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Menschenrechte im SportKörperliche Selbstbestimmung

Die Läuferin Caster Semenya hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ihr Recht auf Unversehrtheit durchgesetzt. Der Kampf geht weiter.

Die Mittelstreckenläuferin Caster Semenya Foto: Joel Marklund/imago

D er Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Caster Semenya recht gegeben: Sie wurde als intergeschlechtliche Sportlerin durch Institutionen wie den Internationalen Sportgerichtshof und das Schweizer Bundesgericht nicht vor Diskriminierung geschützt und ihre Interessen auf körperliche Selbstbestimmung wurden nicht genügend berücksichtigt.

Ob die Auflage der Medikalisierung, die Semenya verweigert, damit langfristig aufgehoben wird und sie wieder die 800 Meter laufen kann, ist unklar. Eine wichtige Etappe in ihrem Kampf, für den sie in Kauf nahm, immer zuerst als inter* Frau in der Öffentlichkeit zu stehen und nicht als Olympiasiegerin, hat sie gewonnen. Vielleicht hat sie so einen langen Atem, weil sie Athletin ist. Oder weil sie mit der ehemaligen Langstreckenläuferin Violet Raseboya ein lesbisches Powercouple bildet, neben dem selbst die Kardashians erblassen würden.

Medien legen derweil den Fokus leider immer noch auf die falsche Stelle, wenn über Semenyas Person oder wie aktuell über ihre Klage berichtet wird. Anstatt die Menschenrechtsarbeit der In­ter*­Be­we­gung zu zitieren, spricht auch die Tagesschau von einer „Differenz der Geschlechtsentwicklung“. Das mag ein Versuch sein, die ICD-Kategorie „Disorders of sex development“ nicht mehr mit dem pathologisierenden Begriff „Störung der Geschlechtsentwicklung“ zu übersetzen.


Das noch viel größere Problem liegt darin, Se­men­ya, die sich schlicht und einfach als Frau bezeichnet, ständig zu terminologisieren. Ganz so als wären Diagnosen evidenter Teil einer Person und nicht Teil des Diskriminierungsapparats. Von Störung kann keine Rede sein. Es stört das medizinische System, das ein zentrales Zahnrad der Zweigeschlechterordnung ist – gerade im Sportbetrieb. 


Jahrelanger Struggle

Bereits 2005 protestierten Aktivist_innen beim 5. Berliner Symposium für Kinder- und Jugendgynäkologie vor der Berliner Charité, bei der die Ärzteschaft nur unter sich sprechen wollte. Heute fordern Kampagnen wie „Inter* Werden Lassen“ von OII Germany weiterhin, Kindern und Erwachsenen keine medizinisch unnötigen Operationen und/oder Hormonbehandlungen anzutun, die die Idee der Zweigeschlechtlichkeit notfalls chirurgisch oder medikamentös erzwingen sollen.

Erwachsene kommen hier nicht ohne Grund vor: Die Mittelstreckenläuferin Annet Negesa spricht heute darüber, wie die OP, zu der sie sich vom World Athletics Verband gedrängt gefühlt hatte und über deren Folgen sie nicht ausreichend informiert wurde, ihre Gesundheit und Karriere beeinträchtigt hat. Negesas öffentliche Arbeit zum Thema, Semenyas Weigerung der willkürlichen Testosteronkategorie Folge zu leisten, der jahrelange Struggle, das ist der eigentliche Nachrichtenwert.

Am Wochenende ist CSD, Zeit für die queere Bewegung, das „I“ nicht immer nur mitzunennen, sondern das politische Erbe, das wir dieser Bewegung verdanken, endlich zum Kanon zu machen.

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Noemi Molitor
Redakteur:in
Redakteur:in für Kunst in Berlin im taz.Plan. 2022-2024 Kolumne Subtext für taz2: Gesellschaft & Medien. Studierte Gender Studies und Europäische Ethnologie in Berlin und den USA und promovierte an der Schnittstelle von Queer-Theorie, abstrakter Malerei und Materialität. Als Künstler:in arbeitet Molitor mit Raum, Malerei und Comic. Texte über zeitgenössische Kunst, Genderqueerness, Rassismus, Soziale Bewegungen.
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1 Kommentar

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  • Wie häufig in diesem Diskurs werden unterschiedliche Kategorien vermischt.

    Das ist einmal, das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, im konkreten Fall, eine chirurgische/hormonelle Behandlung, ohne medizinische Notwendigkeit, ohne Zustimmung der betroffenen Person. Die Betonung liegt auf dem Wort "Zustimmung", die kann nur durch die betroffene Person erfolgen, genau wie die Identifikation mit physischen und psychischen Geschlechtsidentität.



    Kein Anderer hat das Recht, dies zu entscheiden.

    Die Zuordnung und Identifikation als Frau ist aber mehr als eine rechtliche Kategorie, sie hat eine mehr als eindeutige physiologische Grundlage. Und weil Intersexualität eins sehr großes Spektrum an Varianten bezeichnet, steht die Diagnose und nicht die "Menschenrechtsarbeit" Vordergrund.



    Es kommt auf den Einzelfall an, welche Variation, mit welchen Auswirkungen liegt vor. Und deshalb ist Menge und Umsetzung von Testosteron von sehr großer Bedeutung, deshalb unterscheiden wir CAIS von PAIS.

    Es ist der Unterschied in der Physiologie, der unterschiedliche Kategorien im Sport rechtfertigt, weil eben die Menge an Testosteron Auswirkungen auf Körperbau und Leistungsvermögen hat.

    Man kann nicht gleichzeitig Doping durch Gabe von Hormonen verbieten und einen höheren Hormonspiegel, durch Vorhandensein von intakten Hoden, als akzeptabel anzusehen, weil die rechtliche Kategorie "Frau" die physiologische Kategorie negiert.

    Dabei ist genau diese Physiologie, die Frauen, auch gegen ihren Willen, definiert, die sie kleiner, schwächer und verletzlicher macht, die sie nach dem Willen anderer für Familienarbeit, Pflege und Teilzeitarbeit mit geringen Renten prädestiniert.