Horrorkomödie „Beau Is Afraid“ im Kino: Ein ödipaler Bilderrausch
In der Albtraumkomödie schickt Regisseur Ari Aster den Darsteller Joaquin Phoenix als psychotisches Muttersöhnchen auf Odyssee.
Der Mensch wird geboren und seine Mühsal beginnt. Für Beau Wassermann (Joaquin Phoenix) scheint das noch mehr zu gelten als für die meisten. Statt zu schreien, kommt er stumm auf die Welt. Sorge macht sich breit, ob er denn überhaupt am Leben ist. Beaus erste Sekunden und die des dritten Langfilms von Ari Aster überschneiden sich – und mit ihnen erinnert der US-amerikanische Regisseur und Drehbuchautor augenblicklich daran, warum er zu Recht als personifizierte Hoffnung des Horrors gilt.
Der Auftakt ist derart ungewöhnlich, dass er unmittelbar Neugier weckt. Wie schon in seinem gefeierten Debüt „Hereditary“ (2018): Zunächst zeigt die Leinwand nicht mehr als ein schwarzes Nichts, über das rötliche Farbflecke flackern. Ebenso in seinem darauffolgenden Film, dem zum jungen Klassiker avancierten „Midsommar“ (2019), setzt einen bereits die eröffnende Szene derart unter Stress, dass man sich fragt, ob man dieser Neugier wirklich folgen möchte.
In „Beau Is Afraid“ dringt zu Beginn ein bedrohliches Dröhnen ins Ohr, zusammen mit einem degressiven Rauschen. Was sich bald als das Pulsieren von Blut herausstellt, aufgepeitscht von einem hämmernden Herzschlag, wird begleitet von schrillem Gekreische. Bezeichnenderweise gehört es nicht zu Beau. Es kommt aus dem Kehlkopf seiner Mutter, die sich nicht minder bezeichnend auf eine Art bei den Ärzten nach seiner Stille erkundigt, als handele es sich um eine persönliche Unzulänglichkeit. Als wäre schon das Ausbleiben seiner Atmung ein Affront angesichts all des Aufwands, den sie bisher für ihn betrieben hat.
Das Kernstück des Horrors, der den 36-jährigen Filmemacher seit jeher umzutreiben scheint und schon den Großteil seiner Kurzfilme prägte, nimmt er damit auch hier vorweg. Und dieser wurzelt in unserem Blut, beginnt genau genommen schon vor der Geburt, wird aber erst nach ihr wachsen, blühen und gedeihen. Und schließlich maßgeblich für alle Mühsal verantwortlich sein, die auf sie folgt: die verdrießliche verwandtschaftliche Verbundenheit.
In Ari Asters Werk sind Familienbande keine friedvolle Verheißung, sondern ein Grund, auf dem Traumata vererbt und Neurosen herangezüchtet werden. Das ihnen innewohnende Versprechen von bedingungsloser Liebe erklären seine Filme zur Farce und ersetzen es durch das einer unentrinnbaren Verpflichtung, die vor allem erdrückende Schuldgefühle der schicksalsprägenden Art heraufbeschwört. Auch in „Beau Is Afraid“ ist all das Thema.
Vorzeitig gealterter Protagonist
Der erwachsene Beau ist ein Paradebeispiel für die bleibenden Beeinträchtigungen, die ein vermeintlich liebevolles Zuhause hinterlassen kann. Für einen erst knapp über vierzig Jahre alten Mann ist sein Haar auffallend licht und grau. Sein Gesichtsausdruck lässt zumeist Besorgnis, die fehlende Körperhaltung eine tiefe Niedergeschlagenheit erkennen.
Sinnigerweise präsentiert Ari Aster seinen vorzeitig gealterten Protagonisten zuerst in einem scheuen Gespräch mit seinem Therapeuten (Stephen McKinley Henderson), das um einen anstehenden Besuch bei seiner Mutter Mona (Patti LuPone) kreist, in der Verschreibung eines weiteren Psychopharmakons mündet und unschwer erkennen lässt, dass Beau wirklich vor allem Angst hat.
Angesichts der Umwelt, die ihn umgibt, verwundert sein nervöser Zustand kaum: In der namenlosen heruntergekommenen Stadt, in der Beau haust, herrscht eine hektische Betriebsamkeit, die in ihrer Absurdität an die albtraumhaften Gemälde von Hieronymus Bosch erinnert.
Am verdreckten Straßenrand verkaufen fliegende Händler alles Mögliche, auch Maschinengewehre. Um ein Hochhaus versammelt sich eine Menschenmenge, die mit dem gezückten Smartphone einen Mann zum Selbstmord animiert – und ein nackter Verrückter, vor dem im Fernsehen als „Birthday Boy Stab Man“ gewarnt wird, sticht mit einem Messer wahllos um sich.
Flut an originellen Bildern
Wie im Falle des niederländischen Malers wirken auch Ari Asters Szenerien zum Teil zutiefst verstörend, angesichts der schieren Fülle an Groteskem und der slapstickartigen Überzeichnung mitunter aber schlicht überaus komisch. Zusammen mit der Flut an originellen Bildern der Kamera Pawel Pogorzelskis („Mona Lisa and the Blood Moon“), der bereits bei „Hereditary“ und „Midsommar“ mit dem Filmemacher zusammenarbeitete, entsteht ein paranoider Sog, der sich über etwa das erste Drittel des dreistündigen Epos ausdehnt.
Aufgrund der Fragen, die es aufwirft, ist es definitiv das mitreißendste Kapitel darin. Zunächst erweckt Ari Aster den Eindruck, als hole er mit „Beau Is Afraid“ zu einem Rundumschlag aus, der all die mannigfaltigen Maladien trifft, an denen urbane westliche Gesellschaften, insbesondere aber die amerikanische Seele, heute kranken.
Der bunte Reigen an Ideen, die der Filmemacher im Lauf der überbordenden Spielzeit immer wieder anklingen lässt, fügt sich aber nie zu einer Kritik etwa an armutsbedingter Verwahrlosung, an der Verbannung Mittelloser in Marginalsiedlungen und der freigiebigen Herausgabe von Medikamenten als einzige heimtückische Mittel gegen die Unerträglichkeit eines Daseins, das von Darben und Gewalt geprägt ist.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Beau Is Afraid“
Die Fragen, die Ari Aster aufwirft, sind besser als die Antworten, die er anbietet. Denn die lauten letztlich doch immer gleich: Mama ist einfach an allem Schuld. Ob Beau die Welt bloß als einen kafkaesken Ort wahrnimmt, an dem überall Gefahren lauern, weil seine Mutter ihn zu einem schreckhaften Wrack erzog, lässt der Film zwar offen. Dass sie dafür verantwortlich ist, dass er darin keinen eigenen Platz zu finden scheint, unterstreicht er dafür umso stärker.
Drängende Schuldgefühle
Seine Desorientierung hat im Wesentlichen mit den Gewissensbissen zu tun, die sie ihm unter dem Deckmantel mütterlicher Fürsorge einpflanzt. Als ihm Unbekannte den Wohnungsschlüssel stehlen und er den geplanten Besuch absagen muss, hinterfragt sie nicht nur seine Gründe – bezichtigt ihn indirekt der Lüge –, sondern zeigt sich vor allem enttäuscht. Als er sie erneut zu erreichen versucht, teilt ihm ein Fremder mit, dass seine Mutter durch einen herabgefallenen Kronleuchter getötet wurde.
Et voilà, damit sieht sich Beau mit den durchdringendsten aller Schuldgefühle konfrontiert, wie sie schon in Ari Asters vorangegangenen Werken behandelt wurden: den Eltern vor ihrem Ableben nicht genug Aufmerksamkeit entgegengebracht zu haben, womöglich nicht alles Mögliche darangesetzt zu haben, ihren Tod zu verhindern, oder ihn sogar verursacht zu haben.
Dennoch unterscheidet sich der erneut von der Filmproduktionsgesellschaft A24 produzierte Film ganz entscheidend von seinen Vorgängern. Unter anderem darin, dass sich alles auf den Einfluss der Mutter, auf ödipale Komplexe zurückführen lässt. Damit auch in der Form, die Ari Aster wählt, um von der wahnhaften Odyssee zu erzählen, auf die sich Beau begibt, um Mona zumindest die Schmach einer späten Beerdigung zu ersparen, weil der eigene Sohn es nicht fertigbringt, rechtzeitig anzureisen.
Sie beginnt nach einem bizarren Unfall Beaus mit einem auf ebenso beunruhigende Art und Weise hilfsbereiten wie patriotischen Vorstadtehepaar (Nathan Lane und Amy Ryan) samt verkorkster, tablettenabhängiger Teenietochter (Kylie Rogers) und einem unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidenden Veteranen (Denis Ménochet), dem sie als Kameraden ihres gefallenen Sohnes Unterschlupf gewähren.
Später findet sich Beau bei einer überwirklich anmutenden Theatergruppe im Wald ein, in deren Stück er sich selbst sieht und über die Wege nachdenkt, die sein Leben stattdessen hätte nehmen können. Über die Höhle der Löwin höchstselbst, seiner Mutter Mona eben, führt die Handlung ihn schließlich vor sein persönliches Jüngstes Gericht.
Cartooneske Albernheit
Wo Ari Aster die Grenzen des Horrors in der Vergangenheit nur reizvoll ausdehnte, lässt er sie während dieses Parforcerittes stellenweise gänzlich hinter sich und setzt stattdessen stärker auf eine Komik, die ob ihrer zunehmend cartoonesken Albernheit nicht zündet. „Ödipal“ ist auch hier das alles bestimmende Stichwort – Peniswitze machen einen Großteil des Gag-Arsenals aus. Mal trägt ein Bordell den Namen „Erectur Ejectus“, mal zieren Phallusgraffiti den Hintergrund.
„Beau Is Afraid“. Regie: Joaquin Phoenix, Nathan Lane u. a. Kanada, USA 2023, 179 Min.
Alles aber bleibt an Aberwitz hinter einem riesigen Monstrum in Gestalt eines Glieds zurück, das zum Sinnbild für eine enttäuschende Offenbarung wird, die einer Auflösung der Rätsel, die „Beau Is Afraid“ aufgibt, am Nächsten kommt: Mamas Besitzanspruch geht so weit, dass sie ihren Sohn mit einer bösen Lüge zur Sexlosigkeit verdammte, um ihn ganz für sich allein zu haben. Vielleicht ist es genau dieser unfreiwillige Zölibat, der Beaus ganze Mühsal noch ein wenig unerträglicher macht. Das unterdrückte „Es“ als Auslöser seiner Neurosen.
Vor allem wegen seines Aussagegehalts, der nicht über abgegriffene, freudianisch-aufgeladene Plattitüden hinausgeht, bleibt Ari Asters dritter Langfilm hinter seinem bisherigen, überaus hintergründigen Werk zurück. Ob der Filmemacher gleichwohl als Hoffnung des Horrors erhalten bleibt? Bis es auf diese Frage eine Antwort geben wird, dauert es noch. Als nächstes Projekt soll ein Western folgen. Es steht zu hoffen, dass Ari Aster dann wieder überzeugendere Antworten zu geben weiß.
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