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Nervige HandytöneDü dü düdeldüdüdü

Die Kamera macht „Knips“, die Taste macht „Piep“: Menschen die ihre Handytöne laut lassen, offenbaren damit ihre sadistischen Charakterzüge.

Es gibt zu viele störende Nebengeräusche von elektonischen Geräten Foto: Gustafsson/imago

L eute, die lästige Töne auf dem Handy nicht ausschalten: Was läuft bei denen falsch? Warum braucht man ein „Piep“, wenn man eine Taste drückt, oder ein „Knips“, wenn man fotografiert? Ich wollte mal wieder eine unpolitische Kolumne schreiben. Jetzt bekommen es jene ab, die ihre Mitmenschen mit einer selbstzentrierten Sicht auf diese Welt nerven.

Natürlich habe ich geschaut, ob Tastentöne irgendeine Funktion erfüllen: Im Sinne von Barrierefreiheit machen sie schon manchmal Sinn. Bei Menschen ohne jegliche Beeinträchtigung betonen die Klänge dagegen nur die eigenen sadistischen Charakterzüge.

Ich saß vergangene Woche im feinen Frühstücksraum eines feinen Hotels. Ich war zunächst alleine und erholte mich vom arbeitsintensiven Vortag, als diese andere Gästin direkt neben mir Platz nahm.

Sie knallte ihren Teller auf den Tisch und zückte ihr Handy. So weit, so egal. Dann aber begann der Tastenterror: tk, tk, tktktk, tk, tktktktk, tk, tktk, tk… Ihr Telefon machte jedes Mal, wenn sie tippte, einen dumpfen Ton. Augenkontakt war unmöglich, weil sie in ihre WhatsApp-Gruppe vertieft war. Ich habe meinen O-Saft ausgetrunken und bin gegangen.

Kameraton per Gesetz verboten

Aufgefallen ist mir diese akustische Umweltverschmutzung am Frühstücksbuffet, weil ich am Vortag im Warteraum eines Busbahnhofs saß und neben mir jemand mit noch schrilleren Tönen alle belästigte: piep, piep, piep piep, piep piep piep piep… Nullkommanull Prozent Bewusstsein, dass bei der Hitze eh alle am Limit waren. Der Typ hat laut getippt, zwischendurch bekam er laut Empfangstönen neue Nachrichten. Dann wollte er sich die Zeit mit TikTok vertreiben. Auf Laut natürlich.

Beim Kurzvideodienst benutzen gleichzeitig viele Use­r*in­nen dieselbe Hintergrundmusik. Also ertönten die ersten Strophen von „I am a Barbie-Girl in a Barbie-Wooooorld“, zwischendurch hörten wir eine Kinderstimme, die auf Japanisch gesungen hat. Der Typ, den alle im Wartebereich nur noch hassten, war so um die 40 Jahre alt. Peinlich. Eine Oma ging an ihr Telefon, das zuvor sehr dezent klingelte, und sagte am Hörer, dass sie kurz rausgehen werde, um zu telefonieren. Sie warf einen bösen Blick Richtung TikTok-Tastenton-Täter, dem waren die anderen Passagiere im Warteraum aber egal.

Während ich beim Warten zum Thema Tastentöne recherchiert habe, tauchte ein Artikel auf, der beschrieb, dass in Japan zumindest der Kameraton bei Smartphones per Gesetz nicht mehr ausgeschaltet werden kann. Viele Männer dort hatten mit ihren Geräten heimlich unter die Röcke von Frauen und Mädchen fotografiert. Der laute Knips-Ton soll die Frauen vor dieser patriarchalen Gewalt und ihre Privatsphäre schützen. Und so wurde aus einer unpolitischen Kolumne die differenzierte Forderung, Männlichkeit ganz und Töne auf Telefonen teilweise abzuschaffen.

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Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
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12 Kommentare

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  • Man kann die Verursacher dieser nervigen Geräusche ganz freundlich bitten, die Tastentöne abzuschalten. Hilft meistens. Und einen Versuch ist es immer wert.

  • Mein spezieller Hasston ist dieses einzelne "Bing!" des Facebook-Messengers, das leider die Standard-Einstellung ist, die kaum einer ändert. Angeblich bietet dieses Drecksding keine Möglichkeit, gar keinen Ton abzugeben (ich hab kein Facebook, kann das also nicht verifizieren), bleibt also nur, das ganze Gerät stummzuschalten, was auch keiner tut.



    Elendiges Gebimmel, überall ... als ob wir nicht schon genug Lärm hätten.

  • Acoustic Burnout

  • Ich sag nur Mikrowelle - sie hat den Aufenthalt bei mir nicht lange überlebt und durfte von Herzen gehasst weiterziehen. Man kann die Töne auch ausstellen, auf ungefähr 3412 Arten ...

  • Dem Autor sei Hanlon's Razor wärmstens ans Herz gelegt. "Menschen die ihre Handytöne laut lassen, offenbaren damit ihre sadistischen Charakterzüge" - Unsinn, in den meisten Fällen ist das einfach (vollkommen nachvollziehbare) Inkompetenz.

  • Uneingeschränkte Zustimmung, Herr Amjahid.

    Es sind nicht nur die Klingeltöne, sondern auch die Menschen, die ununterbrochen in ihre Handys schreien. Und sie können scheinbar nur schreien, niemals leise sprechen.

    Und sie können auch nicht nur einfach mal fünf Minuten still dasitzen.

    Und die Leute, die nicht in ihre Handys schreien, benutzen diese um sich ununterbrochen irgendwelche kleine lustigen Filmchen von Tiktok oder ähnlichem Unsinn reinzuziehen.

    Obwohl ich definitiv den ÖPNV befürworte und eine Jahreskarte habe, nehme ich nach Möglichkeit das Fahrrad und leider manchmal auch das Auto.

    Der ÖPNV wird zunehmend unerträglich.

  • Natürlich trank er im Hotel O-Saft, was sonst?

    • @Marlon22:

      Es passt aber zur Reaktion oder dass man sich sowas dann noch von der Seele schreibt, vielleicht auch deshalb eingebaut, soll ja nicht ohne Witz sein. Und was macht man, wenn man keinen Alkohol mag, klassische Softdrinks/Kohlensäure auch nicht, es für'n Espresso oder Tee zu warm ist? Du kriegst nicht umsonst überall Säfte und warum sollte man im Hotel was anderes trinken als zu Hause? Ich bestelle mir auch entweder Kaffeegetränke oder Saft. Ob das mit den Tönen soviel schlimmer geworden ist weiß ich nicht, jedenfalls wenn man die schiere Menge an Geräten berücksichtigt, die uns derart belästigen könnten. Auch im Vergleich. Mein Tipp ist mal einen Mitschnitt anzuspielen von irgend einer Pressekonferenz etwa um die Jahrtausendwende. Grauenhaft. Und das waren wirklich noch Handys, und klangen eben auch so.

  • Es hat sich auch leider eingebürgert, in der Öffentlichkeit mit Hilfe Freisprechfuntion zu telefonieren .

    • @Stoffel:

      Und auch sonst immer laut, nah und bevorzugt in Richtung Anwesender z.B. in der Tram - macht anscheinend mehr Spass als ohne einen körperlich anwesenden Gesprächspartner und aus Wichtigtuerei.

    • @Stoffel:

      Diese Freisprechfunktion.

      Eine der übelsten Erfindungen der Menschheit.

      Nach Möglichkeit gehe ich sofort auf weiten Abstand von solchen Menschen.

      Und unterteile die Menschheit in Leute mit und ohne Freisprechfunktion.

  • Danke, nach 25 Jahren ein Leidensgenosse, zum Glück aus der schreibenden Zunft!