Nach dem Tod von Berlusconi: Er wird bleiben
Berlusconi war längst eine Randfigur, die Medien ihm gegenüber milde geworden. Sein Tod wird keine breitere kritische Distanzierung zur Folge haben.
D ie italienischen Medien neigen oft zur Übertreibung, doch nach Silvio Berlusconis Tod am 12. Juni schienen manche von ihnen jedes Maß verloren zu haben. Ganze 20, sogar 30 Seiten widmeten die wichtigsten Zeitungen dem Ereignis. Dass der Tod aufgrund des hohen Alters und der Krankheit erwartet worden war und die Redaktionen Zeit hatten, sich vorzubereiten, half in Sachen Knappheit nicht. Doch abgesehen von der Berichterstattung zu der Trauerfeier im Mailänder Dom, die bis ins kleinste, unnötige Detail erzählt wurde, gab es in den vielen Beiträgen wenig Neues zu lesen.
Berlusconi ist seit zehn Jahren keine zentrale politische Figur mehr, obwohl seine Partei für die Bildung der Meloni-Regierung entscheidend war und immer noch ist. In den vergangenen Jahrzehnten ist über ihn fast alles gesagt worden. Ja, es bleibt noch einiges Wichtige zu klären, seine Verstrickung in verbrecherische Strukturen wie die Mafia zum Beispiel, es ist aber fraglich, ob das je passieren wird. Über Berlusconi als Unternehmer und Medienmogul, als Freund der Neofaschisten, als moralisch verwerflicher Politiker, als erster Populist seiner Art und Inspirationsquelle für alle Trumps der Welt wurden allerdings genügend Zeilen geschrieben.
Francesca Polistina ist eine italienische Journalistin, die in Deutschland lebt. Sie schreibt für verschiedene Medien und befasst sich hauptsächlich mit italienischer Politik und Gesellschaft. Zuvor hat sie bei einer italienischen Lokalzeitung gearbeitet und in München, Dresden und Brüssel Journalismus und Romanistik studiert.
Wohlgemerkt: ohne dass das je zu einer eindeutigen Zuordnung seiner politischen Figur geführt hat. Denn obwohl die ausländische Presse meistens eine klare Meinung zu Berlusconi hat: in Italien gibt es die schlicht nicht. Von seinen Anfängen in der Politik 1993/1994 bis zu seinem Tod hat Berlusconi die öffentliche Meinung in Italien immer gespalten. Viele hassen ihn, viele andere verehren ihn.
Was wird also bleiben? Die Frage bezüglich seiner Partei Forza Italia wird sich in den nächsten Monaten klären. Berlusconi hat sich nie um einen politischen Nachfolger gekümmert, er ist immer der Chef – besser: die Partei selbst – gewesen. Die Forza Italia ist nun kopflos, eine Auflösung nach 30 Jahren nicht ausgeschlossen. Sollte das tatsächlich passieren, könnten die jetzigen Parteimitglieder zu Giorgia Meloni oder eventuell zu Matteo Salvini wechseln.
Er hat jedes Tabu gebrochen
Der Terzo Polo (dritter Pol), eine politische Gruppe aus der Mitte um Carlo Calenda und Matteo Renzi, könnte zwar manche Berlusconi-Anhänger anlocken, doch angesichts der schlechten Wahlergebnisse hat er gerade eine geringe Anziehungskraft. Schlüsselfigur innerhalb der Forza Italia ist der Koordinator und ehemalige Präsident des Europaparlaments Antonio Tajani, aber auch Berlusconis Lebensgefährtin und seine Kinder werden das Sagen haben.
Doch sollte auch Berlusconis Partei verschwinden: der „Berlusconismus“, wie man das von ihm initiierte politische und soziale System nennt, ist inzwischen vom Land absorbiert worden – und er wird bleiben. Berlusconi hat so lange regiert wie kein anderer Ministerpräsident seit der Gründung der italienischen Republik, dennoch hat sich sein Versprechen einer „liberalen Revolution“ keineswegs bewahrheitet.
Die Bilanz seiner vier Kabinette ist miserabel – keine signifikanten Reformen, schlechte Gesetze wie das Migrationsgesetz, eine schlechtere wirtschaftliche Lage für das Land. Dennoch sind sich Befürworter wie seine Kritiker einig: Dieser Mann hat die italienische Politik und das Land selbst tief verändert.
Jedes Tabu gebrochen
Berlusconi hat jedes Tabu gebrochen. Er hat die Partei Alleanza Nazionale, die aus dem neofaschistischen Movimento Sociale Italiano hervorging, in die Regierung geholt und somit einen Präzedenzfall für das heutige Meloni-Kabinett geschaffen.
Er hat mit politisch unkorrekten Äußerungen gehetzt und systematisch Lügen propagiert – manchmal war es zu absurd, um wahr zu sein, aber es funktionierte. Er hat das private Fernsehen nach Italien gebracht und es ausgenutzt, um mit den Wählerinnen und Wählern direkt zu kommunizieren, lange bevor die Sozialen Netzwerke kamen. Er hat die Justiz diskreditiert, Gesetze zu seinen Gunsten initiiert und Sexparties mit Minderjährigen organisiert.
Er hat Straftaten wie illegales Bauen und Steuerhinterziehung toleriert, ja gar gefördert. Er hat gegen die Institutionen selbst gewettert und sich über jede Art von Bürgersinn lustig gemacht. Er hat sich mit Kriminellen umgeben. Gewiss, bestimmte Tendenzen existierten in der italienischen Politik bereits früher. Doch Berlusconi hat sie beschleunigt und ins Extreme getrieben. Dass nun in Italien eine rechtsextreme Koalition regiert und die öffentliche Meinung anfällig ist für Populismen jeder Couleur, hat durchaus mit ihm zu tun.
Immerhin ist er nicht Präsident geworden
Es ist also legitim, sich zu fragen: Was wird man über ihn in den Geschichtsbüchern lesen? Berlusconi hinterlässt eine Spaltung innerhalb der ohnehin schon gespaltenen Bevölkerung – und wer glaubt, mit der Zeit würde er klarer einzuschätzen sein, der irrt: Selbst der Faschismuserfinder Benito Mussolini wird noch von einem erheblichen Teil der Italiener als „guter Diktator“ gesehen, eine allgemein geteilte Interpretation zu ihm sucht man vergebens. Die Hoffnung, die Menschen würden sich künftig von Berlusconi distanzieren, ist also naiv.
Zumal der erste Schritt in Richtung politischer Heiligsprechung schon gemacht wurde, mit dem pompösen Begräbnis im Mailänder Dom und der Anordnung eines nationalen Trauertags, was bisher immer nur für Präsidenten der Republik erlassen wurde.
Hinzu kommt, dass sich in den vergangenen Jahren, auch wegen seines Alters und der politischen Marginalität, eine mildere Beurteilung breit gemacht hat. Berlusconi galt plötzlich als der Moderate innerhalb der Meloni-Koalition, als immerhin überzeugter Europäer, als humorvoller, witziger Mensch. Es ist beängstigend und pathetisch zugleich, dass nun in vielen Medien von einer „vita straordinaria“, von einem außergewöhnlichen Leben, die Rede ist. Ist diese positive Deutung das, was die italienischen Kinder in den Geschichtsbüchern lesen werden? Das würde nicht überraschen. Sein Traum war es, Präsident zu werden. Immerhin das hat nicht geklappt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt