Essensgewohnheiten in Finnland: Das Erbsige muss erhalten bleiben

In Finnland trifft man sich zum Mittagessen um Punkt 11 Uhr am Buffet. Eine ganz spezielle Kombination gibt’s donnerstags. Hyvää ruokahalua!

Neonreklame mit dem Motiv einer Kaffeetasse und von Messer und Gabel

Ein Käffchen in Finnland Foto: Mark Thomas/mauritius images

Jeder kennt diesen Kollegen, der sich mit der Verlässlichkeit einer Atomuhr um Punkt 12 vom Schreibtisch erhebt, um Mittag zu machen. Heimlich belächelt man ihn, weil er so gut auf das betriebsnudelige Klischee des überpünktlichen Kantinendeutschen einzahlt, und bewundert ihn zugleich, weil man weiß: Hier hat jemand sein Leben im Griff. Hier herrscht beruhigende Struktur, jedenfalls zur Tagesmitte.

Nun, und dann fahren Sie mal nach Finnland.

Hier wäre besagter Kollege ein Tagträumer und Spätesser. Die lounasaika, die Lunchtime also, beginnt in Finnland um 11 Uhr – und das ist keine Übung! Jüngst hospitierte ich bei der Tageszeitung Helsingin Sanomat, in deren gläsernem Hauptquartier die Kantine im Kellergeschoss von oben gut einsehbar ist, und verlässlich wenige Minuten nach 11 war der Laden bumsvoll.

Und so läuft das in ganz Helsinki, vor fast allen Restaurants werben Schilder für das Lounas-Angebot ab 11 Uhr, manchmal schon ab 10.30 Uhr. Es gibt sogar Webseiten wie www.lounasmenu.fi, die einen Überblick über die Mittagskarten von über hundert finnischen Orten bietet. Doch wo in Deutschland der Mittagstisch aus Tellergerichten besteht, ist die Standardlösung in Finnland: das Buffet. Man nimmt sich ein Glas Leitungswasser (das in Finnland ohnehin überall kostenlos bereitsteht) oder auch – ja, warum denn nicht? – Milch. Es gibt Brot, eine Tagessuppe, eine stets reich bestückte Salatbar, dann mehrere Hauptgerichte und Stärkebeilagen. Und zum Schluss natürlich Filterkaffee, das heilige Getränk der Finnen, all inclusive, auch zum Mitnehmen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wie bei uns liegt der Preis des Mittagsangebots deutlich unter dem für ein Abendessen am gleichen Ort. Das bedeutet in Helsinki: zwischen 12 und 14 Euro, auffällig oft genau 12,70 Euro. Für Sparfüchse ist das eine gute Chance, einige tolle Lokalitäten zu erkunden. Denn wie vor einigen Monaten auf diesen Seiten bereits treffend festgestellt wurde, „sind viele frühere Zeugnisse der architektonischen Moderne in Helsinki zu Hause, Bauten der 1930er, -40er, -50er Jahre, die man vielerorts längst wieder demoliert und mit einer verklärten Vergangenheit ersetzt hat“.

Lang, flach und weiß, der Lasipalatsi

Da ist zum Beispiel der Lasipalatsi. Lang, flach und weiß liegt er wie ein elegantes Möbelstück in Helsinkis Zentrum und bildet einen deutlichen Kontrast zur wuchtigen, oft klinkerdunklen Blockbebauung der Stadt. Er ist ein Kind des Funktionalismus, 1936 eröffnet; heute verstrahlt das perfekt sanierte Gebäude auch dank der Neonbeleuchtung Retrocharme. Der setzt sich im Inneren fort, etwa im „Café Lasipalatsi“ mit seinen Freischwingerstühlen und den Messing-Garderobenständern. Das Essen hier ist grundsolide internationale Küche, ein Auszug aus der aktuellen Woche: Cashew-Blumenkohl-Suppe, Chorizobällchen in Arabiatta-Sauce, Rosmarin-Wurzelgemüse. Durch die großen Fenster lässt sich beim Verzehr das geschäftige Treiben auf dem Prachtboulevard Mannerheimentie verfolgen.

Gleich über diese Straße, hinein ins 1947 eröffnete Sokos-Hotel, durch die atemberaubenden Lobby und hoch ins zehnte Stockwerk, schon steht man im Restaurant „10. Kerros“. Auf der einen Seite des Raumes bietet das klassische Interieur intime Clubhausatmosphäre, auf der anderen Seite eine langgestreckte Fensterfront mit tollem Ausblick. Der 13-Euro-Deal gilt hier nur für Suppe und Salatbuffet, was zum Sattwerden reicht. Wer aber nur ein paar Euro mehr investiert, bekommt ein Tellergericht dazu; in meinem Fall war das ein hervorragendes Stück Lachs.

Weiter geht’s ins Bistro des für die Spiele von 1952 erbauten Olympiastadions. Kugellampen aus gelb getöntem Glas setzen Akzente im sonst schmucklosen Raum, dessen Schräge an eine Dachgeschosswohnung erinnert – gegessen wird unter der Zuschauertribüne. Fenster öffnen den Blick ins Stadioninnere, man sitzt direkt neben der Tartanbahn und kann sich vorstellen, wie gleich Emil Zapotek vorbeitrabt.

Und dann ist da noch der Donnerstag. An dem gibt es in Finnland eine kulinarische Doppeltradition: Erbsensuppe und Pfannkuchen, keine Sorge – hintereinander. Als möglicher Ursprung gilt, dass vorm (Fasten-)Freitag noch mal Kalorien getankt werden sollten. Das Ergebnis kann man auch im säkularisierten Jetzt noch genießen, und das sehr gut im „Pompier“ in der Albertinkatu.

Hier geht es in einen Hinterhof und dort in einen fensterlosen Flachbau. Drinnen wartet herzliches Personal an der Kasse, wer mag, bestellt sich auch einen Lounasviini, Wein, 4 Euro für 12 cl – sonst bekommt man diese Menge in Helsinki selten unter 10 Euro. Die Stühle im Gastraum sind petrolfarben bezogen, die Wände mit hellem Holz vertäfelt, an ihnen hängen Vitrinen voller Pokale und Trinkhörner, historische Fotografien und Männergemälde, und schließlich steht noch eine große Metallglocke herum: Es sind Räumlichkeiten der Freiwilligen Feuerwehr Helsinkis, daher auch der Name Pompier. Dezent ertönen finnische Schlager, die interessanterweise entweder wie russische oder wie japanische Popsongs klingen. So urig das Ambiente, so gemischt ist auch das Publikum. Es ist auch ein wenig so ein Aki-Kaurismäki-Ort.

Neben dem Salatbuffet steht das Wesentliche, ein großer Topf, reichlich mit Suppe gefüllt. Die ist hellgrün und mild, die einzelnen Erbsen deutlich sicht- und spürbar. Dazu als Toppings kleingeschnittene Zwiebeln, Speckwürfel und dunkelgelber Senf. Sie alle machen die Suppe noch besser, vor allem der Crunch des Specks, und die wahre Kunst besteht nun darin, von allem viel, aber nicht zu viel zu nehmen, damit man sich das Erbsige erhält.

Außerdem braucht man ja noch Platz für die Pfannkuchen! Die werden hier im Ofen in einer flachen Form gebacken, dann in handliche, daumendicke Stücke geschnitten und kalt serviert. Mit Himbeermarmelade sowie einer Schlagsahne, die so dicht und süß ist, dass man sie für Baisermasse halten könnte.

Anschließend weiß man, warum das Mittagessen schon um 11 Uhr beginnt. Denn man ist satt bis zum Abend und noch lange darüber hinaus.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.