Familienkonzert im Theater Bremen: Unter uns

Das jüngste Stück der musikpädagogischen Reihe war höchst unterhaltsam – sobald man damit klarkam, zu einer bescheuerten Blase dazuzugehören.

Ein Mann mit Krone, Konzertmusiker

Bremen will Kinder mit der Reihe für klassische Musik begeistern Foto: Theater Bremen

BREMEN taz | „Merlin würde doch nie ohne sein Lastenrad weg fahren“, sagt der, der sich als Artus vorgestellt hat, und die Zu­schaue­r:in­nen lachen. Eine höhere Dichte an Las­ten­rad­fah­re­r:in­nen als bei den Familienkonzerten des Theaters Bremen ist kaum vorstellbar. Drei Viertel der Erwachsenen im Publikum – Kinder, noch mehr Eltern und Großeltern – sehen aus, als hätten sie neben dem Familienvan so eine elegante Kinderkutsche vor dem Eigenheim stehen, und die anderen, als hätten sie gern eine, können sie sich aber nicht leisten, weil sie zwar das kulturelle, aber nicht das finanzielle Kapital haben, um regelmäßig mit der ganzen Familie klassische Konzerte zu besuchen, also echte, die noch teurer sind als dieses hier.

Die eigene Blase

Seit einigen Jahren gibt es die Reihe „Familienkonzert“, mit der das Theater der Stadt Bremen Kinder für klassische Musik begeistern will – auf die denkbar unterhaltsamste, kurzweiligste Weise. Auch für Erwachsene sind die Aufführungen geeignet, Angst und Ehrfurcht vor Hochkultur zu verlieren. Jedenfalls, sobald man über die Erkenntnis hinweg gekommen ist, zu genau der Blase dazuzugehören, die man selbst so bescheuert findet, etwa wegen ihrer Vorliebe für schwere, sperrige Kindertransportmobile.

Das Publikum ist nicht nur so weiß, wie es weißer kaum sein kann, man kann ihm auch genau ansehen, in welchen Stadtteilen es wohnt, nämlich in denen, in denen es nicht weit ist zum in der Innenstadt gelegenen Theater. „Das ist ein Kon-trafagott“, piepsen da Sechsjährige, wenn sie mitten im Orchester auf der Bühne sitzen und der Dirigent fragt, wer denn schon mal so ein Instrument gehört hätte.

Bei der jüngsten Show – es gibt keinen Begriff, der besser den Charakter der Reihe beschreiben könnte – waren Publikum und Spielende wieder getrennt, hier die Bühne, dort die Tribüne, und das nicht im großen Haus am Goetheplatz, sondern im Tabakquartier, einem Neubaugebiet am südlichen Stadtrand, in dem die Bremer Philharmoniker, das landeseigene Orchester, in einer ehemaligen Lagerhalle einen Übungssaal haben. Für „Merlin, der Zauberer“ haben sie sich zusammengetan mit dem Jugendsinfonieorchester Bremen und spielen, so die Ankündigung, „magische Musik“: Schumann, Bartok, Purcell, Sibelius, Prokofjew und zum Schluss den ersten Satz aus Elgars „Pomp and Circumstances“.

Die Musik ist einerseits die Hauptsache – es ist schwer, sich ihrem Zauber zu entziehen. Andererseits ist sie völlig nebensächlich, weil sich die Aufmerksamkeit der meisten Kinder auf die beiden Darsteller richten wird, die im Bühnenraum vor dem Orchester agieren. Der Schauspieler Alexander Swoboda (Merlin) und der Opernsänger Wolfgang von Borries (Artus) sind ein eingespieltes Team, viele Jahre waren sie das Herz von „Moni, die Möwe“, die früher durch die Familienkonzerte leitete, mild anarchisch, aber stets mit pädagogischem Auftrag.

Artus lernt Tischmanieren

Die Rahmenhandlung erschließt sich nicht ganz, irgendwie trifft Merlin, der kein Zauberer ist, sondern ein Berliner Monteur, auf Artus, bevor dieser König wird. Er versucht, ihm Tischmanieren beizubringen, und dass es besser ist, sich bei Wettkämpfen nicht zu töten, sondern nur zu gucken, wer sich dabei geschickter anstellt. „Aber wie findet ihr denn dann euren König“, fragt Artus verdutzt, der kurz darauf selbst kampflos König wird, weil er DAS Schwert, das excaliburmäßig zur Hälfte orange aufglimmt, aus einer Heizung zieht.

Weil der Tisch, an dem Artus eben noch Spaghetti aß, auf der Bühne steht, assoziieren sie zum Thema Tisch, erfinden die direkte Demokratie, in dem nicht nur einer am grooooßen Tisch sitzt und alles bestimmt (die Erwachsenen lachen, jedenfalls die, die Bilder von Putins Tisch gesehen haben), und dann die Tafelrunde. „You’ll never walk alone“, schmettert Artus, hier in der Fassung des Musicals von Oscar Hammerstein und nicht in der der Fans des FC Liverpool.

Am Ende gibt es noch etwas keltische Baummystik (Esche, Weißdorn, Eiche), Artus covert Rio Reiser („Trump mal wie Waldi in die Waden beißen“) und fragt Merlin, ob sie das wohl alles richtig gemacht haben. Der, ganz pragmatischer Berliner Handwerker, nickt, ein letztes Mal gibt das Orchester alles, und die Kinder erspüren den Rhythmus des Stücks, weil einige zuvor ein Ende eines rot-weißen Flatterbands in die Hand gedrückt bekommen haben, das sie nun zur Musik über ihren Köpfen schwenken.

Leider läuft dieses Konzert nur einmal und nicht wie sonst nochmal am Vormittag für Schulen.

„Merlin, der Zauberer“ wird noch einmal am 9. September um 14:30 Uhr im Theater am Goetheplatz beim Tag der offenen Tür aufgeführt. Karten müssen bestellt werden, Eintritt ist frei.

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Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; in Weiterbildung zur systemischen Beraterin.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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