Es soll mehr Wild geschossen werden: Die Jäger treten in den Klimastreik
Ein modernes Jagdrecht ist wichtig für den Waldumbau. In Rheinland-Pfalz und Brandenburg drohen neue Jagdgesetze einmal mehr zu scheitern.
Genau um Hitze, Regen und den Waldboden geht es. Damit Forste in klimastabile Wälder umgebaut werden können, die den Frühjahrsdürren, Sommerhitzen und Stürmen standhalten, muss mehr Rot- und Rehwild geschossen werden, sind sich Förster und Waldbesitzer einig. Die Statistiken des Bundesjagdverbandes zeigen die Bestandsentwicklung: Schossen die Jäger im Jahr 2006 noch knapp 59.000 Hirsche, waren es 2016 schon knapp 80.000. Seit einigen Jahren stagnieren die Zahlen auf diesem hohen Niveau. Bei den Rehen sieht es ähnlich aus, hier sind die Jagdstrecken auf rund 1,2 Millionen Tiere im Jahr gestiegen – rund 200.000 mehr als vor 20 Jahren.
Hintergrund: Sowohl Hirsche als auch Rehe ernähren sich von Gräsern, Kräutern – und Knospen von Laubbäumen. Förster müssen Neupflanzungen junger Eichen oder Buchen für viel Geld umzäunen, damit sie eine Chance haben zu wachsen. „Wald vor Wild“ heißt deshalb das Motto vieler Förster; es müsse sichergestellt werden, dass sich der Wald natürlich ohne Schutzmaßnahmen verjüngen könne, sonst haben klimastabile Mischbaumarten bei hohem Wildverbissdruck keine Chance, stellt der Verband der Waldeigentümer fest.
Und Denny Ohnesorge, Geschäftsführer Hauptverband der Deutschen Holzindustrie, mahnt: „Die Wildbestände auf ein solches Maß zu regulieren, dass sich Pflanzen und insbesondere Waldbäume natürlich verjüngen können, ist nicht nur ein wichtiges Anliegen der deutschen Holzindustrie. Eine solche Regulierung liegt auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse.“ Nur wenn die Wildbestände in verträglichem Rahmen gehalten würden, könnten klimaresiliente Wälder entstehen, so Ohnesorge.
Alle gescheitert
1976 war das letzte Mal, dass eine Bundesregierung es schaffte, das Jagdrecht zu modernisieren, das die Rechte und Pflichten der Jäger regelt. Danach sind daran allesamt gescheitert; seit 2006 fällt das Jagdrecht unter die konkurrierende Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern – diese können also vom Bundesrecht abweichende, eigene Gesetze erlassen. De facto kommt den Landesjagdgesetzen seitdem eine immer größere Rolle zu. Doch auch diese lösen die Konflikte nicht mehr, die sich angesichts der Herausforderungen des Klimawandels zwischen den verschiedenen Interessengruppen in den Forsten herausgebildet haben.
Brandenburg und Rheinland-Pfalz starten nun also einen neuen Versuch. Die zuständigen Minister wollen, mit unterschiedlichen Mitteln, den Eigentümern des Waldes mehr Einfluss auf die Jagd auf ihren Flächen geben. Die obliegt bisher nämlich den Jägern, die Jagdreviere pachten und dort relativ frei schalten und walten können. Der Vorwurf der Waldbesitzer: Die Hobbyschützen schießen zu wenig. Nur Besitzer sehr großer Flächen besitzen sogenannte „Eigenjagden“ und müssen ihre Forste nicht verpachten, die Größe unterscheidet sich je nach Bundesland.
In Mainz plant die grüne Klimaschutz-Ministerin Katrin Eder in ihrem Anfang Juli vorgelegten Gesetzentwurf, den Besitzern auch kleinerer Waldgebiete mehr Rechte einzuräumen. Paragraf 18 ihres Entwurfs erlaubt es den Eigentümern, von Jagdpächtern die unentgeltliche Jagderlaubnis für sich oder für Dritte zu verlangen. Das Land mache sich „auf den Weg, eines der modernsten, wenn nicht das modernste Jagdrecht der Republik zu implementieren“, machte Eder sich Mut, „der Gesetzentwurf greift die immer stärker sichtbar werdenden Folgen des Klimawandels auf und eröffnet eine bessere Unterstützung der Waldentwicklung durch jagdliches Management“.
Der Aufruf
Ergebnis: Die Jäger sind in den Ausstand getreten. „Aufruf zum Protest. Wir streiken“ leuchtet es im knallroten Kreis auf der Internetseite des rheinland-pfälzischen Jagdverbandes. Mit seinem Entwurf habe die Abteilung Forst des Ministeriums mehrere rote Linien überschritten. „Dies können und werden wir nicht tolerieren“, schnaubt die Jägerschaft.
In Brandenburg bietet sich ein ähnliches Bild. Dort versucht der grüne Umweltminister Axel Vogel nun schon im dritten Anlauf, das Landesjagdrecht zu reformieren und dabei vor allem dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Waldbesitz in dem ostdeutschen Flächenland äußerst kleinteilig ist. In Brandenburg gibt es rund 97.000 Waldbesitzer mit zum Teil winzigen Flächen. Nur wenige von ihnen nutzen die Möglichkeit, sich zu Forstbetriebsgemeinschaften zusammenzuschließen und ihren Wald professionell verwalten zu lassen. Die Vorstellung des Ministeriums: Die Besitzer lassen ihren Wald managen und damit auch die Wildtierbestände darin. Bislang sind ihre Flächen Teil von Jagdrevieren, auf deren Verpachtung sie kaum Einfluss haben. Auch in Brandenburg geht es darum, das alleinige „Hoheitsrecht“ der Revierpächter auf die Jagd zu brechen und somit insgesamt auf weniger Wild im Wald.
Zwar werteten die Umweltverbände im Bundesland den neu vorgelegten Entwurf als völlig unzureichend. Trotzdem trifft er auf Gegenwehr: Vergangenen Donnerstag ließ der Bauernverband, ein Fürsprecher der Jäger, einen Termin platzen, an dem er mit anderen Beteiligten Stellung zum neu vorgelegten Jagdgesetz nehmen sollte. Nun will er sich Ende des Sommers mit dem Vorhaben befassen – wenn überhaupt. Schließlich zwangen die Jäger Minister Vogel in wütenden Kampagnen schon zweimal, seine Jagdgesetze zurückzuziehen. Nächstes Jahr wird in Brandenburg gewählt, die Umfragewerte der Grünen sind bescheiden.
„Das Geschehen in Brandenburg beobachten wir mit Interesse“, teilt das Klimaschutzministerium in Mainz mit. Kein Wunder, zeigt sich in beiden Ländern doch, ob sich das Jagdrecht überhaupt reformieren lässt. „Es gibt unterschiedliche Interessen im Forst“, sagt Ralf Schulte, Jagdexperte des Naturschutzbundes Nabu, „die Interessen der Wildtiere, der Waldbesitzer, der Erholungssuchenden, der Jäger“. Es gehe darum, diese Interessen zusammenzudenken. „In Deutschland gelingt das bisher nicht, hier verteidigen nur alle ihre Besitzstände“, sagt Schulte.
Große Pflanzenfresser wie Rehe und Hirsche hätten eine wichtige Funktion im Wald, „sie leisten einen Beitrag zu seiner Gesundheit“. Ihr Kot zum Beispiel spiele eine Rolle bei der Humusbildung im Waldboden. „Allerdings ist alles eine Frage des Maßes.“ Zu viel Wild, wie derzeit, sei schädlich. „Es ist eigentlich eine Aufgabe der Politik, für einen Interessenausgleich zu sorgen“, sagt Schulte, „aber das gelingt im Bereich der Jagd leider nicht, denn sie sind oftmals selbst Partei.“
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