Türkei zu Schwedens Nato-Beitritt: Die Flexibilität des Herrn Erdoğan

Um Schweden ging es Erdoğan immer nur am Rande. Vor allem wollte er aus der Isolation kommen und mit der Nato-Führungsebene und Joe Biden verhandeln.

der türkische Präsident Erdogan auf dem Natogipfel steht neben dem Nato Generalsekretär Jens Stoltenberg

Erdoğan will auf dem Nato-Gipfel vor allem mit den Großen spielen Foto: Kacper Pempel/reuters

Vordergründig ging es beim monatelangen Konflikt um den Nato-Beitritt Schwedens um dessen Rolle als Zufluchtsort für angebliche „kurdische Terroristen“ und Erdoğan-Kritiker. Tatsächlich war dieser Aspekt, durch die Rechtsentwicklung in Schweden ohnehin Vergangenheit, immer nur nebensächlich im politischen Poker des türkischen Ministerpräsidenten.

Erdoğan ging und geht es um das Verhältnis der Türkei zum Westen, zu den Führungsmächten der Nato, allen voran den USA und den wichtigsten Playern in Europa. Mit der Schweden-Nato-Frage hatte er einen Hebel, um sich Gehör zu verschaffen. Der Westen ist für die Türkei stets ein ambivalenter politischer Ort, zu dem es die Menschen in der Türkei einerseits hinzieht, von dem sie sich andererseits aber auch abgelehnt und von oben herab behandelt fühlen – und das nicht erst, seit Erdoğan den Alleinherrscher herauskehrt und die angeblichen Werte der EU mit Füßen tritt.

Erdoğan hat den Politpoker um Schweden über Monate durchgespielt, weil er große Teile der türkischen Bevölkerung hinter sich weiß, wenn er Ländern wie Schweden, aber auch anderen EU-Ländern und den USA moralische Doppelstandards vorwirft, sowohl was Demokratie als auch Menschenrechte angeht. Vor diesem Hintergrund hat er als Machtpolitiker versucht, aus dem schwedischen Beitrittsersuchen zur Nato so viel wie möglich für sich und die Türkei herauszuholen.

Zwar hat die Nato mit der EU erst einmal nichts zu tun, aber tatsächlich wird die Nato oder die EU für die Länder der Peripherie immer mal wahlweise in Betracht gezogen, wie jetzt im Fall der Ukraine. Aus türkischer Sicht gibt es daher durchaus einen Zusammenhang, der implizit auch akzeptiert wurde. Natürlich weiß Erdoğan, dass die EU die längst ad acta gelegten Beitrittsverhandlungen nicht wiederaufnehmen wird, aber immerhin konnte er Gespräche über Zollunion und visa­freies Reisen auf die Tagesordnung setzen.

Am wichtigsten war ihm aber, US-Präsident Biden dazu zu bringen, sich mit ihm an einen Tisch zu setzen. Dabei geht es um Kampfflugzeuge, aber auch darum, als Partner im östlichen Mittelmeer akzeptiert zu werden. Erdoğan will nach seiner Wiederwahl aus der Isolation heraus, was ihm durch das Schweden-Spiel gelingen könnte. Angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise braucht Erdoğan dringend ein besseres Verhältnis zu den USA und Europa. Es war deshalb nur eine Frage der Zeit, bis er gegenüber Schweden einlenken würde. Auch in anderen Fragen wird er sich flexibel zeigen, solange er seine Macht nicht bedroht sieht und es der Türkei wirtschaftlich nutzt.

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