piwik no script img

Vor der Landratswahl in Sonneberg„Grundgesetz ist neutralisierbar“

Demokratie lässt sich untergraben, sagt Jurist Maximilian Steinbeis. Sein „Projekt Thüringen“ soll zeigen: Die deutsche Verfassung ist schwächer, als viele denken.

Wo sind die Lücken in der Verfassung? Wahlgang am Sonntag im Sonneberger Rathaus Foto: Martin Schutt/dpa
Gareth Joswig
Interview von Gareth Joswig

taz: Herr Steinbeis, Sie sind Geschäftsführer des Verfassungsblogs und haben eine Crowdfunding-Kampagne für das „Projekt Thüringen“ gestartet. Damit wollen Sie erforschen, was passiert, wenn autoritär-populistische Parteien staatliche Machtmittel in die Hand bekommen. Wie schafft man denn eine Demokratie konkret ab?

Maximilian Steinbeis: Genau das wollen wir herausfinden. Es ist eine Frage, die man sich auch in Deutschland dringend stellen sollte, wenn man sich ringsum in Europa und der Welt umschaut, wo allenthalben autoritäre Regime errichtet werden, die allesamt voneinander lernen. Die Situation der Demokratie ist weltweit dramatisch. Da droht ein riesiger Eisberg zu kippen.

Im Interview: Maximilian Steinbeis

Maximilian Steinbeis, Jahrgang 1970, ist Jurist, Schriftsteller und Journalist. Er hat 2009 das Verfassungsblog gegründet, ein juristisch-journalistisches Blog unter anderem für verfassungsrechtliche Fragen.

Im thüringischen Sonneberg könnte am Sonntagabend erstmals ein Mann von der AfD als Landrat gewählt werden. Eine CDU-AfD-Mehrheit findet sich auch schon manchmal auf Landesebene, etwa wenn es gegen geschlechtergerechte Sprache geht.

Wir wollen mit dem Projekt Thüringen nicht bestimmte Politiken als gefährlich brandmarken, sondern in den Technikraum heruntersteigen und nachgucken, an welchen Stellen die Demokratie verwundbar ist und wie man sie robuster macht.

Vielen gilt der ungarische Präsident Viktor Orbán als Lehrstück für Autokraten. In seinem Land vernetzen sich auf großen „No-Woke“-Konferenzen autoritäre Kräfte aus aller Welt. Ist Orbán auch ein Vorbild für die AfD?

Zum Beispiel lässt sich die Zweidrittelmehrheit, die im Moment für die Wahl von Ver­fas­sungs­rich­te­r*in­nen in Bundestag und Bundesrat nötig ist, mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag abschaffen.

Maximilian Steinbeis, Jurist

Das ungarische Fidesz-Regime mit seiner Zweidrittelmehrheit und der auf den eigenen Machterhalt hin optimierten ungarischen Verfassung ist ein Pionier der Methode, die Verfassung als Instrument einzusetzen, um die Demokratie aus den Angeln zu heben. Dort wurden ganz viele Techniken entwickelt. In Polen hat man sich viel von dieser mehr als zehnjährigen Erfahrung abgeschaut, aber auch sonst findet da ein reger Austausch statt. Die AfD kann man da auch einordnen, aber unser Projekt in Thüringen zielt gar nicht speziell auf die AfD ab, sondern ist generalisierbar: Es geht um die autoritäre Versuchung, die in demokratischer Wahl erlangten staatlichen Machtmittel zu nutzen, um die Wahrscheinlichkeit zu minimieren, dass man sie wieder hergeben muss.

Wie hat Orbán es technisch gemacht und was wäre auch in Deutschland denkbar?

Was die Bundesebene betrifft, so scheint mir die Verfassungsgerichtsbarkeit besonders verwundbar zu sein. Sie ist es, die nach einer autoritären Machtübernahme meist als Erstes vor die Flinte kommt. Auch in Deutschland wäre der autoritäre Umbau leichter, als viele denken. Ich habe das mal in einem Szenario unter dem Titel „Ein Volkskanzler“ untersucht: Die Entmachtung des Bundesverfassungsgerichts könnte sehr viel leichter, schneller und effektiver funktionieren, als gemeinhin bekannt. Es ist möglich, in nur einer Legislaturperiode mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag das Grundgesetz zu neutralisieren, und zwar ohne offenen Verfassungsbruch. Ganz legal.

Bräuchte man dafür nicht eine Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit?

Sollte man denken. Aber tatsächlich ist es nicht so, weil ganz viele technische Details zum Bundesverfassungsgericht in einem einfachen Bundesgesetz geregelt sind, das man mit einfacher Mehrheit ändern kann. Zum Beispiel lässt sich die Zweidrittelmehrheit, die im Moment für die Wahl von Ver­fas­sungs­rich­te­r*in­nen in Bundestag und Bundesrat nötig ist, mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag abschaffen. Und ebenso kann man einen zusätzlichen 3. Senat in Karlsruhe einrichten und die Zuständigkeitsbereiche im Verfassungsgericht so ändern, dass die politisch heißen Sachen im 3. Senat landen. Wenn man diesen dann zur Hälfte mit den loyalen Gefolgsleuten besetzt, hat man vom Bundesverfassungsgericht kaum mehr etwas zu befürchten.

Eine autoritäre Mehrheit im Bund ist derzeit schwer vorstellbar. Konkreter ist das Szenario aber auf Länderebene: In Umfragen ist die AfD im Osten die stärkste Kraft, Brandmauern bröckeln zusehends. Wie könnte eine autoritäre Partei dort die Demokratie untergraben?

Auf der Landesebene ist die Gefahr durch die Existenz der Bundesebene begrenzt. Gesetzgebung und letztinstanzliche Justiz ist ganz überwiegend Bundessache. Aber was genau die Möglichkeiten des Bundes sind, im Fall eines autoritären Abgleitens eines Bundeslandes zu intervenieren, erscheint uns total untererforscht.

Was sind denn Ihre drängendsten Fragen?

Wir wollen uns den Umgang mit der Justiz anschauen. Da hat auch die Landesebene bei der Ernennung von Richtern und der Organisation der Gerichte viel Einfluss. Eine weitere Frage, der öffentliche Dienst. Wie könnte eine solche Regierung versuchen, ihre eigenen Leute an Schaltstellen im Staatsaufbau unterzubringen? Ebenso gibt es viele Fragen zum Landeswahlrecht und zur Medienaufsicht und zum Rundfunk sowie zum Einfluss auf Kultur, Bildung, Schulen und Universitäten.

Sie wollen vor der Thüringenwahl 2024 fertig sein. Haben Sie dann am Ende eine fertige Bedienungsanleitung für Autokraten?

Ich glaube nicht, dass es besser wird, wenn man diesen Fragen aus dem Weg geht und das Thema einfach beschweigt. Nichts, was wir finden, könnte eine entschlossene autoritäre Regierung mithilfe von ein paar guten Ju­ris­t*in­nen nicht genauso gut finden. Das sind ja oft sehr technische Stellschrauben und Rädchen, deren Wirkungen man oft erst viel später spürt, und dann ist es zur Gegenwehr längst zu spät. Deswegen ist es wichtig, dass man nicht überrumpelt wird und sich schon im Voraus Klarheit verschafft, wo man aufpassen muss.

Gibt es für ein solches autoritäres Überrumpeln konkrete Beispiele?

Nehmen Sie Polen und die Unterwerfung der polnischen Justiz. Wenn an der Ernennung von irgendwelchen Rich­te­r*in­nen herumgeschraubt wird, dann interessiert das da draußen erst mal keinen Menschen. In Polen hat ein großer Teil der Öffentlichkeit sich um die Unterwerfung der Justiz, den Umbau nicht groß gekümmert, weil man halt dachte: Ach, das hat doch mit meinem Leben nichts zu tun. Wenn aber die Justiz erst mal auf Linie gebracht ist, dann ist es enorm schwer und riskant, auch gegen weitere Schritte des autoritären Staatsumbaus noch etwas Effektives zu unternehmen.

Schwachstellen, an denen eine autoritär-populistische Regierung ansetzen könnte, gibt es vermutlich in jedem Bundesland, genauso wie im Bund.

Maximilian Steinbeis, Jurist

2024 wird auch in Sachsen gewählt, wo die AfD ebenfalls in Umfragen stärkste Kraft ist. Warum schauen Sie auf Thüringen?

Jedenfalls nicht, weil wir Ossi-Bashing betreiben wollen. Natürlich ist die Situation im Osten besonders. Aber es ist immer auch ein Easy-Way-Out für ein westdeutsches Publikum, zu behaupten, dass es nur ein ostdeutsches Problem sei. Das glauben wir nicht. Aber wir mussten uns halt für ein Bundesland entscheiden, weil jedes Land im Detail anders ist. Wir haben uns für Thüringen entschieden vor dem Hintergrund der letzten Regierungsbildung …

wo sich der nach rechts blinkende FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten wählen ließ und damit eine bis heute andauernde Regierungskrise verursachte …

… ja, die Situation ist hier besonders dringlich. Aber man sollte sich auch mit anderen Bundesländern beschäftigen. Schwachstellen, an denen eine autoritär-populistische Regierung ansetzen könnte, gibt es vermutlich in jedem Bundesland, genauso wie im Bund.

Sie haben eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, mit dem Ziel von knapp 70.000 Euro. Kurz nach dem Start sind schon über 10.000 Euro zusammengekommen. Wofür wird das Geld ausgegeben und warum sollte es eine Crowdfunding-Kampagne sein?

Um das Thema gründlich zu bearbeiten, brauchen wir zwei wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, die bis zum Frühsommer 2024 Ergebnisse zusammentragen, und eine studentische Hilfskraft sowie einen Reiseetat. Ein solches Projekt können wir unmöglich aus dem Bestand stemmen, dazu sind wir viel zu klein. Eine Crowdfunding-Kampagne machen wir, weil wir das selbst relativ schnell und unkompliziert auf die Schiene setzen konnten. Antragsverfahren für Fördergelder brauchen Zeit, und die haben wir nicht. Außerdem macht es auch inhaltlich Sinn, so ein Projekt auf eine breite gesellschaftliche Spendenbasis zu stellen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • "Es ist möglich, in nur einer Legislaturperiode mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag das Grundgesetz zu neutralisieren, und zwar ohne offenen Verfassungsbruch. Ganz legal."

    Der Herr Steinbeis ist in seiner Ausführung hier bei der taz sehr wenig (um nicht zu sagen gar nicht) auf die Ewigkeitsklausel eingegangen.



    Mich würde interessieren wie diese Klausel ganz legal und ohne Verfassungsbruch ausgehebelt wird.

  • Ja, das find ich auch absurd. Da will ein Journalist erforschen, was bei einer rechten Machtübernahme evtl. passieren könnte, und ignoriert total, was heute schon ständig passiert, u das ganz ohne rechte Machtübernahme.

  • Unvorstellbar. Wie krass wäre das, die Staatsanwaltschaft wäre dem Innenministerium unterstellt. Das würde bedeuten, die Politik könnte mitbestimmen was in welchem Umfang vor Gericht landet und was nicht. Und dann würde die Polizei noch dem gleichen Ministerium unterstellt, sodass auch die Zuarbeit beeinflusst werden kann und dann wären sie auch noch so verflächtet, dass nur mit stark angezogener Handbremse der eine mit dem anderen "ins Gericht" gehen würde... oh, warte

      • @Lowandorder:

        Was wollen Sie uns mit dem Link sagen ?

        Vielleicht, daß der User @LUEBKE das Justizministerium mit dem Innenministerium verwechselt hat ?

        Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Aussage, daß die Staatsanwaltschaften nicht unabhängig sind, sondern politische Anweisungen erfüllen müssen.

        Der ganze Beitrag von Herrn Steinbeis krankt daran, daß er sich nur damit befaßt, was eine rechte Regierung vielleicht machen könnte. Und in keinster Weise darauf eingeht, was die derzeit regierenden Parteien schon seit Jahrzehnten machen.

        • @Don Geraldo:

          Wie wär’s - wennse beides nochmals lesen & Konjunktiv & Indikativ richtig zuordnen?! Danke.

          btw - Daß mir die Weisungsabhängigkeit der Staatsanwaltschaft ein Dorn im Auge ist - hab vxxlfach hier im Floristen around ausgeführt! Gelle.



          always at your servíce - ;)

  • Mir ist ziemlich wurscht, woher jemand kommt, welche Sprache er spricht, welche Religion oder Hautfarbe er hat...wer Antidemokraten und Faschisten wählt, ist für mich raus. Der ist verloren und muss auch nicht mehr heimkommen. Egal, ob aus Frust, Überzeugung oder aus Spaß. Völlig egal. Solchen Menschen darf gerne der Wählerführerschein entzogen werden...auf Lebenszeit, denn so wie trockene Alkoholiker schon bei kleinsten Mengen wieder rückfällig werden, ist das bei Faschisten ähnlich.

  • Ach was! ©️ Vagel Bülow

    “Verfassungen sind keine Lebensversicherung!“



    ©️ Horst Ehmke

    unterm—- servíce—-



    de.wikipedia.org/wiki/Horst_Ehmke



    (“Willy - Aufstehn - Regieren!“;)



    &



    “Die einen sagen, es war Herbert Wehner. Die anderen behaupten, es sei Horst Ehmke gewesen, der den rüpelhaften Satz prägte, man lasse sich seine Politik nicht durch die „acht Arschlöcher in Karlsruhe“ kaputtmachen. Fest steht nur, dass es ein Sozialdemokrat war, der die Beschimpfung in Umlauf setzte, und dass sie auf das Bundesverfassungsgericht zielte, das seinerzeit über die Rechtmäßigkeit der sozialliberalen Ostpolitik zu entscheiden hatte.“



    www.deutschlandfun...rsoenlich-100.html



    ( btw - es reichen ja regelmäßig 5 manchmal gar nur 4! - weswegen eine Delegation des schwedischen Riiksdag Sightseeing-Touren Karlsruhe nach ner Woche “waas da können 45 Nasen aushebeln was der Riiksdag beschlossen hat?! - Nej tak!“ wieder abreisten!



    &



    www.bpb.de/system/files/pdf/WM0Z16.pdf



    &



    detektor.fm/wissen...gerichte-in-europa



    & der Autor



    Seit 1996 schreibt der studierte Jurist über politische und rechtliche Themen. 1997/98 wirkte er als Autor an der Ausstellung In bester Verfassung?! 50 Jahre Grundgesetz der Bundeszentrale für politische Bildung und der Bundesrechtsanwaltskammer mit. Von 1999 bis 2008 arbeitete er als Politikredakteur und Korrespondent für das Handelsblatt. Seither ist er als freier Rechts- und Verfassungspublizist tätig und schreibt u. a. für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt und das Deutschlandradio.“



    de.wikipedia.org/w...ximilian_Steinbeis



    Leo, Steinbeis und Zorn sehen sich selber nicht als Linke und sprechen in dem Buch (Mit Rechten reden.) sogar von einer „Übermacht der Linken“ als „Bedingung für das Comeback der Rechten“ - Na da schau her!

    Na Mahlzeit & Nej tak - zu viel Spekulatius •

    www.google.de/sear...e-de&client=safari

    • @Lowandorder:

      Und nochens zum “überge wichtigem“! Einer hat - leider hier in memoriam - zu mit “Rechten - Braunen - Rechtsradikalen - Nazis - REDEN“ - alles abschließende gesagt - bitte Wiglaf -



      wiglaf droste - mit nazis reden



      www.youtube.com/wa...JlY2h0ZW4gcmVkZW4g



      Ausriß



      “…Warum? Das Schicksal von Nazis ist mir komplett gleich- gültig: ob sie hungern. frieren. bettnässen. schlecht träumen usw. geht mich nichts an. Was mich an ihnen interessiert. ist nur eins: daß man sie hindert, das zu tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht hindert: die bedrohen und nach Möglichkeit umbringen, die nicht in ihre



      Zigarettenschachtelwelt passen.“

      kurz - Aber merke - die übergewichtigen Linken sind das in Schuld! Woll.



      Finde es immer gut zu wissen - wer da welche Räder ab hat - 🙀🥳 - und vor allem - wieviele! Newahr.



      Normal Schonn.

  • Alter, aber nicht minder bedeutender Hut.

    • @Gerhard Krause:

      Klar “…aber noch nicht von jedem.“ K.V.

  • Na endlich macht es mal wer!