Bremen will „City of Literature“ werden: Hoffen auf die Stadtmusikanten

Ist Bremen eine Literaturstadt? Die Bewerbung um den Unesco-Titel „City of Literature“ bündelt Kräfte aus freier Szene und offizieller Kulturpolitik.

Das Kontorhaus in der Bremer Innenstadt.

Soll Anlaufpunkt für Literaturszene und Stadtmusikanten-Fans werden: das Kontorhaus am Bremer Markt Foto: dpa | Sina Schuldt

BREMEN taz | Es fehlt ein Ort für Literatur in Bremen: Darüber sind sich vor Ort alle einig, scheint’s. Zentral, repräsentativ, inklusiv soll er sein; ein Ort, an dem die Szene sich koordinieren kann – und an den sich auch mal richtig bekannte Au­to­r*in­nen zu Lesungen einladen lassen.

Anlaufstelle für schreibende und lesende Menschen der Stadt ist bisher und seit (neulich gefeierten) 40 Jahren das „Literaturkontor“, ein Verein mit inzwischen 230 Mitgliedern. Sein Programm ist durchaus breit: Von der Vergabe des Au­to­r*in­nen­sti­pen­di­ums in Höhe von 5.000 Euro, Veranstaltungsreihen, Festivals bis hin zu öffentlichen Schreibwerkstätten und der Interessenvertretung der örtlichen Szene.

Gegründet hatte man sich 1983 aus der freien Szene heraus. Die Villa Ichon, ein Altbau mit knarzenden Böden und vielen Türschwellen, beherbergt das Kontor bislang auf engstem Raum. „Man kann hier einfach nicht abhängen“, sagt Jens Laloire, Geschäftsführer des Literaturkontors.

Der Fokus auf lokale Au­to­r*in­nen unterscheidet das Kontor von vielen Literaturhäusern bundesweit. Lesungen von außerhalb können nur dank Drittmitteln umgesetzt werden, Budget und Personal seien zu knapp, sagt Laloire. Er hebt die Kinderbuch- und Krimiszene als besonders gut aufgestellt hervor, auch eine reiche Poetry-Slam-, Comic- und Zine-Szene gibt es demnach.

Viele bekannte Au­to­r*in­nen aber verlassen Bremen. „Es gibt einfach mehr Gelegenheiten in größeren Städten“, sagt Laloire. „Das fehlt vielleicht.“ Die Lyrikerin Donka Dimova, Nachwuchsstipendiatin des Literaturkontors, vermisst etwas anderes: „Die paar Bremer Verlage bleiben leider sehr lokal. Das finde ich so schade. Eine Stadt, die ihre eigenen Menschen nicht verlegen kann, verliert sie.“

Das Unesco-Programm „Creative Cities“ vernetzt seit 2004 weltweit Städte, die Erfahrungen und Ideen austauschen in Sparten wie Film, Musik oder Design.

Vier deutsche Städte sind derzeit Mitglieder des Netzwerks: Berlin als „City of Design“, Hannover und Mannheim („Cities of Music“) sowie Heidelberg („City of Literature“).

Über die Aufnahme entscheidet der*­die Unesco-Generaldirektor*in, im Bereich Literatur unter anderem beraten durch die Schriftsteller­*innenvereinigung PEN International. Bisher gibt es weltweit 42 Unesco-Literaturstädte.

Zweiter großer Akteur in der Bremer Landschaft ist der Verein „Virtuelles Literaturhaus“, seit fast 20 Jahren im Bereich digitale Produktion sowie Kinder- und Jugendprojekte aktiv. Das literarische Leben selbst findet an wechselnden Orten statt. Ak­teu­r*in­nen gibt es durchaus, darunter die Stadtbibliothek, einen Masterstudiengang, Buchhandlungen, das Theater und, immerhin, knapp zehn unabhängige Verlage.

Nun bewirbt sich Bremen am 30. Juni um den Unesco-Titel „City of Literature“ – die Auszeichnung würde zwar kein Geld bringen, verspräche aber internationale Vernetzung, Sichtbarkeit und, irgendwie, wirtschaftliche Entwicklung.

Seit die Bewerbung im Jahr 2020 aus der Kulturbehörde heraus in Gang gebracht wurde, hat sich vor Ort schon einiges bewegt: Entstanden sind literarische Vermittlungsformate und das digitale Literaturmagazin, umgesetzt vom Literaturkontor und dem Virtuellen Literaturhaus. Auch die Höhe des Au­to­r*in­nen­sti­pen­di­ums wurde verdoppelt. Doch entscheidend für den Zuschlag könnte das geplante Stadtmusikanten- und Literaturzentrum im alten Kontorhaus am Markt sein.

Im März dieses Jahres haben der Senat und die Kulturdeputation beschlossen, die Immobilie für mindestens 25 Jahre zu mieten. In den Plänen vereinen sich Interessen: Politisch geht es um mehr Attraktivität für die aussterbende Innenstadt.

Bürgermeister und Kultursenator Andreas Bovenschulte (SPD) plant in einem Teil des Hauses eine Edutainment-Ausstellung für Tou­ris­t*in­nen und Familien, die privatwirtschaftlich betrieben werden soll: Die Stadtmusikanten als Marke sollen im Stadtbild sichtbarer werden – mitsamt der Themen Flucht, Exil und Solidarität. Der Großteil der Fläche ist aber für die Literatur vorgesehen und soll von Literaturkontor und Virtuellem Literaturhaus gemeinsam gestaltet werden.

Vom Bund kommen rund 5 Millionen, insgesamt sollen nach derzeitigem Stand rund 14 Millionen Euro investiert werden. Anfangs, 2020, waren noch 3,7 Millionen weniger geplant.

Kritik kam von inner- und außerhalb der Regierungskoalition: Die CDU fand, die Volkshochschule sei als Generalmieter nicht geeignet, auch wirke das Konzept nach dem Ausstieg der Wirtschaftsförderung fragwürdig. Die FDP kritisiert, dass die Stadt das Gebäude vor einigen Jahren verkaufte, um es nun zurückzumieten. Die Grünen sind sich uneins, plädieren aber mit der Linken für ein Zentrum für Exilliteratur sowie ein Stipendium für geflohene Autor*innen.

Das neue Literaturhaus soll 2025 fertig sein. Laloire und Dimova hoffen auf Niedrigschwelligkeit. Die Autorin wünscht sich einen Ort, an dem sie „bei einem Kaffee, der nicht fünf Euro kostet, einen halben Tag lang sitzen, lesen und arbeiten kann“.

Kriterien für die Unesco sind unter anderem Quantität, Qualität und Diversität der Verlage, Bildungsangebote, Literaturevents, aber auch die Nachwuchsförderung. Nach einer längeren Zeit ohne Literaturmagazin für junge Schreibende gibt es seit 2021 wieder eines: den Koller. An der Universität bietet das Literaturkontor regelmäßig Kurse in literarischem Schreiben an. Ein Nachwuchsproblem habe Bremen nicht, sagt Laloire. „Die Frage ist nur, machen sie demnächst einen Schritt? Und: Machen sie ihn in Bremen?“

Am 31. Oktober fällt die Entscheidung. Sei man erfolgreich, so ­Laloire, „muss die Stadt weiterhin viel dafür tun, um dem Titel in den nächsten Jahren gerecht zu werden“.

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