Expertin über Selbstbestimmungsgesetz: „Wir befinden uns im Kulturkampf“

Der Deutsche Frauenrat begrüßt das Selbstbestimmungsgesetz im Prinzip, spart aber auch nicht mit Kritik. Das betont Expertin Beate von Miquel.

Ein Mensch hält ein Schild, darauf steht: "Wer sollte über mein SELBST bestimmen?" Darunter lässt sich ankreuzen: "Ich, Du, Der Staat". Bei "Ich" ist ein Kreuz gemacht

Demo im Juni 2020 vor dem Reichstag Foto: M. Golejewski/AdoraPress

taz: Frau von Miquel, das Selbstbestimmungsgesetz soll am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen werden. Der Deutsche Frauenrat hat eine Stellungnahme dazu veröffentlicht. Darin kritisieren Sie das Selbstbestimmungsgesetz. Warum?

ist Geschäftsführerin des interdisziplinären Marie Jahoda Center for International Gender Studies an der Ruhr Universität Bochum und seit 2021 Vorsitzende des Deutschen Frauenrats. Der Deutsche Frauenrat ist die größte Frauenlobby Deutschlands und vertritt die Interessen von etwa 12 Millionen Mitgliedern.

Beate von Miquel: Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt in einer freiheitlichen Demokratie. Wir haben aber ein Problem mit der Gesetzesbegründung. Sie erweckt den Eindruck, dass das Selbstbestimmungsgesetz zu einem Problem für Frauen führt: zu weniger Sicherheit auf den Toi­letten, weniger Sicherheit in Umkleiden beim Sport. Das ist eine Unterstellung und nicht nachgewiesen. Die Gesetzesbegründung betont zu wenig den Freiheitsraum für diejenigen, deren Rechte ausgebaut werden müssen.

Welche Reaktionen haben Sie dafür erhalten?

Wir haben tatsächlich sehr viel positive Rückmeldung auf unsere Stellungnahme bekommen. Kürzlich gab es seitens der Evangelischen Kirche in Deutschland eine Einladung zu einer Diskussion dazu. Das sind nicht die üblichen Verdächtigen. Das ist ein Hinweis darauf, dass wir die richtige Stoßrichtung eingenommen haben.

In Ihrer Stellungnahme stellen Sie klar, dass der Schutz von Frauen durch trans, inter und nicht-binären Menschen nicht gefährdet ist. Warum heben Sie das so deutlich hervor?

Weil das in der Debatte eine ganz, ganz große Rolle spielt. Man erhält den Eindruck, dass Frauenrechte gegen die Rechte von trans Personen ausgespielt werden. Uns ist es auch wichtig, deutlich zu machen: Wir haben ein Problem mit Gewalt gegen trans Personen und wir haben ein Problem mit Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft. Wir müssen uns um alle Formen von Gewalt kümmern. Trans* Personen gehören zu den Gruppen mit den höchsten Mordraten der Welt. Laut Studien wurden allein 2022 insgesamt 327 Morde an trans und gender-diversen Menschen dokumentiert. Die Rechte von trans Personen müssen dringend gestärkt werden.

Zum Deutschen Frauenrat gehören 60 Organisationen. Sind alle dieser Meinung?

Wir haben in letztem Jahr auf der Mitgliederversammlung eine sehr intensive Debatte zum Selbstbestimmungsgesetz geführt. Dabei sind sehr unterschiedliche Stimmen zu Wort gekommen. Der Deutsche Frauenrat ist die größte frauen- und gleichstellungspolitische Interessenvertretung in Deutschland. Was uns eint, ist der Einsatz für Frauen in all ihrer Vielfalt. Das bedeutet auch, die Lebensrealität von nicht-binären, intergeschlechtlichen und trans* Personen einzubeziehen. Deshalb haben wir uns letztlich mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, dass das Transsexuellengesetz abgeschafft und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden muss.

Was waren die Argumente?

Es gibt diejenigen, die sagen, Transrechte sind Menschenrechte. Dass das Transsexuellengesetz eine humanitäre Katas­trophe ist. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite gab es noch sehr viele Fragen: Schränkt das Frauenrechte ein? Kann ein Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung auch missbraucht werden? Wir konnten klarstellen: Es gibt keine Belege dafür, dass eine Gesetzgebung, die trans* Personen ermöglicht, ihr Geschlecht rechtlich anerkennen zu lassen, eine Auswirkung habe, dass übergriffige Personen Zugang zu geschlechtergetrennten Räumen haben. Wir haben diesen gemeinsamen Konsens, dass wir anerkennen, dass es unterschiedliche Lebensrealitäten gibt, für die wir uns alle einsetzen.

Wie ist denn Ihrer Einschätzung nach das Kräfteverhältnis im Frauenrat?

Was ich wahrnehme, ist eine breite Zustimmung für das Selbstbestimmungsgesetz. Ein sehr hohes Interesse und natürlich auch die Verantwortung für die Verteidigung von Menschenrechten. Aber die öffentliche Debatte, die von vielen Fehlinformationen geprägt ist, hat durchaus zu Verunsicherung geführt. Da sind viele Fragen zu klären. Wir haben uns deshalb auch nach der Mitgliederversammlung noch einmal gemeinsam mit Trans-Verbänden und unseren Mitgliedsverbänden zusammengesetzt und dazu diskutiert.

Welche Rolle spielt der sogenannte „Kulturkampf“ von rechts dabei?

Wir stehen unter antifeministischem Feuer. Themen wie das Selbstbestimmungsgesetz werden politisch instrumentalisiert. Wir befinden uns in einem Kulturkampf und werden uns als Deutscher Frauenrat dafür einsetzen, dass Rechte von Frauen in all ihrer Vielfalt ausgebaut und gestärkt werden. Dazu gehören auch trans Frauen.

Wenn man sich den Rechtsruck in Deutschland vor Augen hält, sollte man vielleicht sogar aufpassen, nicht zu sehr den Fortschritt kleinzureden, den Beschlüsse wie das Selbstbestimmungsgesetz ja doch mit sich bringen?

Die Entwicklung der AfD in den letzten Monaten zeigt, wie wichtig es ist, auf Kurs zu bleiben, gemeinsam für Geschlechtergerechtigkeit einzustehen und immer wieder deutlich zu machen, wie sie uns als Gesellschaft voranbringt. Und unsere Forderung an die Bundesregierung dazu lautet, den Koalitionsvertrag umsetzen – und zwar jetzt.

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