Filmemacher über den Kampf um Berlin 1945: „Ein Schlachtfeld im Stadtgebiet“
Für die Doku „Kurz vor Schluss – Schlachtfeld Berlin 1945“ hat Christian Grasse Zeitzeug:innen befragt. Die Kinopremiere ist am 8. Mai in Hamburg.
taz: Herr Grasse, wie ist Ihre Dokumentation zustande gekommen?
Christian Grasse: Das Ganze ist aus einem Zeitzeug:innenprojekt entstanden, das nun seit 15 Jahren läuft. Die Idee dabei ist, sich mit Zeitgeschichte über Individualperspektiven zu beschäftigen. Das Schlachtfeld in Berlin ist eines der Themen, bei dem ich dachte, es lohnt sich nachzufragen und die Recherche zu verdichten.
Wieso?
Der Kampf 1945 in Berlin ist in Bezug auf Zahlen die größte Schlacht, die jemals auf deutschem Boden oder in der Weltgeschichte in einem urbanen Raum stattgefunden hat. Berlin bestand zu zwei Dritteln aus Frauen, zu einem Drittel aus Kindern. Die Soldaten waren großenteils an der Front. Es gab nur noch alte Volkssturmmänner, Frauen, Kinder, Jugendliche. Ein Schlachtfeld mitten in einem zivilen Stadtgebiet.
Wo sich heute nur noch Spuren des Krieges finden.
Ja, genau. Wenn ich früher in Berlin durch die Straßen ging, sind mir immer wieder die Schrapnell-Spuren, Einschusslöcher und Verputzungen im Mauerwerk des Sandsteins aufgefallen. Das hat mich schon früh interessiert: Welche Geschichte steckt dahinter?
Dokumentarfilm „Kurz vor Schluss – Schlachtfeld Berlin 1945“ mit Filmemacher Christian Grasse: 8. Mai, 19.30 Uhr, Hamburg, Metropolis
Angenähert haben Sie sich dann über Zeitzeug:innen. Wie haben Sie die gefunden?
Die Suche gestaltete sich zu Anfang schwierig, weil von den Jugendlichen nur wenige überlebt haben und diese in einem sehr hohen Alter waren, nicht selten auch schon verstorben. Ich habe dann in der Literatur recherchiert, welche Personen in Zitaten erwähnt werden, habe mich an Journalisten gewandt und bin teilweise durch Berlin gelaufen, um Menschen auf der Straße anzusprechen und zu fragen, ob sie etwas berichten können.
Um wen handelt es sich dabei?
ist Dokumentarfilmer in Hamburg.
Es sind ganz unterschiedliche Personen. Dabei ist unter anderem eine Halbjüdin, die Sternträgerin war und sich im Untergrund verstecken musste. Auch eine Philosophiestudentin, die damals einfach nur ihr Studium absolvierte und mitten in Berlin saß. Es sind viele Jugendliche dabei, die selbst im Endkampf eingesetzt wurden. Unter anderem auch der letzte Radiosprecher des „Dritten Reichs“, der als Jugendlicher beim Rundfunk saß und die Ansage machte, dass Hitler gefallen sei. Dann einen der letzten beiden Piloten, die noch über Berlin im Einsatz waren. Es sind aber auch ehemalige BDM-Mädchen dabei, die Verletzte versorgt haben, sowie Jungen, die aus der Schulbank weg in den Krieg rekrutiert wurden.
Also Einzelerzählungen aus nächster Nähe?
Ja, ziemlich extreme Perspektiven, kann man sagen. Insgesamt ist es ein Querschnitt durch die dort Anwesenden, also die letzten Verbliebenen der Stadt.
Gab es da noch ein normales Leben?
Ja, sie beschreiben den Alltag im Krieg: das Leben im Bunker, ihre Bedürfnisse, das Wasser- und Essenholen. Man lebt weiter, trotz des Schlachtfeldes, was einen umgibt.
Was erzählt der Film über den Krieg?
Ein wichtiger Punkt ist, dass die Zeitzeug:innen ein Bild von uns selbst sind. Das sind unsere Verwandten, das ist ein Teil unserer Gesellschaft, und wiederum könnten wir das sein. Die Doku wirft damit den Blick auf uns selbst zurück, auch wenn wir das teilweise nicht wahrhaben wollen. Und natürlich ist dieses Schreckensszenario auch immer ein Lehrstück. Je mehr wir darüber wissen, je stärker wir dem begegnen, desto entschiedener können wir uns positionieren und sagen: nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg.
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