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Protest gegen Straße durch die WuhlheideAuf Bäumen gegen Autos

In der Wuhlheide wollen Ak­ti­vis­t*in­nen die Tangentiale Verbindung Ost (TVO) verhindern. Unterstützung kommt aus Politik und Zivilgesellschaft.

Sitzen nicht im gemachten Nest, sondern klettern auf Kiefern: UmweltschützerInnen in der Wuhlheide Foto: IMAGO / aal.photo

Berlin taz | „Herzlich willkommen in der Wuhli“ steht auf einem großen Banner am Eingang zum Protestcamp der Be­set­ze­r*in­nen der Wuhlheide in Köpenick. Davor herrscht am Montagmittag reger Autoverkehr, der Weg in den Wald über die Rudolf-Rühl-Allee ist angesichts fehlender Fuß­gän­ge­r*in­nen­we­ge nicht ungefährlich.

Weniger Autos, darum geht es auch den Aktivist*innen, die das Waldstück seit Freitagnacht besetzt halten. Auf Trampelpfaden, vorbei an provisorischen Barrikaden aus Ästen und einem ausgehobenen Graben, gelangt man tiefer in den Wald. Hier hängen in mehreren Metern Höhe ein Baumhaus und vier mit Planen überspannte Plattformen, eine weitere befindet sich gerade in Bau. Darunter sitzen gut zwei Dutzend Menschen im Kreis und machen Plenum, andere entspannen gemütlich in Hängematten. An einem Baum hängt ein schwarzes Brett mit benötigtem Material: Schrauben, Holz, Sägen, und was man noch so braucht, um ein Baumhaus zu bauen.

Denn die Um­welt­schüt­ze­r*in­nen haben nicht vor, so schnell wieder zu gehen. „Wir bleiben so lange hier, wie wir können“, sagt Ak­ti­vis­t*in Sol bei der kurzfristig anberaumten Pressekonferenz. Oder bis sie ihr Ziel erreicht haben: die Verhinderung der geplanten Schnellstraße Tangentiale Verbindung Ost (TVO). Dem seit Jahrzehnten geplanten Mammutprojekt zwischen Biesdorf im Norden und der Spindlersfelder Brücke in Köpenick sollen nämlich rund 15 Hektar Wald zum Opfer fallen, ein Drittel davon wertvoller Eichenwald.

Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) stellte am Montag klar, dass er den Bau der TVO aus mehreren Gründen ablehnt. Zum einen müsste die „Hochleistungsstraße“ im Gegensatz etwa zur A100 größtenteils aus Landesmitteln finanziert werden, so Geschäftsführer Tilmann Heuser. Bei den aktuell geschätzten 351 Millionen Euro werde es erfahrungsgemäß nicht bleiben.

„Dieses Geld muss angesichts der Klimakrise in Maßnahmen für den klimaneutralen Umbau Berlins fließen.“ Zudem gefährde der Bau ganz konkret Flora und Fauna, gerade in der Wuhlheide. Dirk Schäuble, Fachreferent für Artenschutz beim BUND, warnte davor, dass „Lebensräume zerstört und Wanderungsmöglichkeiten von Tieren eingeschränkt“ würden. Das könne neben Hase, Fuchs und Reh auch besonders geschützte Arten betreffen, wie den Eremit-Käfer oder den Schwarzspecht.

Weniger Eichen sollen weichen

Der letzte öffentlich gemachte Planungsstand der Senatsverkehrsverwaltung beziffert die Fläche, die für das Projekt gerodet werden müsste, mit 14,6 Hektar – wovon 4,2 Hektar zur Wuhlheide gehören. Allerdings werde nach der Eröffnung der TVO auch die ein Stück weiter östlich parallel durch das Waldgebiet verlaufende Rudolf-Rühl-Allee zurückgebaut, wodurch eine größere unzerschnittene Fläche entstehe. Auch betonte die Verkehrsverwaltung, sie habe die geplante Straßentrasse so verschwenkt, dass viele der Eichen stehenbleiben könnten und stattdessen weniger ökologisch wertvolle Kiefern gefällt würden.

Ein Problemfall ist die TVO seit langem. Was zumindest nach einer technisch simplen Maßnahme klingt – eine 6,5 Kilometer lange vierspurige Stadtstraße entlang einer bestehenden Fernbahnstrecke zu bauen –, kommt seit Jahrzehnten nicht wirklich voran und wurde Jahr für Jahr teurer. Schon zu DDR-Zeiten sollte die Nord-Süd-Verbindung als Forstsetzung der Märkischen Allee im Norden und der Spindlersfelder Straße im Süden gebaut werden. Nach der Wende geschah lange nichts, dann wurde 2014 der Bedarf neu festgestellt. Die Vorplanungen unter Beteiligung der Anwohnenden ziehen sich seit 2018 in die Länge.

Während die Parteien rechts der Mitte ebenso wie Unternehmerverbände immer wieder laut für das Projekt trommelten, waren die Grünen in der Koalition mit SPD und Linken ein klar bremsender Faktor – auch wenn grüne Abgeordnete und Kreisverbände aus dem Osten der Stadt immer für die Entlastung vieler Wohnviertel durch die TVO warben. Unter der im Februar verfrüht abgebrochenen rot-grün-roten Ägide war aber klar: Die Tangentialverbindung kommt – als Doppelpack mit einer S- und Regionalbahntrasse.

Die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Antje Kapek, sagte der taz am Montag, ihre Partei habe der Straßenverbindung immer kritisch gegenübergestanden. Auf der anderen Seite habe man erkannt, dass es im Osten der Stadt ein starkes Bedürfnis nach einer funktionierenden Nord-Süd-Verbindung gebe. „Darum haben wir gesagt: Die TVO funktioniert nur in Verbindung mit der Nahverkehrstangente.“ Auch die ehemalige Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch habe diesen Kombination mit der Bahnstrecke als absolutes Muss vertreten.

Nun hat Schwarz-Rot das Bekenntnis zur Nahverkehrstangente aus dem Koalitionsvertrag gestrichen. „Damit ist unsere Hauptbedingung nicht erfüllt“, so Kapek. Sie befürchtet, dass die „Betonlobby“ nun eine Planung durchsetze, die eine Realisierung der zusätzlichen Schienenstrecke auf Dauer unmöglich mache. „Das ist eine reale Gefahr“, so die Abgeordnete, „deshalb verstehe ich, wenn Leute jetzt zutiefst beunruhigt sind.“ Sie selbst will die Protestierenden in der Wuhlheide in Kürze aufsuchen.

Ob die Nahverkehrstangente tatsächlich stillschweigend beerdigt wurde, wie die Grünen glauben, ist allerdings unklar. Offiziell gibt es keine derartige Aussage der neuen Senatsverwaltung unter Manja Schreiner (CDU), nur das Fehlen einer Aussage im Koalitionsvereinbarung deutet darauf hin. Gleichzeitig beantwortet der verkehrspolitische Sprecher der SPD, Tino Schopf, die Frage der taz, ob seine Fraktion noch auf der Nahverkehrsverbindung bestehe, knapp, aber eindeutig: „Selbstverständlich wollen wir auch die Schienen-TVO realisieren.“

Für die Um­welt­ak­ti­vis­t*in­nen sind die Pläne auch mit Schienen-TVO aus der Zeit gefallen. Angesichts der Klimakrise sehen sie sich dazu verpflichtet, das Straßenprojekt aufzuhalten und den Wald zu schützen. „Noch ist das möglich, das Planfeststellungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen“, sagt einer der Besetzer, der sich Kiefer nennt. Bereits vor zwei Jahren gab es einen Besetzungsversuch, der sei aber wegen geringer Beteiligung schnell geräumt worden. Dieses mal hoffen sie, dass es anders läuft: Für den späten Nachmittag haben sich der Förster und ein*e Ver­tre­te­r*in der Senatsverwaltung für Verkehr, Klimaschutz und Umwelt angekündigt.

Entlastung? „Nur kurzfristig“

Auch mit den Nach­ba­r*in­nen habe man schon gesprochen, sagt Kiefer. „Uns ist bewusst, dass die Menschen hier unter dem Verkehr leiden“, sagt er. „Ihnen werden jedoch falsche Versprechen gemacht.“ Denn die Schnellstraße würde, wenn überhaupt, nur kurzfristig eine Entlastung mit sich bringen, so der Umweltingenieur. Studien würden zeigen, dass neue Straßen auf lange Sicht immer mehr Verkehrsaufkommen mit sich bringen.

Die einzige Lösung sehen die Ak­ti­vis­t*in­nen daher neben dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in einer Reduzierung des Individualverkehrs. Das sieht auch der Linke-Abgeordnete Ferat Kocak so, der, ebenso wie andere Abgeordnete von Grünen und Linkspartei, als parlamentarischer Beobachter vor Ort ist: „Es ist klar, dass es eine Entlastung für die Menschen vor Ort braucht, dazu müssen wir den Autoverkehr reduzieren.“

Kocak hofft, dass sich in den kommenden Tagen noch mehr Menschen dem Protest anschließen und das Baumhausdorf immer größer wird. „Lützi lebt in der Wuhlheide“, sagt er mit Blick auf die Proteste gegen die Zerstörung des rheinischen Dorfes Lützerath für den Kohleabbau, das über den Winter zum Symbol der Klimabewegung wurde.

Ob es dazu kommt, hängt auch von der Polizei ab. Die will erst einmal prüfen, ob polizeiliche Maßnahmen nötig sind, so eine Sprecherin zur taz. Bislang sei die Lage ruhig. Die Be­set­ze­r*in­nen wollen den Förster nun im persönlichen Gespräch überzeugen, keine Räumung zu beantragen. Trotzdem befürchten sie, dass eine Räumung bereits am Dienstag in den frühen Morgenstunden beginnen könnte. Sollte es dazu kommen, wollen sie auf jeden Fall Widerstand leisten – und wiederkommen. „Das ist der Wald meiner Kindheit. Er darf nicht zerstört werden“, sagt Be­set­ze­r*in Ricky.

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1 Kommentar

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  • "Zum einen müsste die „Hochleistungsstraße“ im Gegensatz etwa zur A100 größtenteils aus Landesmitteln finanziert werden, so Geschäftsführer Tilmann Heuser. "

    Aha. Wenns dann der böse Wissing bezahlt, wäre es also ok?