Umstrittene Rentenreform in Frankreich: Debatte abgewürgt

In Frankreich hat eine Parlamentsfraktion versucht, das neue Rentengesetz doch noch einmal zu diskutieren. Aber die Staatsführung blockt ab.

Emmanuel Macron

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Foto: Gonzalo Fuentes/ap

PARIS taz | Die kleine Fraktion von 21 unabhängigen Regionalisten, Zentristen und parteilosen Linken in der französischen Nationalversammlung (groupe Libertés, indépendants, outre-mer et territoires, kurz: LIOT) glaubte, ein legales Mittel gefunden zu haben, um doch noch eine faire Debatte über das Rentenalter zu erzwingen. Denn die Regierungsvorlage, die die gesetzliche Altersgrenze für den Ruhestand auf 64 Jahre anhebt, war im April ohne Votum für angenommen erklärt worden.

Und trotz massiver Streiks und Demonstrationen will die Staatsführung nicht darüber diskutieren, geschweige denn die Abgeordneten oder gar das Volk abstimmen lassen. Denn die Regierung von Präsident Emmanuel Macron hat gar keine Mehrheit mehr in der Nationalversammlung. Sie hängt bei jedem Votum von den Konservativen ab, die zwischen Opposition und Regierungslager schwanken und ihre Unterstützung so teuer wie möglich verkaufen wollen.

Im LIOT-Gesetzesantrag, für den sowohl die gesamte Linke wie die rechtsextreme Opposition stimmen würden, witterte die Regierung Gefahr. Es wäre eine schallende Ohrfeige für den Staatschef, wenn die Abgeordneten parlamentarische Rechte nutzen könnten, auf diese unpopuläre Reform zurückzukommen. Was nicht sein soll, darf schlicht nicht sein. Zuerst wollten die Parlamentarier der Regierungsparteien den Antrag als solchen einfach für illegal erklären. Das aber ging so nicht.

Mit Finten gelingt es den Macronisten nun jedoch dennoch, eine ungelegene Debatte und Abstimmung über das verflixte Rentenalter zu vermeiden. Sie berufen sich auf Regeln des Parlaments und eine fragwürdige (vom Verfassungsgericht überprüfte) Auslegung der Verfassung. Ihr anfängliches Argument war, dass es verfassungswidrig sei, die Rückkehr zum Rentenalter 62 erneut auf die Tagesordnung zu setzen, weil diese den Staatshaushalt aus dem Gleichgewicht bringen würde.

Dem widersprach aber der Vorsitzende der Finanzkommission der Nationalversammlung. Er ist zum Unglück für das Regierungslager ein Linker, nämlich Eric Coquerel von der France insoumise. Er erklärte kraft seiner Kompetenzen die LIOT-Vorlage für zulässig und protestierte gegen die Versuche einer „Zensur“ der Freunde des Staatschefs, die offenbar „ein Problem mit der parlamentarischen Demokratie“ hätten.

Als Notbremse zur Verhinderung der Debatte hat sich die parlamentarische Kommission für Sozialfragen, die sich ebenfalls vor einer Debatte im Plenum zum Antrag äußern musste, mit knapper Mehrheit mit 38 von 70 Stimmen gegen den Antrag einer Rückkehr zum Rentenalter gestellt. Sie hat die Vorlage der Opposition auf Wunsch der Regierung jeglicher Substanz entleert: Der entscheidende Abschnitt zum Rentenalter wurde gekippt. Zudem untersagte die Vorsitzende der Kommission, Fadila Khattabi von der Macron-Partei Renaissance, der Opposition, Ergänzungsanträge zu stellen.

Frustriert und wütend verließen die Abgeordneten der Linksunion NUPES die Kommission. Ihre letzte Chance, auf institutionellem Weg auf die Rentenreform zurückzukommen, ist zunichte gemacht worden. Die Staatsführung hat aber auch den Beweis erbracht, dass Frankreich keine parlamentarische Demokratie ist, in der die gewählten Volks­ver­tre­te­r*in­nen über die Gesetze entscheiden (dürfen), sondern ein Regime, in dem der Präsident via Regierung seinen Willen dank der für seine autokratische Macht konzipierten Verfassungsrechte und notfalls auch mit Finten durchsetzen kann.

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