das wird: „Wer woher kommt, spielt gar nicht so eine Rolle“
Eine Lesereihe in Bremen präsentiert die weibliche Sicht auf deutsch-türkischen Alltag
Interview Clara Henning
taz: Herr Stiehler, was ist das Besondere an „Literatür jetzt“?
Axel Stiehler: Das Monothematische, also deutsch-türkischer Alltag in der Gegenwartsliteratur. Seit Dezember 2022 liest einmal monatlich eine Autorin türkischer Abstammung der ersten bis dritten Generation an drei Orten in Bremen-Walle. Wir wollten zeigen, was es auf dem Buchmarkt gibt und wie sich die Schriftstellerinnen mit dem Thema auseinandersetzen.
Welche Weisen, das zu tun, haben Sie in der Reihe präsentiert?
„Einmal Hans mit scharfer Soße“ von Hatice Akyün ist eine Satire, die verfilmt wurde und im Mainstream angekommen ist. Mit Leyla Bektaş hatten wir eine jüngere Autorin dabei, deren autofiktionaler Familienroman noch nicht veröffentlicht war. „Kangal“ von Anna Yeliz Schentke wiederum dreht sich um das tagesaktuelle politische Geschehen in der Türkei: Eine junge, regimekritische Frau zieht aus Angst vor Repressionen nach Deutschland und trifft ihre Verwandtschaft wieder.
Gab es Reaktionen aus dem Stadtteil?
Der Zuspruch war sehr gut, es waren immer 40 bis 50 Besucher*innen da. Eine Lesegruppe des alevitischen Frauenvereins hat die Reihe für ihren eigenen politischen Diskurs genutzt. Es war schön, einige Interessierte immer wiederzutreffen. Am Ende gab es oft persönliche Diskussionen.
Worum ging es da?
Lesung Gün Tank, „Die Optimistinnen. Roman unserer Mütter“: Fr, 12. 5., 19.30 Uhr, Bremen, Kulturhaus Walle Brodelpott
Leyla Bektaş hat aus dem Entstehungsprozess ihres Manuskriptes ganz anschaulich erzählt: Sie schrieb ihrem Vater Whatsapp-Nachrichten, der sie übersetzte und seinem Bruder schickte, weil sie selbst kein Türkisch spricht. Bei Anna Yeliz Schentke diskutierte das Publikum die politische Situation. Jemand merkte an, man müsse die Türkei auch nicht so kritisch sehen, wie Schentke das im Buch macht, man könne sich schon frei äußern. Da gingen die Meinungen sehr auseinander.
Was hat Sie überrascht?
Dass es so voll war. Ich will ja nicht quaken, aber sonst kämpft man bei Lesungen eher um Zuhörer*innen. Außerdem war es schön zu merken, dass es gar nicht so eine Rolle spielte, wer woher kommt. Interkulturalität bleibt zwar das Oberthema, aber wir hatten gehofft, dass es sich zu einem Teil gesellschaftlich verwässert. Am Beispiel von Dilek Güngörs Vater-Tochter-Roman „Vater und ich“ zeigte sich das: Der hätte überall spielen können. Der migrantische Anteil der Geschichte ist in gewisser Weise in den Hintergrund getreten.
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