchen Wasserflächen und müssen dafür sorgen, dass das Wasser, was durch die zunehmenden Starkregen zu uns kommt, nicht einfach durch die Kanalisation abfließt, sondern zur Verdunstungskühlung und Bewässerung zur Verfügung steht. Denn mit Hitze geht sehr oft auch Dürre einher.

Nun hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einen „nationalen Hitzeschutzplan“ angekündigt. Was ist von diesem zu halten?

Das ist zunächst einmal eine Absichtserklärung. Aber natürlich ist es zu begrüßen, dass der Gesundheitsschutz während Hitzewellen endlich auch im Bundesgesundheitsministerium Thema wird. Bislang waren das Umweltministerium und das Umweltbundesamt in der Klimaanpassung aktiv. Aber der Schutz der menschlichen Gesundheit ist natürlich auch eine Aufgabe des Gesundheitssystems und seiner Akteure – nicht nur über die Dosierung der Medikamente.

Sie halten das Gebäudeenergiegesetz (GEG) für eine große Chance zum Schutz vor Hitze. Warum?

Ich halte das GEG für eine in dieser Runde augenscheinlich verpasste Chance. Sind Gebäude gut gedämmt und mit Außenverschattung versehen, könnten sie auch Schutz gegen Hitze bieten. Leider gibt es im GEG nur für Neubauten Anforderungen an den sommerlichen Wärmeschutz, diese basieren allerdings auf historischen Daten und berücksichtigen die Klimaprognosen nicht. Für Bestandsgebäude gibt es bislang überhaupt keine Verpflichtung zur Anpassung.

Ich halte das für unbedingt nachbesserungsbedürftig, unter anderem aufgrund der Zuordnung von Pflegeheimen zu „Wohngebäuden“. Für Arbeitsplätze in Gebäuden gilt ein Grenzwert von 35 Grad, der bei körperlicher Arbeit zum Beispiel in Pflegeheimen oder Krankenhäusern – dies teilweise auch noch in Schutzkleidung – als deutlich zu hoch angesehen werden muss.

Als prinzipielle Chance sehe ich das GEG, weil mit der Anpassung von Gebäuden Umgebungen, in denen wir uns aufhalten, kühler gemacht werden könnten. Dies würde zwar teuer, könnte aber wirken – wir müssten es nur wollen. Viel schwieriger umzusetzen ist der Hitzeschutz bei „Draußen-Arbeitsplätzen“ auf dem Bau oder in der Landwirtschaft.

Wenn Sie den Kampf gegen Hitze hierzulande mit anderen Europäern vergleichen: Wer ist Vorreiter?

Bezeichnend ist, dass Frankreich in der eingangs erwähnten Studie recht gut abschneidet: Verglichen mit Deutschland gab es 2022 in Frankreich sehr viel weniger Hitzetote pro Hunderttausend Einwohner. Frankreich hat den Hitzeschutz nach 2003 von höchster Stelle verordnet, über lokale Hitzepläne installiert und sogar einen Feiertag abgeschafft, um die Maßnahmen auch gegen zu finanzieren.

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