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Präventivhaft in BerlinRealitätsabgleich für Populismus

Wegen der Letzten Generation will der Senat die Präventivhaft auf 5 Tage ausweiten. Eine valide Datengrundlage gibt es dafür nicht, zeigt eine Grünen-Anfrage.

Wegen Klima-Aktivist*innen will Berlins schwarz-roter Senat die Präventivhaft auf 5 Tage ausweiten Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | CDU und SPD folgen bei der Ausweitung des Präventivgewahrsams eher ihrem Law-and-Order-Bauchgefühl als Fakten: Der Berliner Senat hat im Koalitionsvertrag vereinbart, den möglichen Präventivgewahrsam im Landespolizeigesetz von 2 auf 5 Tage zu verlängern – direkter Anlass dafür sind Proteste der Letzten Generation und vorverurteilenden Forderungen nach härteren Strafen für Klima-Aktivist*innen. Tatsächlich aber hat die Koalition überhaupt keine validen Daten zum Präventivgewahrsam, wie nun die Antwort auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Vasili Franco zeigt, die der taz vorliegt.

Demnach ist unklar, wie häufig in den letzten 3 Jahren überhaupt ein Unterbindungsgewahrsam verhängt wurde, „um unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern“, wie es im Polizeigesetz heißt. Dazu gibt es keine statistische Erhebung in der Polizei, wie es in der Antwort von Staatssekretär Christian Hochgrebe heißt.

Zahlen gibt es lediglich zum Gewahrsam allgemein im Regelbetrieb – und hier ist sogar ein Rückgang zu verzeichnen: Gab es 2020 noch 668 Gewahrsamnahmen, waren es 2021 und 2022 jeweils nur rund 500 und im aktuellen Jahr bis Anfang Juni unterdurchschnittliche 152. Nur in einem Bruchteil der Fälle erfolgten richterliche Vorführungen, die auch in ein Anschlussgewahrsam (eventuell wegen U-Haft bei schwereren Straftaten, Fluchtgefahr oder eben Präventivhaft) mündeten: 44 richterliche Vorführungen gab es 2020, von denen 42 in einem Anschlussgewahrsam mündeten, 2021 landeten 43 Personen vor dem Haftrichter, 2022 waren es 31 und 2023 bisher nur 8.

Rausgerechnet hat der Senat offenbar die Zahlen eine „Besonderen Aufbauorganisation“, die möglicherweise mittlerweile für die Klima-Aktivist*innen zuständig ist. Im Blockadezeitraum von April bis Mai 2023 hatte die Innenverwaltung von 60 Gewahrsamnahmen gesprochen, von denen 11 richterlich bestätigt wurden. Eine Haftdauer länger als neun Stunden gab es lediglich drei Mal.

Kein Handlungsbedarf

Die Forderung nach der Ausweitung von Präventivhaft war vor allem angeheizt durch die bundesweite Debatte um die Blockaden der Letzten Generation. Vor allem Innensenatorin Spranger pocht aber darauf, dass die Ausweitung nicht nur deswegen kommen soll – zuletzt führte sie im Innenausschuss etwa Terrorismus und häusliche Gewalt an, die längere Präventivhaft erforderten. Aber auch dazu gibt es keine Zahlen: „Die Aussage der Senatorin war rein exemplarisch und beruhte auf Erfahrungswerten in der Polizei“, heißt es.

In Summe wertet Franco das so: „Die geplante Ausweitung des Präventivgewahrsams in Berlin ist getrieben von Populismus. Schwarz-Rot will ohne faktische Grundlage eine Verschärfung des Berliner Polizeigesetzes durchdrücken“, sagte er der taz. Senatorin Spranger ließe sich von rechtspopulistischen Debatten treiben, weil die Statistiken keinerlei Handlungsbedarf zeigten. „Es ist erschreckend, dass man bereit ist, derart tiefe Grundrechtseingriffe aus Profilierungsgründen zu fordern.“

Der Senat wolle suggerieren, dass man ein wirksames Mittel gegen Proteste hätte, um das Bedürfnis nach Vergeltung zu befriedigen, das in Teilen der Bevölkerung existiere, so Franco: „Wenn Iris Spranger nun versucht, Opfer von häuslicher Gewalt für ihre Law-and-Order-Vorhaben zu instrumentalisieren, ist das mehr als schäbig.“ Zuletzt eckte Spranger auch in der SPD an, die sogar einen Parteitagsbeschluss gegen die Ausweitung der Präventivhaft fasste. Die Innensenatorin sieht sich daran allerdings nicht gebunden, weil der SPD-Mitgliederentscheid für den Koalitionsvertrag gestimmt habe, in dem die Ausweitung der Präventivhaft vereinbart ist.

Ob eine Straßenblocke überhaupt ein Präventivgewahrsam rechtfertigt, ist ebenso strittig wie überhaupt die Strafbarkeit dieser Protestform des zivilen Ungehorsams: Tatsächlich werten verschiedene Rich­te­r*in­nen die Aktionen der Letzten Generation grundsätzlich verschieden. Während vergangene Woche ein Aktivist freigesprochen wurde, gab es am Montag in Berlin eine Haftstrafe ohne Bewährung.

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1 Kommentar

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  • Die Nötigung, die von interessierten Kreisen gern als skandalös krasse Straftat aufgeblasen wird ist ein Vergehenstatbestand, bei dessen Verwirklichung man bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe bekommen kann.



    Der Vergehenstatbestand Diebstahl, also auch das Seriendelikt Ladendiebstahl, kann mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden. Im einfachen Fall. Deutlicher wird es bei weiteren Seriendelikten, wie etwa Einbruchstatbestände, die bis zum Verbrechenstatbestand reichen. Auch Räuber sind oft Serientäter. Gleichwohl kenne ich keinen einzigen Fall dieser schweren Delikte, wo jemand ernsthaft einen Gewahrsam geprüft hat. Auch dann nicht, wenn es binnen weniger Wochen mehrere Taten mit dem gleichen Tatverdacht gab. Und nein, es gibt auch nicht zuverlässig einen U-Haftbefehl.



    Das gesagt: Wo wollen wir mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung eigentlich hin, wenn wir bei einfachen Nötigungen den populistischen Vorschlägen zur Präventivhaft folgen?