Evangelischer Kirchentag in Nürnberg: Krise, Krieg und Gottvertrauen

Zehntausende Menschen sind zum Evangelischen Kirchentag gereist. Zentrale Themen: Der Krieg in der Ukraine, Waffenlieferungen und Klimakrise.

Eine Person schützt sich mit einem Programmheft vor der Sonne

Sonne im Gottesdienst: Das Programmheft taugt was! Foto: Daniel Karmann/dpa

NÜRNBERG taz/epd | Auch die Evangelische Kirche muss Antworten finden auf die hohe Zahl an Kirchenaustritten. Aber zugegeben, daran denkt man zum Auftakt des Evangelischen Kirchentags in Nürnberg zunächst nicht mehr. Hier sieht man ja auch überall viele Christ*innen: am Bahnhof suchen angereiste Großgruppen gemeinsam auf dem Stadtplan ihre Unterkunft, die Gassen in der Altstadt sind gefüllt mit Menschen, die den grün-gelben Kirchentagschal tragen. „Jetzt ist die Zeit“ steht darauf. Mit ihrer Ankunft beginnt in Nürnberg der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag.

Mehr als 60.000 Tickets wurden verkauft, über 2.000 Veranstaltungen wird es in den fünf Tagen geben. Neben Diskussionsveranstaltungen, mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock oder der Klimaaktivistin Luisa Neubauer, werden viele gemeinsame Gottesdienste gefeiert.

Eröffnungsgottesdienst für alle

Damit wurde der Kirchentag am Mittwochabend in Nürnberg auch eröffnet. Am Kornmarkt knallte den Chris­t*in­nen in der Nürnberger Innenstadt die Abendsonne in die Gesichter. Dass einige nicht zum ersten Mal dabei sind, zeigt ihre gute Vorbereitung: Sonnenhüte, Sonnenbrille, Klappstuhl. Andere halten sich ihr Programmheft leicht angestrengt über den Kopf.

Auf der Bühne auf dem Hauptmarkt treten die Promis auf, etwa der ehemalige Bundesinnenminister und Kirchentagspräsident Thomas de Maizière oder der Münchner Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Beim Abschlussabend des Eröffnungstages spricht Steinmeier direkt ein heikles Thema an, das auf dem Kirchentag allgegenwärtig sein wird. Seit mehr als einem Jahr tobt der brutale Krieg in der Ukraine. Deutschland zählt mit zu den größten Waffenlieferanten. Ist dies verantwortbar mit einer christlichen Friedensethik?

Der Bundespräsident verteidigt auf dem Kirchentag die Unterstützung der Ukraine mit Waffen. „Auch ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich einmal sagen würde: Neben all den anderen Anstrengungen, es ist auch Zeit für Waffen“, sagte er. Die Bilder und Nachrichten aus der Ukraine seien unerträglich. „Aber wir dürfen nicht so tun, als gäbe es einfache Lösungen.“ „Wenn Russland seine Soldaten zurückzieht, dann ist der Krieg zu Ende. Wenn die Ukraine ihre Verteidigung einstellt, dann ist das das Ende der Ukraine“, so Steinmeier.

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm bezog sich beim Freiluft-Gottesdienst vor allem auf die Klimakrise: „Mit der ökologischen Umorientierung von Wirtschaft und Gesellschaft geht es viel zu langsam. Das Klima droht zu kippen.“ Vom Nürnberger Kirchentag mit der biblischen Losung „Jetzt ist die Zeit“ solle eine klare Botschaft ausgehen: „Ja, wir wollen unser Leben neu ausrichten.“ Das Glück der Menschen dürfe nicht mehr am Wachstum des materiellen Wohlstands festgemacht werden.

Anspruch Barrierearmut

An der Hauptbühne geht es um große Politik. Nebendran am Kornmarkt um Politik im Kleinen – aber vor allem um den Anspruch, eine politische Haltung in die Tat umzusetzen. Der kleine Gottesdienst will alle ansprechen und ist komplett in leichter Sprache gehalten. Das bedeutet: kürzere Sätze, einfache Wörter, eine klare Struktur. Es ist eine Möglichkeit, um Barrierefreiheit zu schaffen und den Gottesdienst für alle Menschen zugänglich zu machen. Das ist inklusiv, zum Beispiel für Menschen mit einer Leseschwäche, Lernschwierigkeiten, einer kognitiven Behinderung oder wenig Deutschkenntnissen.

Dass der Evangelische Kirchentag sein barrierearmes Konzept wirklich durchdacht hat, merkt man hier auch an anderen Stellen: Gebärdendolmetscherinnen übersetzen das gesprochene Wort, eine Gruppe von Menschen übersetzt auf der Bühne außerdem wie ein zusätzlicher Chor jedes gesungene Lied in Gebärden. Alle Texte werden dazu auf großen Leinwänden mit Untertiteln eingeblendet.

Mit dabei ist auch die Theologin und Schriftstellerin Christina Brudereck aus Essen. Gegenüber der taz erzählt Brudereck, dass sie sich vor den Vorbereitungen für den Gottesdienst noch nie mit leichter Sprache beschäftig habe: „Aber ich habe das Anliegen dann zu meinem gemacht.“ Die Rückmeldungen auf ihre Predigt beim Eröffnungsgottesdienst sind positiv: „Ich finde, das Experiment ist gut gelungen. Ich habe zum Beispiel Feedback bekommen von mehreren Personen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Sie haben sich herzlich bedankt“, so Brudereck.

Die Stimmung bei dem Gottesdienst herzlich, entspannt. Wie viel Arbeit nicht nur in diesem inklusiven Gottesdienst, sondern in der gesamten Koordination steckt, merkt man den Menschen auf der Bühne nicht an. Im Anschluss an den Gottesdienst kann man es aber erahnen: „Und, bist du noch bei einem Getränk dabei?“, fragt eine Freiwillige eine weitere: „Nee du. Ich muss ganz dringend schlafen.“

Nach vier Jahren treffen sich in Nürnberg Teil­neh­me­r*in­nen erstmals wieder live zu einem Kirchentag. 2019 zog der Kirchentag in Dortmund rund 120.000 Menschen an. 2021 fand ein Ökumenischer Kirchentag in Frankfurt am Main wegen der Coronapandemie weitgehend digital statt.

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