Angriffe auf Belgorod: Durchwachsene Spuren
Russland demonstriert nach den Kämpfen in Belgorod Entschlossenheit. Die Angreifer dort sind paramilitärisch organisiert.
Russland demonstriert Entschlossenheit oder versucht das zumindest. Sollten Kämpfer aus der Ukraine erneut auf russisches Hoheitsgebiet vordringen, werde umgehend und mit äußerster Härte reagiert, zitiert das Moskauer Verteidigungsministerium seinen Dienstherrn Sergei Schoigu in einer Erklärung vom Mittwoch. Diese Ansage bezieht sich auf die südrussische Grenzregion Belgorod, die seit Anfang der Woche Ziel von Angriffen ist.
Dass Belgorod im Fokus stehe, sei kein Zufall, befindet das oppositionelle Webportal Nastojaschee vremja. Von Belgorod aus waren russische Truppen unmittelbar nach dem Beginn des Angriffskrieges am 24. Februar 2022 auf die ostukrainische Millionenstadt Charkiw vorgerückt. Dorthin zogen sie sich im vergangenen September unter dem Druck der ukrainischen Armee auch wieder zurück. Die Entfernung zwischen Charkiw und der Grenze beträgt rund 40 Kilometer.
Die Region Belgorod, wo es mehrere Flugplätze gibt, dient als Aufmarschgebiet russischer Truppen für Angriffe. Um den Charkiwer Stadtteil Sewernaja Saltiwka, der großflächig zerstört wurde, zu erreichen, brauchen Raketen vom Typ C-300 gerade einmal 30 Sekunden – zu wenig Zeit für die ukrainische Luftabwehr. Um mit Kampfjets oder Hubschraubern angreifen zu können, brauchen russische Piloten nicht einmal den Luftraum über Belgorod zu verlassen. Angaben des Oberst der ukrainischen Streitkräfte, Wladislaw Selesnew, zufolge, befindet sich im Osten von Belgorod ein großes Munitionslager. Zudem würden hier Mobilisierte ausgebildet – schätzungsweise befänden sich hier derzeit bis zu 12.000 Mann.
Angeblich wollen russische Soldaten hier, aber auch in anderen grenznahen Regionen sogenannte Sicherheitskorridore, die aus Betonpyramiden und Gräben bestehen, eingerichtet haben – allem Anschein nach eine Falschinformation. Zumindest konnten zuletzt die Eindringlinge nicht gestoppt werden.
Der RDK-Gründer ist ein Rechtsradikaler
Die Rede ist von zwei paramilitärischen Gruppierungen, die im südrussischen Gebiet unterwegs sind: die Legion Freiheit Russlands und das Russische Freiwilligenkorps (RDK). Nach eigenen Angaben ist die Legion im März vergangenen Jahres gegründet worden, während das RDK im August 2022 entstand. Die Legion besteht nach eigenen Angaben aus zwei Bataillonen. Oleksiy Arestovitsch, der bis Februar 2023 Berater des ukrainischen Präsidialamtes war, erklärte im vergangenen Juli gegenüber dem russischen unabhängigen Medium Holod: 250 Personen seien nur im Juni 2022 der Legion beigetreten, und bis zu 4.000 Bewerber gäbe es. Das RDK besteht nach eigenen Angaben aus bis zu 200 Kämpfern.
Über die Herkunft und das Profil der jeweiligen Mitglieder kursieren unterschiedliche Angaben. Der britische Newsweek-Journalist Brendan Cole schrieb im März 2022, dass russische Kriegsgefangene und russische Freiwillige in der Legion kämpfen. Anfang der Woche forderte die Legion auf ihrem eigenen Telegram-Kanal die russischen Bürger auf, sich dem Kampf gegen das Putin-Regime anzuschließen. „Wir sind Russen wie ihr und wollen unsere Freiheit verteidigen! Es ist an der Zeit, die Diktatur des Kremls zu beenden.“
Über die Mitglieder des Russischen Freiwilligenkorps schrieb unter anderem das russische unabhängige Exilmedium Novaya Gazeta im November vergangenen Jahres: Das RDK sei dem ukrainischen Verteidigungsministerium unterstellt und gehöre zur Internationalen Legion der Ukraine; das RDK sei ein Nachkommen des Asow-Regiments, und rechtsextreme russische Nationalisten, die bereits seit 2014 im Krieg in der Ostukraine kämpften, würden zu seinen Mitgliedern zählen. Der RDK-Gründer sei Denis Nikitin, ein russischer Rechtsradikaler, der auf der Fahndungsliste des Kremls steht.
Bereits im März seien Mitglieder des RDK zweimal aus der Ukraine in die russische Region Brjansk eingedrungen. Das erzählte im Interview mit Holod Anastasia Sergejewa. Sie ist Sekretärin des sogenannten russischen Bürgerrats, der im vergangenen November von Aktivist*innen gegründet wurde, die Putin auf dem Schlachtfeld besiegen wollen.
Zu Belgorod als Kriegsschauplatz meldete sich auch der russische Kremlkritiker und Ex-Oligarch Michail Chodorkowski zu Wort. Die jüngsten Vorfälle seien nur eine weitere Erinnerung daran, dass man nicht in ein anderes Land einmarschieren, ein paar Städte zerstören und dann genau diktieren könne, wie sich dieses Land der Invasion zu widersetzen habe, schreibt er in einem Beitrag für das russische oppositionelle Medienportal Echo. „Nach internationalem Recht kann die Ukraine das Territorium des Aggressorlandes angreifen.“
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