: „Sie müssen kooperieren – sonst knallt’s“
THEATERGEFANGENE Peter Atanassow ist Regisseur des Gefängnistheaters aufBruch im größten Männerknast Europas, in Tegel. Ein Gespräch über Gruppendynamik, Hierarchien der Straftaten und Defekte aus Armeezeiten
■ Peter Atanassow, Jahrgang 1968, wuchs in Dresden auf. Nach einer Zimmermannslehre und dem Wehrdienst in der NVA absolvierte er von 1990 bis 1994 eine Schauspielausbildung an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam. Danach arbeitete er als Schauspieler vor allem bei Fernsehserien mit. Während des Drehs der Daily Soap „Die Suche nach dem Paradies“ (ProSieben) lebte er elf Monate lang auf Mallorca.
■ Seit 2002 inszeniert Atanassow für das Gefängnistheater aufBruch und hat inzwischen acht Produktionen mit Gefangenen gemacht, die in der JVA Tegel oder im Berliner Kammergericht aufgeführt wurden. Die aktuelle Produktion „Hannibal – Wolokolamsker Chaussee“ basiert auf Texten von Grabbe, Brecht und Heiner Müller.
■ Der zweite Teil läuft vom 3. bis 6. und vom 9. bis 13. September, jeweils um 19.30 Uhr, im Deutsch-Russischen Museum, Zwieseler Straße 4. Mehr Informationen: www.gefaengnistheater.de
■ Eine Kritik zum ersten Teil von Christina Felschen erschien am 11. Juni in der taz.
■ Ein Porträt über Para Ndobasi Kiala, Darsteller in der „Wolokolamsker Chaussee, siehe Seite 24
INTERVIEW BIANCA SCHRÖDER
taz: Herr Atanassow, Ihre Inszenierung des ersten Teils von „Hannibal – Wolokolamsker Chaussee“, die im Juni in der Justizvollzugsanstalt Tegel lief, hat viel Energie und Tempo: Die Römer und die Karthager marschieren, kämpfen und singen Schlachtlieder. Beim Publikum kam das gut an. Wie erklären Sie es sich, dass Ihr Ensemble aus Strafgefangenen eine solche Glaubwürdigkeit erreicht?
Peter Atanassow: Ich denke, dass unser Ensemble aus heutiger Sicht die authentischste Version der Truppen Hannibals ist. Das war ja ein Vielvölkerheer, bestehend aus Etruskern, Umbrern, Namibiern und vielen anderen. Überall, wo Hannibal durchzog, warb er Truppen an. Und all seine Soldaten hatten unterschiedliche Motive: Einigen stellte er Reichtum in Aussicht, den Kriegsgefangenen die Freilassung. Da gibt es eine Parallele zu unserem Gefangenenensemble, denn auch das ist eine Gruppe von Männern ganz unterschiedlicher Herkunft. Bei vielen sind die Eltern oder sie selbst nach Deutschland gekommen, um Arbeit und Wohlstand zu finden. Dann mussten sie allerdings feststellen, dass das nicht so einfach ist.
Vor welche besonderen Herausforderungen stellt Sie die Arbeit mit diesem Ensemble?
Genau wie außerhalb des Gefängnisses gibt es auch unter Häftlingen Vorurteile. Beim Theaterspielen müssen Kurden, Türken, Osteuropäer, Araber und Deutsche aber kooperieren – sonst knallt es. Darum mache ich von Anfang an klar, dass wir niemanden bevorzugen. Trotzdem gibt es natürlich innerhalb der Gruppe eine Hierarchie. Die hängt im Gefängnis immer auch mit der Straftat zusammen, die jemand begangen hat: Ein Bankraub zum Beispiel ist angesehener als Drogengeschäfte. Wir fragen generell nicht nach den Delikten, sondern machen klar, dass das für uns keine Rolle spielt. Dennoch würde ich jemandem, der in der Gruppe einen geringen Status hat, keine Hauptrolle zuweisen. Man muss die bestehende Gruppendynamik schon in gewissem Maße beachten, damit sich das Projekt am Ende selber trägt.
Sie wissen also gar nicht, warum die Darsteller im Gefängnis sind und wie hoch ihre Haftstrafen sind?
Teils, teils. Einige erzählen von sich aus darüber, aber wir bohren nicht nach. Ich würde schätzen, dass etwa zwei Drittel unserer 30 Darsteller längere Haftstrafen absitzen. Die Delikte sind ganz verschiedener Art.
Der zweite Teil von „Hannibal – Wolokolamsker Chaussee“ wird ab 3. September im Deutsch-Russischen Museum aufgeführt. Können einige Ensemblemitglieder aus dem ersten Teil dann mitspielen?
Ja, einige erhalten dann voraussichtlich Freigang. Außer ihnen spielen noch Ex-Inhaftierte und professionelle Schauspieler mit. Aufführungsort ist das Gelände des Deutsch-Russischen Museums in Karlshorst, wo Deutschland am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation unterzeichnete. Das ist ein ganz treffender Ort für diesen zweiten Teil, der 1918 nach der Oktoberrevolution ansetzt und mit dem Arbeiteraufstand in der DDR 1953 endet. Aber auch Hannibals Truppe wird wieder auftauchen. Das übergreifende Thema ist das Absterben revolutionärer Energien, das man in beiden Armeen beobachten kann.
Sie haben von 1988 bis 1990 in der DDR Ihren Wehrdienst geleistet und bringen insofern selbst Erfahrung als Soldat mit. Steht das im Hintergrund, wenn Sie solch ein Stück inszenieren?
Sicherlich. Als die Wende stattfand, war ich in der 2. Staffel. Wir wären eingesetzt worden, um Plünderungen zu verhindern. Dazu kam es aber zum Glück nicht. Ich glaube, ideologisch war die DDR-Armee, im Gegensatz etwa zu manchen südamerikanischen Armeen, nicht dafür konzipiert, gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt zu werden. Da herrschte eine große Angst. Aus dieser Zeit habe ich einen Defekt mitgenommen, der in gewisser Weise für meine jetzige Arbeit auch etwas Positives hat. Denn als Künstler braucht man ja etwas, an dem man sich abarbeiten kann.
Wie schwierig war es denn für die Darsteller, sich mit den Texten von Grabbe, Brecht und Müller zu identifizieren?
Heiner Müller hat mal gesagt, dass Schauspieler „Texte mit ihrer Biographie füllen sollen“. Ich glaube, das passiert bei uns im Laufe der Proben. Professionelle Schauspieler finden den Zugang zu einer neuen Rolle über die Handwerklichkeit, bei unseren Leuten läuft das zunächst über die Wiederholung. Wir wiederholen Texte immer und immer wieder, und im Laufe der Zeit machen die Darsteller sie sich ganz zu eigen. Natürlich ist Müller kompliziert mit seinen ganzen Bibelzitaten und Anspielungen. Aber man muss die ja nicht als solche verstehen, um mit ihnen etwas anfangen zu können. Eigentlich sind die einzelnen Phrasen immer sehr klar. Genau wie das übergreifende Thema des Nichtaufgebens.
Wollen Sie weiterhin bei aufBruch mit Gefangenen arbeiten oder würden Sie gern auch mal an einem großen Haus inszenieren?
Ich bin noch immer fasziniert von der Arbeit im Gefängnis. Die Arbeit mit Autoren wie Müller funktioniert auch einfach besser in einem Kontext wie diesem. Ich sehe das Gefängnis als einen Raum, der mit dem korrespondiert, was im Stück passiert. Zwischen einer Haftanstalt und einer Armee gibt es ja gewisse Parallelen. Zum Beispiel sind beide geprägt durch das Leben in einer Männergemeinschaft.
Die Theaterarbeit gibt den Beteiligten aber auch die Möglichkeit, sich körperlich auszuprobieren. Der Knastalltag ist ja wie ein Uhrwerk und dadurch bekommt der Körper auch etwas Maschinelles. Viele der Darsteller haben Rücken- oder Knieprobleme, einer hatte einen Schlaganfall, einer ist zuckerkrank. Die haben während der Proben schon oft gestöhnt. Das bedarf einer hohen Motivation, um das durchzuhalten, vor allem, da die meisten auch voll berufstätig sind.
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