Musikfestival des Humboldt Forums: „Ihre Magie führt zu Begegnungen“

Heute beginnt das Festival „Durchlüften“ im Humboldt Forum. Gerade im neu-alten Schlossbau könnte es viel bewirken, sagt Kuratorin Melissa Perales.

Tanzende Menschen stehen vor einem DJ, der auflegt

Im vergangenen Jahr gab es bei „Durchlüften“ fast jeden Abend einen Openair-Rave Foto: Stefanie Loos

Zwölf Sommerabende lang lädt das transkulturelle, genreübergreifende Musikfestival „Durchlüften“ zu kostenlosen Openair-Konzerten in den Schlüterhof des Humboldt Forums. Die mexikanisch-amerikanische Kuratorin Melissa Perales hat bereits zum dritten Mal das Programm zusammengestellt. Ihr Anliegen ist es, Künstler mit diversen Hintergründen zusammenzubringen und ihnen eine Bühne zu geben.

taz: Melissa Perales, Sie kuratieren dieses Jahr zum dritten Mal das internationale Kulturfestival „Durchlüften“ am Humboldt Forum, das am Donnerstag startet. Was möchten Sie denn durchlüften?

Melissa Perales: Ich habe den Titel nicht selbst ausgesucht, aber inzwischen bin ich damit zufrieden. Ich habe versucht, die Bedeutung zu finden, die am besten passt. Das Festival gibt es seit der Eröffnung des Humboldt Forums im Jahr 2021. Etwas Neues war da. Aber es gab auch eine schwere Geschichte. Wir fanden, dass es eine Art spirituelle Ebene hat, wie das Reinigen eines Raumes oder das Säubern der Luft, des Bodens von schlechten Schwingungen, wenn man einen neuen Raum übernimmt. Es ist auch eine sehr deutsche Redewendung, den Raum zu lüften. Natürlich aus gesundheitlichen Gründen, dies war das erste Festival in der laufenden Pandemie. Als sie mich baten, das Festival zu kuratieren, wusste ich zunächst nicht, ob ich die richtige Person bin.

Warum?

zog in den 1990ern von Chicago nach Berlin. Seitdem organisiert sie Film- und Musikfestivals und setzt sich für Gleichberechtigung in der Musikbranche ein.

Ich bin nicht so eine typische Person, die in einer Institution arbeitet und sie als klassische Arbeitnehmerin vertritt. Ich bin hauptsächlich Freiberuflerin, ich organisiere alternative Veranstaltungen. Aber dann habe ich darüber nachgedacht, was meine Rolle als Kuratorin sein könnte. Ich bringe selbst eine Geschichte des Kolonialismus mit: Mein Vater ist Mexikaner, ich bin in den USA aufgewachsen und habe die Auswirkungen dieser Geschichte auf die Köpfe und Seelen der Menschen miterlebt. Ich dachte, wenn ich mit dieser Geschichte und der Zustimmung meiner Vorfahren antrete, dann setze ich einen Fuß in die Tür und bringe Leute wie mich mit. Und ich kann diesen Künstlern anbieten, ihre Geschichte so zu erzählen, wie sie wollen. Nicht wie in einem Museum, wo einem etwas hinter einer Glasvitrine erklärt wird, und zwar anhand einer Erklärung, die vor langer Zeit zusammengestellt wurde. Wir sind lebendige Menschen und tragen diese Geschichte in uns. Ich war auch dankbar, dass es keine Vorgaben vom Humboldt Forum gab. Nur: ein Sommerfestival zu veranstalten, open air mit überwiegend Berliner Künstlern. Ich wollte, dass es mehr als nur Unterhaltung ist.

Wie suchen Sie die Künstler aus?

Vor allem sind die ausgewählten Künstler keine reinen Entertainer, alle haben darum gekämpft, ihre Geschichte auf ihre Weise zu erzählen. Als ich sie anfangs anschrieb, erzählte ich ihnen auch von mir, warum ich das mache und dass ich nicht angestellt bin, sondern auch als freiberufliche Kuratorin arbeite. Es war wichtig, dass es transparent ist und dass niemand das Gefühl hat, benutzt zu werden. Mein Job ist es, Künstler zusammenzubringen, eine Bühne zu schaffen, auf der Künstler gehört und „gesehen“ werden können, und damit meine ich nicht nur die Titelseite eines Magazins. Ein Festival wie dieses könnte viel bewirken, gerade weil es in einem Raum stattfindet, der sich ständig in einem Prozess befinden muss.

Umsonst und draußen: Ab 13. Juli finden immer donnerstags bis samstags von 19 bis 23 Uhr im Schlüterhof des Humboldt Forums Konzerte und DJ-Sets statt. Bis 5. August. Programm: www.humboldtforum.org

Den Diskurs suchen, wie geht das mit Musik?

Die Musik verändert nicht das Gebäude, aber die Menschen können vor Ort etwas bewirken. Durch Austausch. Ich wollte kein Festival, bei dem man nur Musiker bucht, die auf die Bühne kommen, 45 Minuten spielen und wieder gehen. Es geht um mehr als nur den Auftritt. So haben wir zum Beispiel fünf Künstler – Emeka Okérèké, Candace Lee Camacho alias duendita, Dhanesh Jayaselan sowie Gotopo und Batila da Costa – eingeladen, einen Mini-Gastaufenthalt im Humboldt Forum zu absolvieren, sich ein paar Wochen lang umzusehen, mit Kuratoren zu sprechen und, wenn sie wollen, in die Archive zu gehen. Die Idee war, dass sie mit Musik oder bildender Kunst etwas für die Abschlussveranstaltung des Festivals am 5. August produzieren.

Werden die Verantwortlichen vom Humboldt Forum für den Austausch anwesend sein?

Nicht jeden Abend, aber ich weiß, dass fast alle Kuratoren, mit denen ich in Kontakt gekommen bin, sich mehr Austausch mit Künstlern wünschen und ihn für wichtig halten. Ohne diese anderen Perspektiven bleiben die Dinge einfach so, wie sie sind. Wenn sie den Ort wirklich entkolonialisieren wollen, müssen Veränderungen stattfinden. Sie müssen ihre Arbeitsweise ändern und sich mehr für Menschen öffnen, die nicht nur Forscher oder Akademiker sind, sondern auch Künstler und Menschen, deren eigene Geschichte mit dem verbunden ist, was in diesem Gebäude existiert. Im Endeffekt geht es um die Menschen, nicht um das Gebäude. Zugleich wissen viele Menschen in Deutschland nichts über ihre Kolonialgeschichte, deshalb interessiere ich mich für dieses Gebäude, weil es diese Geschichte aufbricht. Wir müssen die darunter liegenden Schichten und ihre Verbindungen aufdecken, damit die Menschen verstehen, dass es eine Beziehung zwischen einem gestohlenen Gegenstand und beispielsweise Kaffee, Palmöl oder den Avocados auf meinem Toast gibt.

Was für Musik erwartet uns auf dem Festival?

Da gibt es wirklich alles. In der ersten Nacht gibt es eine Hommage an Stella Chiweshe. Sie ist dieses Jahr gestorben und wurde traditionell in Simbabwe beerdigt, aber sie war seit 1989 in Berlin, und es war mir wichtig, sie zu ehren. Sie ist beim ersten „Durchlüften“-Festival und auch schon 1988 mit ihrer Tochter Virginia Mukwesha und Band im Palast der Republik aufgetreten. Nun schließt sich der Kreis der Erinnerung. Dann zum Beispiel die Afrobeat-Krautjazz-Band Onom Agemo und The Disco Jumpers, die sich mit dem Tuareg-Gitarristen Ahmed Ag Kaedy anfreundeten und mit ihm musizierten. Afrobeat und Wüstenblues, ja das können sie! Und am dritten Abend tritt Brushy One String aus Jamaika auf; er spielt wirklich nur auf einer Saite Gitarre!

Und alles kostenlos?

Ja, das ist sehr wichtig, wenn man bedenkt, dass alles so teuer geworden ist. Wenn es einen Bereich gibt, in dem die Regierung Geld ausgeben sollte, dann ist es die Kunst, damit die Menschen, egal woher sie kommen, ob sie Künstler, Klempner oder Akademiker sind, ob sie Geld haben oder nicht, die Möglichkeit haben, Kultur gleichermaßen zu genießen. So werden wir die Köpfe und Herzen verändern und einen besseren Weg finden, um als Gesellschaft zu leben und einander zu verstehen. In New York gibt es im Sommer kostenlose Konzerte im Central Park. Patti Smith kann dann etwa ein Konzert geben und die Stadt zahlt. Ich hoffe, dass sich diese Haltung auch in Berlin fortsetzt.

Wird getanzt?

Letztes Jahr hatten wir fast jeden Abend einen Open-Air-Rave. Das hätte ich mir nicht vorstellen können, aber es ist eine tolle Energie. Heilend! Für mich als Kuratorin ist der beste Moment, wenn die Künstler auf die Bühne gehen und man merkt, dass man das richtige Gefühl hatte. Nach der Pandemie konnte man wirklich sehen, wie sehr die Menschen die Musik, die Gemeinschaft und den Tanz brauchten! Sie legten ihre Telefone weg, redeten miteinander und tanzten. Das ist es, was Musik bewirken kann, ihre Magie führt zu menschlichen Begegnungen. Wenn die Künstler ihre Geschichten geteilt haben und der Großteil des Publikums nicht nur zugehört, sondern sie auch verstanden hat, dann habe ich das Gefühl, dass ich die richtige Arbeit mache.

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