Der Hausbesuch: Ohne Gedöns

Simone Schmidt alias Simono hat einen pragmatischen Künstlernamen gewählt. Ihre Kunst aber ist frei und rastlos wie sie selbst.

Künstlerin Simono in ihrem Atelier Foto: Stefanie Loos

Simone Schmidt wurde in einem Villenviertel in Berlin-Grunewald groß. Heute lebt sie in einem Atelier in Berlin-Neukölln. Seit den 80er Jahren zeichnet sie, macht Installationen, Performances und mehr. Leben konnte sie von ihrer Kunst bisher nie. Nun will sie das ändern.

Draußen: Eine Seitenstraße in Berlin-Neukölln. Ein Mädchen fährt ein anderes mit einem Einkaufswagen vom Discounter spazieren; zwei junge Männer diskutieren, was ein Ehrenmann ist. Durch ein Tor geht es in einen Hof, umringt von Gebäuden mit Backsteinverzierungen, in denen sich Ateliers befinden. In einem lebt und arbeitet Simone Schmidt alias ­Simono.

Drinnen: Vor der Tür liegen Holzbretter: „Daraus baue ich einen Lattenrost. Ich dachte, es ist Zeit für ein Bett.“ Auf 50 Quadratmetern befinden sich eine längliche Küche mit kleinem Tisch, nebenan ein Raum mit Regalen, zwei Monitoren sowie einem großen Drucker. An den Wänden 3D-Drucke, auf dem Boden ein Feuerlöscher, Turnschuhe und Hanteln. Zum Sitzen gibt es nur Stühle. Eine an die Wand gelehnte Matratze deutet darauf hin, dass hier nicht nur gearbeitet wird. „Ich weiß nicht, wie man wohnt“, sagt Simone Schmidt.

Rastlosigkeit: Früher sei sie jedes Jahr umgezogen: „Ich wollte immer raus.“ Im Atelier wohnt sie seit 18 Jahren. Kürzlich sah es so aus, als müsse sie raus. Ihr wurde gekündigt: „Erst vorgestern habe ich erfahren, dass ich doch bleiben kann. Aber die Miete wurde um 60 Prozent erhöht.“ Die Angst, das Atelier zu verlieren, habe alles durcheinandergebracht: „Ich hatte gerade entschieden, meine Teilzeitstelle zu kündigen.“

3D-Druck- Herznachbildung Foto: Stefanie Loos

Geld: Obwohl ihr Vater durch Spielhallen und Automaten zu viel Geld gekommen war, spielten Geldsorgen schon in der Kindheit eine Rolle: „Man hat gemerkt, dass das ein unsicheres Ding war.“ Später verlor ihr Vater alles. Simone Schmidt selbst habe immer in Gemeinschaften gelebt, die Konsum verurteilten: „Vielleicht auch mit Doppelmoral, heimlichem Hinschielen.“

Flow: Mit 62 Jahren wollte sie zum ersten Mal ganz auf ihre Kunst setzen: „Ich dachte, jetzt muss alles anders werden.“ Neben ihren Brotjobs blieb bislang kaum Zeit für ihre Projekte. Ihre Sachen entstanden meist nachts: „Nach zehn Uhr komme ich in einen Flow.“

Simone: Sie mag ihren Namen: „Da denkt man an Simone de ­Beauvoir oder die Schauspielerin Simone Signoret.“ Die Kombination ihres Vor- und Nachnamens aber habe nicht für die Kunst getaugt: „Simone Schmidts gibt es viele.“ Deswegen habe sie lange nach einem Künstlernamen gesucht. Dann habe sie gemerkt: „Man muss nur eine Stelle verändern und zack, hat man einen Namen ohne Gedöns.“ Simono. Das o am Ende sei japanisch inspiriert: „Kein Transgenderstatement oder so.“

Inspiration: Mit japanischer Kultur verbindet sie vieles: Sie trommelt in einer Taiko-Gruppe: „Eine Mischung aus Trommeln und Kampfsport.“ Und meint, viele ihrer künstlerischen Impulse kämen von Butoh, einem expressiven Tanz: „Ich habe einen Zweikampf mit japanischer Kunst.“ Einerseits schätze sie die Klarheit, „andererseits neige ich zur Vielfalt“.

Blick aus dem Fenster des Ateliers von Simono Foto: Stefanie Loos

Vielfalt: Simone Schmidt zeichnet, macht Lasercut-Gravuren, Rauminstallationen, fertigt 3D-Werke und Skulpturen, fotografiert und macht Videos: „Doch Zeichnen ist die Basis.“ Um zu demonstrieren, wie sie es auf andere Medien überträgt, zeigt sie ein Video von Quallen, das sie mit Stift und Papier auf dem Tablet so bearbeitet hat, dass es wie gezeichnet aussieht.

Themen: So unterschiedlich ihre Techniken sind, ihre Themen wiederholen sich. Neben Rollenbildern ist da immer wieder die Anatomie des menschlichen Körpers. Erst, erzählt sie bei einer Tasse Tee am kleinen Tisch in der Küche, habe sie sich mehr für das Äußere interessiert, nun sei es das Innere. Sie geht ins Nachbarzimmer und nimmt eine Rolle Papier vom Schrank: Auf Goldpapier hat sie mit Siebdruck gezeichnete grüne Körper überlagert. Aus einer Schublade zieht sie eine Laserdruckarbeit: „Ein Herz in 3D aus Spanholzplatten.“

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Gefangen im Körper: Die Beschäftigung mit Anatomie sei ein Versuch gewesen, sich den Körper zurückzuholen. In der Kindheit machte ihr eine Hüftdysplasie zu schaffen: „Nach außen war das nicht ersichtlich.“ Doch Simone Schmidt konnte sich nicht so natürlich bewegen wie andere: „Da musste erst ein paar Mal operiert werden.“

Fehlende Vorbilder: Auch sonst fühlte sie sich als Heranwachsende nicht wohl in ihrer Haut: „Mit 13, 14 wollte ich ein Junge sein.“ Im Nachhinein verstehe sie, dass sie nicht wirklich ein Junge sein wollte, sondern es schlicht an positiven weiblichen Rollenvorbildern mangelte.

Aufwachsen: „Bei der Erinnerung an die 60er in Westberlin kratzen die Strumpfhosen.“ Ihre Mutter habe sich immer ein Mädchen gewünscht, dem sie Kleider anziehen könne. Zu Geld gekommen, kaufte sie ihr dann viele: „Aber ich mochte nur Unisex-Sachen.“ Mit den Mitmenschen in der Villengegend konnte sie sich genauso wenig identifizieren wie mit der Mutter, die ihr die Rolle als Angestellte des Mannes und Entertainerin vorlebte. Befremdlich fand Simone Schmidt auch die Welt des Vaters, wenn der sie auf seinen Geschäftstouren in Spelunken mitschleppte. Und in der Schule fühlte sie sich als Tochter eines Spielhallenbesitzers deplatziert. Irgendwann aber fand sie doch eine Gleichgesinnte, die ihr Befremden an der Welt der Erwachsenen teilte: „Auch ­lesbisch.“

Rollensuche: Ihre Identitätsfindung sei in die Zeit der Gründung der Alternativen Liste und der taz gefallen: „In dem Kontext gab es präfeministische Diskurse zu Rollen. Und es gab David Bowie in seiner Androgynität.“ Über die Schulfreundin kam sie in die Frauen- und Lesbenszene. Mittlerweile sieht sie viele ihrer damaligen Überzeugungen kritisch: „Das war reine Ideologie: lesbisches Leben und Kampf gegen das Patriarchat.“ Im Nachhinein schämt sie sich, dass auch sie andere gegängelt und Druck ausgeübt habe: „Du hast das falsche Wort gesagt …“

Feminismus: Auf die Frage, ob sie sich als Feministin bezeichnet, meint Simone Schmidt zögerlich: „Ja, aber ich muss mir die Graduation genau überlegen. Nach einer kurzen Denkpause fügt sie hinzu: „Nach außen bin ich sehr feministisch, von innen eher liberal.“

Werdegang: Als Kind habe sie Geschichten aus der Bibel ihres Opas gezeichnet. Als Erwachsene kam sie zunächst vom Zeichnen ab. „Weil ich Sprache interessanter fand als Linien und Zeichen“, sagt sie. Nach dem Abitur studierte Simone Schmidt Publizistik und Germanistik. „Dann gab es einen Punkt, den ich öfter habe: Ich kann nicht nur reden, ich muss was tun.“ In einer Galerie, „der ersten Frauengalerie Berlins oder gar Deutschlands“, besuchte sie Zeichenkurse. Bald darauf trug sie sich an der Hochschule der Künste für Grafik ein. Eigentlich aber wollte sie freie Kunst machen. Das Studium hat sie nicht abgeschlossen. Die Kunst sei an der Hochschule weniger frei gewesen als gedacht: „Ich hatte einen Kurs bei der feministischen Malerin Sarah Haffner: Die hat uns dann nur Blautöne ausmalen lassen.“

Lebenslanges Lernen: Nach dem Studium jobbte sie in einem Copyshop und nahm dann eine Stelle in einem Frauenprojekt an. „Später habe ich viel Grafik gemacht, ab 1988 auch Videoschnitt.“ Sie habe seit Ende des Studiums ständig an Weiterbildungen teilgenommen. Derzeit via Zoom eine als Content Creator für Foto und Video.

Autodidaktik: Das grafische Handwerk habe sie sich selbst angeeignet, parallel kam sie in Kontakt mit Kreuzberger Malerinnen und machte bei deren Aktionen mit. Zwei Jahre lang arbeitete sie in einem Atelier im Künstlerhaus Tacheles und stellte dort aus: „Das war aber sehr männlich dominiert. Auch physisch.“

Leben von der Kunst: Sie habe zwar viele Anträge für Kunstförderungen geschrieben und auch lokale Stipendien bekommen, finanzieren aber konnte sie sich über die Kunst-Töpfe nie. Nur einmal hatte sie eine Vollzeitstelle: „Bei einem Heizkostenverteiler.“ Ausgeschrieben gewesen sei die Stelle als Grafikjob: „Im Endeffekt war ich Mädchen für alles. Das war physisch wie psychisch nicht meins. Und für die Firma war es auch nichts. Ich bin kein Roboterautomat: „Irgendwie breche ich immer aus.“

Zukunftspläne: Durch die Kündigung des Ateliers hatte sie in den letzten Monaten Existenzängste. Jetzt aber habe sie den Kopf wieder frei: „Gerade habe ich einen Energieschub.“ Sie will Auftragsarbeiten für Holzobjekte annehmen: Ich sehe die Trennung zwischen angewandter und freier Kunst nicht.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.