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Aneignung Berlins von untenNoch Parken oder schon besetzen?

Der Künstler Jakob Wirth bespielt noch bis zum Wochenende verschiedene Parkplätze in Berlin: „Parasite Parking“ will sich die Stadt von unten aneignen

Der Künstler auf dem Ikea-Parkplatz in Lichtenberg Foto: Susanne Messmer

Berlin taz | Eine Frau, die gerade auf dem Ikea-Parkplatz ein paar braune Pakete in ihren grauen Mittelklassewagen geladen hat und den Heimweg antreten will, traut sich nicht loszufahren. Vor ihrem Auto steht Marleen Dahms, die ihre Posaune auf das Auto richtet und seltsame Töne produziert. „Was soll ich denn jetzt machen?“, fragt die Autofahrerin und zieht lachend die Schultern hoch. „Einfach losfahren“, antwortet die Musikerin zwischen zwei Rülpsern ihres Instruments und lacht ebenfalls.

Das Auto und die Posaune glitzern im Abendlicht auf dem Parkplatz des Möbelhauses in Lichtenberg. Der Künstler, Aktivist und Soziologe Jakob Wirth, der die Musikerin zusammen mit Julian Schenk am Kontrabass und Rafael García am Saxofon zum Kunstprojekt Parasite Parking geladen hat, sieht sehr zufrieden aus.

Es ist Mittwochabend und damit der sechste von insgesamt zehn Tagen, in denen Jakob Wirth ohne Genehmigung, aber mit viel Hilfe seines „Kollaborateurs“ Alexander Sacharow auf verschiedenen Parkflächen in der Stadt wohnt, zuerst auf dem Mariannenplatz, dann hier in Lichtenberg, ab Freitag (25. Mai) inklusive Filmvorführung in einem Parkhaus in Neukölln.

Den genauen Standort seiner Parkplatzbesetzungen gibt Wirth kurzfristig auf seiner Website unter „parasite-parking.net“ und auf Instagram unter „@parasite_parking“ bekannt. Für die Raumnahme hat er ein 2,40 Meter mal 4,80 Meter großes Podest inklusive Bett und Regalelementen, aus Sperrholz gebaut, grau verputzt, mit weißen Parkplatzmarkierungen umrandet, außen mit Spiegelfolie beklebt, darunter kleine Räder, davor ein Nummernschild mit der Aufschrift „Parasite“.

Silberne Satinwäsche

Das Bett, in dem Jakob Wirth seit sechs Tagen schläft, ist mit silbern glänzender Satinwäsche bezogen, in einem der kleinen Regale steht farblich abgestimmt eine Espressomaschine und ein Edelstahlkanister fürs Wasser. „Vieles von dem, was man hier sieht, stammt noch vom „Penthaus à la Parasit“, berichtet er – einem kleinen Haus auf einem Neuköllner Mietshaus, das Wirth mit einem Kollegen 2019 gebaut und eine Weile bewohnt hat (taz berichtete). „Während die Diskussion um die Enteignung der Deutsche Wohnen gerade erst anläuft, wollten wir schon mal anfangen“, sagte er damals und sprach vom Recht auf Stadt und temporärer Aneignung von oben.

Inzwischen ist viel passiert in Berlin: Die Deutsche Wohnen wurde nicht enteignet, die Mieten sind weiter gestiegen, die Stadt wird von einer CDU-SPD-Koalition regiert, die gerade das Ende der Verkehrswende einläutet, es gibt Razzien bei Klimaaktivist*innen, die ebenfalls gern die Straße okkupieren. Es ist auch viel passiert im Leben von Jakob Wirth. Er hat sein Studium an der Bauhaus-Universität in Weimar und das an der Kunsthochschule Weißensee beendet. Und es geht ihm jetzt eher um Aneignung von unten.

Gekommen ist Wirth die Idee mit der Parkraumbesetzung in Chicago, wo derzeit viel Parkraum privatisiert wird. Dort besetzte er temporär erste Parkplätze und erregte damit viel Aufmerksamkeit, ihm sei sogar Gefängnis angedroht worden, wenn er nicht in fünf Minuten weg sei. Aber: „In Berlin ist der Parkraum viel umkämpfter“, meint er.

Darum findet er es umso produktiver, noch einmal mit dem komplexen, ja schillernden Begriff Parasit zu arbeiten. „Parasiten“, erklärt er bei einer guten Tasse Kaffee auf seinem Holzpodest am Nachmittag vor dem Parkplatzkonzert, „waren lange negativ konnotiert“. Viele, erklärt er, denken als Erstes an Schmarotzer und Schädlinge, aber auch an die Vereinnahmung des Begriffs durch Sozialdarwinismus und nationalsozialistische Rassenideologie.

In der richtigen Nische andocken

Seit den Achtzigern aber, erklärt Wirth, wurde der Parasit von Philosophen wie Jacques Derrida und Michel Serres als Grenzfigur entdeckt. Der Parasit kann einfach nur provozieren und wieder entfernt werden. Wenn er aber gut ist, wenn er wie das glamouröse Stadtmöbel von Jakob Wirth in der richtigen Nische andockt und geschickt seine Oberfläche tarnt, wird er auch integriert und bewirkt Verschiebungen im befallenen System.

Beim Parkplatzkonzert Foto: Susanne Messmer

Im Fall von Ikea, so Wirth, ist die Sache noch nicht ganz entschieden. Zuerst wurde sehr freundlich nachgefragt, dann brachte man ihm Kaffee und sogar einen Schirm. „Ich denke, ich habe es nun mit einer Art Duldung zu tun“, sagt Wirth und lächelt. Anders als am Mariannenplatz, wo er inklusive Karaoke bis zur Erschöpfung in die Nachbarschaft integriert worden sei, begegneten ihm die meist autofahrenden Kon­su­men­t*in­nen vorm Möbelhaus eher schuldbewusst.

Am Abend, als das Konzert beginnt, ist leicht zu sehen, was Wirth meint. Viele der Pas­san­t*in­nen scheinen einfach nur erschöpft und nach Hause zu wollen. Andere setzen sich mit ernsten Gesichtern zur kleinen Gruppe dazu, die sich um die Mu­si­ke­r*in­nen versammelt hat. Die Band spielt freien Jazz. Um sie herum parken noch wenige Autos, es ist sinnlos viel Platz entstanden, wie in den leeren Gemälden von Edward Hopper. Ein paar Meter neben den Mu­si­ke­r*in­nen steht ein Schild von Ikea. Darauf steht: „Doch mehr als Teelichter gekauft? Miete dir einen Transporter.“

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