Saroos' neues Album „Turtle Roll“: Singen dank Seuche

Indietronic war gestern. Das Trio Saroos polstert sein neues Album „Turtle Roll“ mit Gesang, Hooklines und Popappeal geschmackvoll auf.

Auf einem Parkplatz drei Männer aus der Ferne gesehen. Der eine sitzt auf einem Fahrrad

Die Herren Punktezahl, Brandner und Zimmer (von links) im Münchner Schlachthofviertel Foto: André Habermann

Saroos, so heißt ein schüchternes Völkchen, das sich nicht aus seinem Tal wagt. Erfunden hat es der so kauzige wie visionäre britische Popkomponist und Produzent Joe Meek für sein entspannt-verschrobenes Space-Age-Konzeptalbum „I Hear A New World“ (1960/1991). Auf diesem Album dachte er darüber nach, wie es auf weit entfernten Planeten klingt, wenn die Bewohner traurig sind. Oder auch darüber, zu welchen Klängen im All getanzt wird.

Diese Scheu, erklärt Florian Zimmer, Keyboarder der Band Saroos, konnten er und seine beiden Mitstreiter bei sich wiedererkennen und benannten sich also nach Meeks Tribe: „Bei uns funktioniert es allerdings umgekehrt: Wir gehen in die Welt raus, obwohl wir uns eigentlich nicht trauen.“ Nun, das mag einst so gewesen sein.

Zimmer und Schlagzeuger Christoph Brandner lernten sich als Musiker der Weilheimer Combo Lali Puna kennen – und suchten bald nach Raum für Ideen, die dort keinen Platz hatten. Zu ihnen stieß Max Punktezahl; einst bei der Berliner Band Contriva. Als Tourgitarrist von The Notwist gehörte er ebenfalls zu dieser im Oberbayerischen beheimateten produktiven Blase. Ihr gemeinsames Debütalbum „Saroos“ erschien 2006. Auf dem neuen, sechsten Album „Turtle Roll“, trauen sie sich nun einiges mehr.

Nicht mehr zu seltsam, um Pop zu sein

Saroos: „Turtle Roll“ (Alien Transistor/Morr Music/Indigo. Live: im September.

Noch 2016 hat die Postrock-Combo ihr Zwischen-den-Stühlen-Sitzen so umschrieben: „Wir machen Instrumentalmusik, die zu melodisch und verträumt ist, um als experimentell durchzugehen; die aber auch zu seltsam und instrumental klingt, um Pop zu sein.“

Mit „Turtle Roll“ sind sie jetzt doch in Pop-Gefilden gelandet. Und klingen aller Versponnenheit zum Trotz eingängig – und so eklektizistisch wie ein Sommer-Mixtape. Auch in einem anderen Punkt bewegen Saroos sich raus aus ihrer Komfortzone: Erstmals wird in den Stücken gesungen. Das übernehmen sieben Gäste: Ronald Lippok (To Rococo Rot) sprechsingt beim funky Auftakt „Tin & Glass“ sonor und retrofuturistisch. Solent aus Kanada gibt dem erst verschlurften, dann groovenden „The Mind Knows“ eine Dreampop-Anmutung.

Selbst zu singen, kam nicht in Frage

Nach Erscheinen des Vorgängers „OLU“ (2020), punktgenau zum ersten Lockdown, haben die drei gleich weiter an Songs gearbeitet. „Weil es gerade so viel Spaß machte“, sagt Zimmer, und weil die Tour ins Wasser fiel. Als sie sich dann wieder trafen, kam die Frage auf: Warum nicht mit echten Stimmen arbeiten? „Mit Samples haben wir uns oft beschäftigt. Wir wissen, wie das geht,“ erzählt Zimmer. „Selbst zu singen, kam nicht in Frage. Da sind wir eher semitalentiert.“

So fragten sie bei der Performancekünstlerin Leila Gharib alias Sequoyah Tiger an, einer Musikerin, Produzentin und Breakdancerin aus Verona. Heraus kam das mäandernde „Frequency Change“: ein Highlight dieses tollen Synthiepop-Albums – neben dem perlenden „Mutazione“, bei dem die in Berlin lebende Technoproduzentin Eva Geist singt, Italienerin auch sie.

Ob Saroos mit dem neuen Sinn fürs Gemeinschaftliche auf die pandemiebedingte Isolation reagierten – darüber sind sich die Künstler beim Interview uneinig. Punktezahl erinnert, dass die Idee mit den Gast­sän­ge­r:In­nen schon vor Corona im Raum stand. Zimmer dagegen erzählt begeistert, wie überraschend die Anbahnung der Gastauftritte geriet. „Weil in der Pandemie niemand unterwegs sein konnte, kam sofort eine Antwort. Die Sessions waren inspirierend. Ich weiß nicht, ob das sonst so passiert wäre.“ Das Trio einigt sich darauf, dass die Seuche beschleunigte, was sowieso anstand.

„Sonst klopfen wir es in die Tonne“

Früher haben die drei in München, Berlin und Hamburg lebenden Musiker Ideen vor allem über Filesharing ausgetauscht, erzählt Brandner. „Inzwischen treffen wir uns öfter zu zweit, manchmal auch zu dritt.“ Dabei setzen sie sich ein Limit: Innerhalb einer Stunde muss eine brauchbare Idee entstehen. „Sonst klopfen wir es in die Tonne.“ Mittlerweile spielen sie viel selbst ein und programmieren wenig.

Saroos haben sich freigespielt – und sind nicht in der Abstraktion gelandet, sondern bei gesteigertem Popappeal. „Vor zehn Jahren wäre uns das zu cheesy gewesen“, beobachtet Punktezahl. Brandner rückt zurecht: „Wir hätten das schlichtweg nicht gewagt. Es braucht auch Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sich nackig zu machen und am Vibrafon herumzustümpern, obwohl man eigentlich nicht spielen kann. Mit der Zeit gewöhnt man sich an solche Zustände.“

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