Ukrainische Hafenstadt Odessa: Eine Stadt in Habachtstellung

Die ukrainische Hafenstadt Odessa liegt nicht an der Front, trotzdem ist der Krieg auch hier dauerpräsent. Ein Streifzug durch den Ort.

Ein Orchester im Park

Leben im Krieg: Ein Parkkonzert zu Ehren der ukrainischen Marine Anfang Juli in Odessa Foto: Viacheslav Onyshchenko/ZUMA/imago

ODESSA taz | In Odessa gibt es Momente, da scheint der Krieg Russlands gegen die Ukraine weit weg zu sein. Menschen flanieren an den Sommertagen durch die Fußgängerzone in der Innenstadt. Straßenmusiker spielen. Man geht den täglichen Einkäufen nach, geht abendessen im georgischen Restaurant oder gönnt sich einen Eiskaffee.

Doch das ist nur die Oberfläche. Zwar sind Richtung Hafen weniger Straßen abgesperrt als vor einem Jahr, aber es gibt noch die Sandsackbarrieren, an denen die Sol­da­t:in­nen der Territorialverteidigung nur durchlassen, wer eine Erlaubnis hat. Um 10.45 Uhr gibt es am Mittwoch wieder Alarm. Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte seien ausgelaufen, die Marschflugkörper vom Typ Kalibr abfeuern können, heißt es in den lokalen Telegram-Kanälen. Abgesehen von einem kurzen Blick aufs Smartphone zeigen die meisten keine Reaktion. Nach anderthalb Stunden kommt die Entwarnung.

Sie habe sehr schlecht geschlafen, erzählt Katya. „Ich mache mir große Sorgen wegen der nuklearen Bedrohung.“ Am Vorabend hatte Präsident Selenski nochmals vor einem russischen Anschlag auf das Atomkraftwerk Saporischschja gewarnt. Von Odessa ist es rund 350 Kilometer Luftlinie entfernt. „Ich habe keine Jodtabletten“, sagt sie. Die Tabletten sollen die Aufnahme von radioaktivem Jod in der Schilddrüse blockieren. „Ich habe die Russen so satt.“ Sie hoffe auf die Gegenoffensive der ukrainischen Armee. „Es ist aber noch zu früh, um ein Ergebnis zu beurteilen.“

Wie schnell der Krieg auch in der Schwarzmeerstadt real werden kann, sieht man in der Schewtschenko-Allee. Für einen Wochentag ist es sehr ruhig. Nur zwei etwa zwölfjährige Jungen drehen ein paar Runden mit dem Fahrrad auf einem Parkplatz. Der ist eigentlich abgesperrt, aber das Flatterband hat dem Wind offenbar nicht standgehalten. Nur ein einzelner ausgebrannter Kleinwagen steht dort vor einem elfstöckigen Gebäude.

Am Meer lauern die Minen

Der Raketeneinschlag in der achten Etage ist gut zu erkennen. Dort sind Wände herausgerissen und rußgeschwärzt. Die Betondecke zur neunten Etage sieht aus, als wäre ein Stück herausgebissen worden. In dem Bürogebäude mit Läden in den unteren Etagen ist alles demoliert. Drei Menschen wurden bei dem Angriff Mitte Juni hier verletzt. In einem Lagerhaus kamen in derselben Nacht drei Mitarbeiter ums Leben.

Taxifahrer Valentin schnauft bei der Frage nach der Gegenoffensive. Erst will er nicht so richtig reden, dann legt er doch los. Er komme aus der teilweise besetzten Region Cherson. Frau und Kinder seien im Westen der Ukraine. Um Geld zu verdienen, fahre er nun in Odessa Taxi. Natürlich wolle er, dass seine Heimat wieder befreit werde. Aber das sei eben nicht einfach. Russland habe eine große Armee. Er wolle nicht unhöflich sein und sei dankbar für die Hilfe auch aus Deutschland. „Ich denke, es wäre einfacher, wenn wir mehr Waffen bekommen hätten. Kampfflugzeuge zum Beispiel.“

Regisseurin Yelisaveta verbringt ein paar Tage zuvor ein paar Stunden am Strand. Ans Meer selbst darf man nicht wegen der Minengefahr und der Wasserverschmutzung, nachdem die russische Armee den Kachowkastaudamm gesprengt hat. Aber immerhin ihr sechsjähriger Sohn könne im Pool planschen. „Da kann ich nicht nein sagen.“ Auch sie macht sich Gedanken über die radioaktive Bedrohung. „Das zeigt, dass Russland einen Erfolg der Gegenoffensive fürchtet.“

Viele ihrer Freunde und Bekannten seien in den vergangenen Monaten zur Armee mobilisiert worden. „Die meisten sind noch in der Ausbildung, einige in Nato-Ländern, andere in der Ukraine.“ Sie habe den Eindruck, dass gründlich ausgebildet werde und viele Einheiten noch gar nicht an der Gegenoffensive beteiligt seien. Es gehe auch nicht darum, schnell zu sein, sondern mit möglichst wenig Opfern voranzukommen. „Russland hatte viel Zeit, sich vorzubereiten. Sie haben so viele Minen gelegt.“ Die müsse man erst mal beseitigen.

Um 13.56 Uhr heulen wieder die Sirenen in Odessa. Strategische Bomber Russlands hätten laut der ukrainischen Luftwaffe in der Nähe des Kaspischen Meeres Marschflugkörper Richtung Osten und Süden der Ukraine gestartet, kann man auf Telegram lesen. Zumindest, wenn man auf sein Handy schaut.

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