Gentechnik-Entscheid der EU-Kommission: Tabubruch auf den Tellern

Die EU-Kommission will die strengen Gentechnik-Regeln lockern. So könnten viele neuartige Genpflanzen ohne Warnhinweise auf den Tisch kommen.

Ein Gerstenfeld

Viele NGT-Pflanzen sollen nach Vorschlag der Kommis­sion wie normale Pflanzen behandelt werden Foto: D. Kerlekin/imago

Der europäische „Green Deal“ soll um ein kontroverses Kapitel erweitert werden. Die EU-Kommission will das Tor für die „grüne Gentechnik“ weiter öffnen, um Nutzpflanzen an die Klimakrise anzupassen und den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren. Am Mittwoch legte die Kommission ihren Entwurf in Brüssel vor; er erntete lauten Protest.

Dabei hat die Brüsseler Behörde alles getan, um ihren Vorschlag zu „neuen genomischen Techniken“ (NGT) hübsch und ökologisch zu verpacken. EU-Kommissar Frans Timmermans präsentierte ihn in einem Gesetzespaket zum „European Green Deal“, das die „nachhaltigere Nutzung von natürlichen Ressourcen in Pflanzen und Böden“ verheißt.

„Innovation ist ein Kernbestandteil unseres Green Deal, vor allem im Bereich der Lebensmittel“, sagte die für Gesundheit zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides. „Wir möchten unseren Bauern neue Techniken zur Verfügung stellen, um gesunde und sichere Lebensmittel herzustellen, die an die Klimaveränderungen angepasst sind.“

Die grüne Rhetorik kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier um einen Tabubruch geht. Die EU-Kommission will die strengen europäischen Gentechnik-Regeln lockern und die Kennzeichnung bei Lebensmitteln weitgehend aushebeln. Wenn sie sich durchsetzt, könnten viele neuartige Genpflanzen ohne Warnhinweise auf den Tisch kommen.

Keine fremden Gene in neuer Pflanze

Konkret sieht der Vorschlag, der noch das Europaparlament und den Ministerrat passieren muss, vor, dass zahlreiche NGT-Pflanzen wie konventionelle Pflanzen behandelt werden. „Das bedeutet, dass für diese Pflanzen keine Risikobewertung vorgenommen werden muss und sie wie konventionelle Pflanzen etikettiert werden“, erklärte die Kommission.

Die neuartigen Pflanzen sollen in zwei Gruppen eingeteilt werden. Solche Pflanzen, „die auch auf natürliche Weise oder durch konventionelle Züchtung entstehen könnten“, sollen wie herkömmliche Zuchtpflanzen behandelt werden. Dagegen müssen Pflanzen, die komplexere Modifikationen aufweisen, weiter gesondert gekennzeichnet werden.

Pflanzen würden seit jeher gekreuzt und ausgewählt, um die richtigen Merkmale im Sinne besserer Ernten zu erhalten, betont die Brüsseler Behörde. „Neue genomische Verfahren ermöglichen es uns, genau dasselbe zu tun – nur schneller und präziser.“ So könne die neuartige Genschere Crispr/Cas präzise Eingriffe an der DNA vornehmen.

Anders als in der klassischen Gentechnik werden bei den neuen Techniken keine fremden Gene in die Pflanze eingeschleust. Bisher wurden beide Methoden gleich streng reguliert. Der Grund: 2001, als die EU-Rechtsvorschriften über gentechnisch veränderte Organismen (GVO) erlassen wurden, gab es die neuen Techniken noch nicht.

Im Ökolandbau weiter verboten

Die nun geplante Lockerung habe nur Vorteile, sagte ein Kom­mis­­sions­experte. NGT-Pflanzen bräuchten weniger Pflanzenschutzmittel, seien besser an den Klimawandel angepasst und erhöhten die Wettbewerbsfähigkeit. Die Bedenken der Ökobauern habe man selbstverständlich berücksichtigt; im Ökolandbau bleibe die neue Gentechnik verboten.

Doch die Beruhigungspillen haben ihre Wirkung verfehlt. Schon im Vorfeld erntete der früh durchgestochene Entwurf einen Sturm der Entrüstung. „Das wäre das Aus der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Landwirtschaft“, warnte die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft im Juni in der taz.

Nun werden die Proteste noch lauter. Dies sei ein „gefährlicher Abschied vom Vorsorgeprinzip“, erklärte der Bioland-Verband. Das „lasche Regelwerk“ werde vor allem den Konzernen gefallen. Dass die großen Saatgut-Unternehmen sich künftig massenweise neue Patente sichern können, sei „wie die vergoldete Kirsche auf der Sahnetorte“.

Gegenwind kommt auch aus dem EU-Parlament. Züchter, Landwirte und Lebensmittelhersteller können zukünftig eine Kontamination mit gentechnisch veränderten Stoffen nicht mehr vermeiden, da die Entwickler der gentechnischen Veränderungen ihre Nachweismethoden für sich behalten dürfen, warnt der grüne Abgeordnete Martin Häusling.

CDU: „Pflanzenzüchtung revolutionieren“

Eine Aufweichung des Vorsorgeprinzips fürchtet auch die SPD-Parlamentarierin Delara Burkhardt. Milder fällt das Urteil bei den Christdemokraten aus. Der Vorschlag der EU-Kommission sei längst überfällig, erklärten die Agrarpolitiker Marlene Mortler, Lena Düpont, Christine Schneider, Norbert Lins und Peter Jahr.

Der Gesetzentwurf biete die Möglichkeit, „die Pflanzenzüchtung zu revolutionieren und nachhaltigere landwirtschaftliche Lebensmittelsysteme zu fördern“. Jetzt komme es vor allem darauf an, die Errungenschaften des europäischen und deutschen Rechtsrahmens für Saatgut zu erhalten, meinen die Politiker aus CDU und CSU.

Zufrieden zeigt sich Bayer in Leverkusen. „Normalerweise dauert es bei der Pflanzenzüchtung über ein Jahrzehnt von den ersten positiven Forschungsergebnissen bis zum Markteintritt. Die Gen-Editierung ermöglicht es uns, fünf Jahre aus diesem Prozess rauszunehmen“, sagte Cheflobbyist Matthias Berninger der Agentur Reuters.

„Wenn die EU den Weg frei macht für diese neue Technologie, wird die Einführung auch weltweit beschleunigt werden“, so Berninger. Davon erhoffe man sich auch größere Märkte. Bayer ist bereits jetzt der weltweit größte Anbieter von Saatgut und Pflanzenschutzmitteln. Der Vorschlag aus Brüssel verheißt nun noch bessere Geschäfte.

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