Kunstausstellung in Brandenburg: Draußen am See
Das Silent Green und die Galerie Ebensperger wollen in Kirchmöser alte Gebäude in Kulturorte verwandeln. Vorab läuft die Ausstellung „Am Seegarten“.
Der Vogel ist nicht Teil der Performance. Er hat sich verflogen, kreist tschilpend durch den Theatersaal des alten Klubhauses der Eisenbahner in Kirchmöser, Seine Stimme legt sich über die Soundarbeit von Jan St. Werner, die dort aus einem Lautsprecherpanel tönt und rauscht und dröhnt. So kann das passieren, wenn man die Kunst aus den Galerien heraus verlegt an Orte mit einer anderen Bestimmung. Erst recht an Orte, die gar keine Bestimmung mehr haben.
„Am Seegarten“ nennt sich das Ausstellungsprojekt, zu dem neun Berliner Galerien gemeinsam mit dem Silent Green Kulturquartier den Sommer über jedes Wochenende ins Brandenburgische einladen. Einigermaßen bequem ist Kirchmöser, ein Ortsteil von Brandenburg an der Havel, sogar zu erreichen: 50 Minuten dauert es mit dem Regionalexpress von Charlottenburg zum Bahnhof Kirchmöser, dort steigt man in den Bus um oder aufs Rad und ist kurze Zeit später vor Ort.
Oft schon hat man das gesehen in den vergangenen Jahrzehnten: Kunstinstallationen, Skulpturen, Malerei, Video- und Soundarbeiten an verlassenen Orten, in ranzigen, heruntergekommenen Gebäuden, die früher einmal von Bedeutung waren, mittlerweile aber nur noch so herumstehen. In baufälligen Industrieruinen, trocken gelegten Schwimmbädern, verfallenen Schlössern, leer stehenden Krankenhäusern oder Ähnlichem. Nicht selten hatte es die Kunst dort dann nicht leicht, gegen ihre Umgebung anzukommen, wird manchmal gar selbst zur Nebendarstellerin.
Imposante Klinkerbauten
Die Ausstellung „Am Seegarten“ bespielt neben dem Klubhaus, das 1915 als Offizierscasino errichtet wurde, auch den ehemaligen Verwaltungsbau einer Pulverfabrik, der später als Krankenhaus genutzt wurde, zwei durchaus imposante Klinkerbauten. Und sie macht dabei vieles besser als ähnliche Kunstprojekte – weil sie auf einiges verzichtet: Es gibt keinen Kurator oder Kuratorin, kein Thema, das zwanghaft durchgezogen wird.
„Am Seegarten“, Kirchmöser, Brandenburg an der Havel. Sa+So 12-18 Uhr, bis 17. September seegarten.art
Der alles verbindende rote Faden ist vielmehr der Ort. Fein abgestimmt, wirken die Positionen, Farben, Formen, Motive scheinen sich in einigen von ihnen zu wiederholen. Die Bilder von Navid Nuur – präsentiert von Plan B – weisen auffällige Ähnlichkeit zur Patina der abgewetzten Wände auf, an denen sie hängen. Entstanden sind sie aber ganz anders: Nuur zermahlt Vitamin-D-Tabletten und nutzt das Pulver als Pigmente für seine Malerei, macht auf diese Weise Licht sichtbar, das dieses zersetzt. So manches Detail aus Sinta Werners Fotocollagen – vertreten von Alexander Levy – wiederum hätten ebenso gut vor Ort aufgenommen werden können.
Andere Arbeiten nehmen Bezug auf die frühere Nutzung des Gebäudes, unter anderem als Augenklinik. John Bock (Sprüth Magers) etwa, hat ein klappriges Krankenbettgestell aufgebaut und mit allerlei Objekten – Eierschalen, eine vertrocknete Topfpflanze, eine Chilischote zwischen zwei kleinen Spiegeln arrangiert, Lupen, Augenförmiges – zu einer rätselhaften Versuchsanordnung zusammengesetzt.
Bei wieder anderen verwandeln sich die Räume quasi in Filmsets, assoziative Welten öffnen sich. Heike Kabisch (ChertLüdde) hat Skulpturen in mehreren Räumen verteilt, langbeinige Figuren, die ihre Köpfe unter Textilien verbergen und die da herumliegen und herumlungern, als täten sie das öfters. Ähnlich verhält es sich mit John Millers (Meyer Riegger) Schaufensterpuppe eines Jungen im weißen Dreiteiler, dem man gleich in einem der ersten Räume urplötzlich gegenüber steht.
Bauhaus und Black Mountain
Initiiert haben das Ganze das Silent Green und die Galerie Patrick Ebensperger. Vor einem Jahr bereits haben sie die Gebäude von der Stadt Brandenburg an der Havel gekauft. Großes vor haben sie dort, „Am Seegarten“ ist erst der Anfang. Einen Ort für Kunst, aber möglichst auch für Wissenschaft haben sie im Sinn. Bauhaus und Black Mountain nennt Jörg Heitmann von Silent Green als Vorbilder, was ein wenig größenwahnsinnig klingt, aber das weiß er offenbar selbst: „Es ist eine Idee, an die man glauben muss,“ sagt er.
An der Baugenehmigung arbeiten sie noch. Dann soll ein Atelierhaus mit Künstlerstudios zu günstigen Preisen und Ausstellungsmöglichkeit entstehen. Das Klubhaus wiederum soll Probebühne etwa für Tanzkompagnien samt Übernachtungsmöglichkeit werden, aber auch für Hochzeiten und andere Feierlichkeiten zu mieten sein. Wichtig scheint es ihnen, zu betonen, dass sie sich nicht abschotten wollten, nichts Elitäres in die Landschaft stellen. Die Anbindung an den Ort und die Bewohner*innen sei ihnen wichtig.
Bis es soweit ist, lockt erst mal die temporäre Ausstellung im Ist-Zustand nach Kirchmöser. Und ein bisschen auch der Plauer See, in den man direkt nach dem kulturellen Teil springen kann.
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