Verkehrswende in Brandenburg: Hinterherradeln
Lange war Brandenburg ein Radlerparadies. Inzwischen sind andere Bundesländer weiter. Nun will die Kenia-Koalition durchstarten. Zweifel bleiben aber.
Es ist lange her, dass Brandenburg eine Top-Adresse für Radlerinnen und Radler war. 2022 kamen nur noch 12,7 Prozent der deutschen Radreisenden ins Land zwischen Elbe und Oder. Zwei Jahre vorher waren es noch 17 Prozent gewesen. Das geht aus der „Radreiseanalayse 2023“ hervor, die der Fahrradclub ADFC im März vorgestellt hat. Nicht einmal mehr unter den Top zehn der beliebtesten Fernreiserouten ist die Mark dabei. Schon 2019 war der Oder-Neiße-Radweg aus dem Ranking rausgerutscht.
Es ist deshalb kein Zufall, dass die Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen Nachholbedarf sieht. Am Dienstag hat nun Infrastrukturminister Guido Beermann (CDU) eine „Radverkehrsstrategie 2030“ vorgelegt. Von elf Prozent der mit dem Rad zurückgelegten Wege soll sich der Radverkehrsanteil auf 20 Prozent verdoppeln. Es geht also nicht nur um den Radtourismus, sondern auch um den Umstieg vom Auto aufs Rad.
Das ist das Ziel. Die Etappen auf dem Weg bleiben freilich vage. Das kritisiert auch der ADFC. „Das Ziel unterstützen wir“, sagt der stellvertretende Landesvorsitzende des ADFC Brandenburg, Christian Wessel. „Wir sehen aber nicht, wie man dorthin kommen will, wenn man im gleichen Tempo weiter macht.“ Eine neue Radverkehrsstrategie bezeichnete Wessel als „Werkzeug von gestern, mit dem man die Dinge nicht zügig in Bewegung bringt“. Für die anvisierte Verdopplung des Radverkehrs fehlten konkrete Maßnahmen, Verantwortlichkeiten und Zeiten.
Problem bei Landesstraßen
Vor allem straßenbegleitende Radwege an Landesstraßen fehlen in Brandenburg. Darauf wies der verkehrspolitische Sprecher der oppositionellen Linksfraktion, Andreas Büttner, hin. Der Anteil von Landesstraßen mit einem ausgebauten Radweg sei in der laufenden Wahlperiode um gerade einmal von 14 auf 15 Prozent gestiegen. „Papier ist geduldig“, kritisierte Büttner. „Eine klare Prioritätensetzung pro Radverkehr ist weder im Landeshaushalt, noch beim Landesbetrieb Straßenwesen erkennbar.“ Solange sich das nicht ändere, blieben die Ziele der Radverkehrsstrategie ein „frommer Wunsch“.
Tatsächlich kann auch die Landesregierung nicht sagen, welchen Bedarf an neuen Radwegen es derzeit gibt und wie viele davon vom Land finanziert werden sollen. Diese Zahlen, so Guido Beermann, würden erst 2030 feststehen. Das geplante Konzept für ein landesweites Radwegenetz soll zwar 2024 stehen, mit der Umsetzung rechnet der Minister aber erst 2045.
Der grüne Verkehrspolitiker Clemens Rostock weiß, dass es in Brandenburg viel nachzuholen gibt. Andere Bundesländern hätten dem Radverkehr in der Vergangenheit mehr Priorität eingeräumt, sagt er der taz. Nicht an ambitionierten Zielen fehle es derzeit, sondern an einer „Umsetzungsperspektive“. Auch Rostock wünscht sich deshalb vom Infrastrukturministerium „mehr Priorität für den Radverkehr“.
Tatsächlich ist Geld in Brandenburg nicht das vorrangige Problem. Standen 2022 38 Millionen Euro für den Radwegebau zur Verfügung, sind es in diesem Jahr 44 Millionen. 2024 werden es 45 Millionen sein. Damit lassen sich laut Rostock sowohl neue Radwege an Landesstraßen, kommunale Radwege und Abstellanlagen an Bahnhöfen bauen. Während beim Straßenbau die Mittel allerdings zügig abgerufen würden, hake es beim Radverkehr.
Touristische Radwege wie der „Heideradweg“ fallen nicht in die Zuständigkeit des Infrastrukturministeriums. Dass Brandenburg nicht überall hinterherradeln muss, zeigt das Seenland Oder-Spree im Osten des Landes. Als eine von nur acht Regionen bundesweit wurde es vom ADFC als offizielle „RadReiseRegion“ zertifiziert.
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