piwik no script img

Neue Anthologien afrikanischer LiteraturDehnungsstreifen auf dem Herzen

Aufrüttelnd und augenöffnend sind zwei neue Anthologien afrikanischer Au­tor:in­­nen. Das ist auch ein Verdienst der Verlegerin Margaret Busby.

Die Verlegerin Margret Busby 2020. Sie war die erste Schwarze Verlegerin in Großbritannien Foto: David Parry/empics/picture alliance

Im Oktober 1992 veränderte eine Schwarze Publizistin nachhaltig den Blick auf die Literatur. Damals erschien die aufsehenerregende Anthologie „Daughters of Africa“, in der die 1944 in Ghana geborene Verlegerin Margaret Yvonne Busby über 200 weibliche Stimmen afrikanischer Herkunft versammelte. Neben den unmittelbaren Töchtern Afrikas nahm Busby auch Töchter in der Diaspora auf, die in der Linie der Afri­ka­ne­r:in­nen stehen, die vor Jahrhunderten entführt und versklavt wurden.

Jahrelang hatte sie dafür Pionierarbeit geleistet und Texte von Autorinnen aus allen Winkeln der panafrikanischen Welt zusammengetragen, wie aus einem Gespräch mit der Zeitschrift Kulturaustausch hervorgeht: „Schwarze kamen in meinem Studium weder als literarische Figuren noch als Autorinnen oder Autoren vor“, sagt sie da. „Ich musste mich also selbst auf die Suche machen und verbrachte viel Zeit in Antiquariaten.“

Diese Erfahrung veranlasste sie, Ende der 60er Jahre gemeinsam mit ihrem Mann Clive Allison den Verlag Allison & Busby ins Leben zu rufen. Als erste Schwarze afrikanische Verlegerin Großbritanniens bot sie Au­to­r:in­nen wie Buchi Emecheta, Nuruddin Farah, C. L. R. James oder Ishmael Reed eine Heimat. Einige der von ihr verlegten Autorinnen fanden sich in „Daughters of Africa“ wieder.

Zu den bekannten Töchtern in der Anthologie zählten schon damals Maya Angelou, Maryse Condé, Angela Davis, bell hooks, Jamaica Kincaid, Audre Lorde, Toni Morrison und Alice Walker. Andere wie May Ayim, Tsitsi Dangarembga, Buchi Emecheta, Gail Jones, Nella Larsen oder Ann Petry kannte hingegen kaum jemand. Heute sind diese Schriftstellerinnen auch deutschen Le­se­r:in­nen bekannt, ihre Werke wurden in den letzten Jahren als spektakuläre Wiederentdeckungen neu aufgelegt.

Dass Busby sie schon vor Jahrzehnten als wegweisende Stimmen afrikanischen Ursprungs präsentierte, belegt die Maßstäbe setzende Bedeutung ihrer knapp 1.200 Seiten umfassenden Anthologie.

Gegen Klischee und Vereinfachung

Die bildet bis heute das perfekte Gegenmittel für die weit verbreiteten Klischees über das Leben afrikanischer Menschen. Die Vielfalt der Regionen, Stile, Ästhetik und Generationen in Busbys Sammlung beugt der „Gefahr einer einzigen Geschichte“ vor, vor der die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie einst warnte. „Daughters of Africa“ war aber auch in anderer Sicht ein emanzipatives Projekt. Es sollte ein Bewusstsein für die kollektive Kraft und historische Verbundenheit der weiblichen Stimmen Afrikas schaffen. „Wenn wir nicht verstehen, woher wir gekommen sind, werden wir kaum verstehen, wohin wir gehen“, schrieb Busby im Vorwort.

Die Anthologien

Christa Morgenrath, Eva Wernecke (Hg.): „Neue Töchter Afrikas“. Aus dem Englischen von Aminata Cissé Schleicher und Eleonore Wiedenroth-Coulibaly. Unrast, Münster 2023, 256 Seiten, 22 Euro

Jona Elisa Krützfeld, Thomas Brückner (Hg.): „Was mittwochs war, und freitags“. Aus dem Englischen von Thomas Brückner. Akono, Leipzig 2023, 216 Seiten, 19 Euro

Das scheint funktioniert zu haben, Schwarze Autorinnen treten inzwischen nicht nur selbstbewusster auf, sondern sind auch sichtbarer. Und doch gibt es immer noch deutlich mehr zu entdecken, als bereits vorliegt. „Man stelle sich einfach vor, wie viele Geschichten es aus der zweitgrößten Region der Welt mit Tausenden von Sprachen und individuellen Ethnien noch zu erzählen gibt“, um es mit den Worten des nigerianischen Kulturjournalisten Dipo Faloyin zu sagen.

Das dachte sich wohl auch Busby und präsentierte mit der Sammlung „New Daughters of Africa“ vor fünf Jahren 200 weitere Stimmen Afrikas. Der zweite Band versammelte Schriftstellerinnen, auf die sie die Autorinnen der ersten Ausgabe hinwiesen. Neben einigen international längst etablierten Erzählerinnen wie Chimamanda Ngozi Adichie, Bernardine Evaristo, Imbolo Mbue, Nadifa Mohamed, Marie NDiaye,Taiye Selasi oder Zadie Smith befanden sich darunter erneut viele unbekannte Namen.

Selbstermächtigung und Widerstand

Weil Anthologien im deutschen Buchmarkt schwer zu vermitteln sind und die Übersetzung solcher Mammutprojekte in der Regel keine ausreichende Förderung findet, kann man leider nur eine kleine Auswahl der „Neuen Töchter Afrikas“ in deutscher Übersetzung lesen. Aber allein die lohnt sich.

Die von Aminata Cissé Schleicher und Eleonore Wiedenroth-Coulibaly souverän, varianten- und einfallsreich übersetzten Essays, Erzählungen und Gedichte reflektieren auf unterschiedlichen Wegen das afrikanische Erbe ihrer Autorinnen. Sie erzählen von Selbstermächtigung und Widerstand, Flucht und Exil, Träumen und Traumata, wobei aktuelle Debatten über Rassismus, Feminismus, Gender- und Identitätspolitik immer mitschwingen.

Etwa wenn die in Botswana geborene Schriftstellerin Wame Molefhe über weibliche Scham, männliche Gewalt und Sprachpolitik nachdenkt oder die in Simbabwe geborene Publizistin Ellah P. Wakatama die koloniale Unterwerfungserfahrung ihres Großonkels mit Witz und Fantasie in eine Heldenerzählung umdeutet.

Die Folgen der kolonialen Vergangenheit tauchen immer wieder auf. Die nigerianisch-britische Schriftstellerin Selina Nwulu richtet in ihrem Essay „Die Kühnheit unserer Haut“ den Blick auf die fatale Deutungshoheit der Kolonialmächte, die ihre Generation mit der Muttermilch aufgesogen hat. „Wie kommt es, dass wir in einer Sprache leben, die unsere Hautfarbe mit einem Schiffbruch gleichsetzt, bei dem alle Hoffnung verloren ist?“, fragt sie, um dann in Anlehnung an Ngūgī wa Thiong’o eine Rückkehr zu den afrikanischen Sprachen einzufordern. „Es mag kein Klang sein, den ihr kennt“, wendet sie sich an die Erben der Kolonialisten, „aber es wird unserer sein, nur unserer.“

Zerrissenheit zwischen den Kulturen

Das Bedürfnis nach Selbstbehauptung und Stärkung der eigenen Geschichte findet nicht nur in diesem Text Ausdruck. Die südafrikanische Publizistin Sisonke Msimang sieht darin sogar eine grundsätzliche Haltung ihrer Generation. „Die Herzen unserer Eltern bargen Träume, während wir, die postkolonialen Kinder der Elite, die Vision einer dekolonisierten Zukunft in unserem Lächeln trugen.“

Es kommt aber auch die Zerrissenheit zwischen den Kulturen zur Sprache, etwa wenn die burundische Dichterin Ketty Nivyabandi das kraftvolle Bild einzuölender „Dehnungsstreifen, die kreuz und quer auf deinen Herzen verlaufen“, aufruft. Die Vielfalt der ausgewählten aufrüttelnden, augenöffnenden und faszinierenden Geschichten kann man mit Blick auf die umfangreiche Vorlage nur erahnen.

Allerdings hat die von vier afrodeutschen Beraterinnen vorgenommene Auswahl eine Schwäche. Es fehlen die Stimmen Afrikas, die auf Französisch, Portugiesisch oder in einer der zahlreichen afrikanischen Sprachen schreiben. Die sind zwar schon im ziegelsteindicken Original unterrepräsentiert, hier fehlen sie jedoch völlig.

Dass die Kuratorinnen auf deutschsprachige Töchter Afrikas verzichtet haben, ist wiederum nachzuvollziehen. Die kann man bei den „Stimmen Afrikas“ entdecken, die die Herausgeberinnen des Bandes, Christa Morgenrath und Eva Wernecke, gegründet haben, oder in der Dokumentation des Schwarzen Literaturfestivals „Resonanzen“.

Über Lieben und Begehren

Eine Alternative zu den Neuen Töchtern Afrikas bietet der Kurzgeschichtenband „Was mittwochs war, und freitags“, den Jona Elisa Krützfeld und Thomas Brückner zusammengestellt haben. Brückner, Übersetzer von Autoren wie Abdulrazak Gurnah, Ngūgī wa Thiong’o oder Helon Habila, ist einer der besten seines Fachs. Das merkt man auch seiner vielstimmigen, nuancenreichen und präzisen Übersetzung der 18 afrikanischen „Geschichten über das Lieben und Begehren“ an, die das Buch versammelt. In ihnen geht es um Affären und Eifersucht, Online-Dating und queeren Sex, (Macht-)Missbrauch und Gewalt. Liebe und Begehren sind hier oft nur ein gefährliches Funkeln in der Finsternis.

„Deine Mutter fickt einen anderen“, brüllen die Klassenkameraden des Ich-Erzählers in der titelgebenden Erzählung des nigerianischen Schriftstellers Toni Kan. Die Affäre, die seine Mutter mit Uncle John hat, ist ein offenes Geheimnis. Dennoch denkt sie nicht daran, sie sausen zu lassen. Die Gründe sind komplex, so wie Vertrauen und Zuneigung keine einfachen Angelegenheiten sind.

Überhaupt lassen die stilistisch sehr unterschiedlichen Erzählungen hier mehr Assoziationsraum. Sie zielen weniger auf politischen Aktivismus als vielmehr in die Welt der Fantasie. So hinterfragt der Südafrikaner Tuelo Gabonewe in seiner magisch-realistischen Erzählung „Die Verwandlung“ stereotype Geschlechterbilder. Eine Mittvierzigerin findet einen Phallus, der sich in ihrer Kontrolle zu einem attraktiven Mann auswächst, der „vögelte wie ein Ungeheuer“. Das Vergnügen wärt jedoch nur kurz, denn auch Schwarze Männer können Egoisten sein.

Wenngleich in dem Band vier Töchter Afrikas sowie einige internationale Preisträger vertreten sind, dürften die wenigsten der 18 Au­to­r:in­nen mit Herkünften aus Uganda, Kamerun, Südafrika, Nigeria und der Elfenbeinküste dem deutschen Publikum bekannt sein. Es gibt also wirklich neue Stimmen zu entdecken.

Wer sich für die zeitgenössische Literatur aus afrikanischen Ländern interessiert, kommt weder an „Neue Töchter Afrikas“ noch an „Was mittwochs war, und freitags“ vorbei. In beiden Anthologien findet man einige der „außergewöhnlichen Geschichten von bemerkenswerten Gewöhnlichkeiten“, die sich Dipo Faloyin in seiner Streitschrift „Afrika ist kein Land“ wünscht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!