piwik no script img

Ak­ti­vis­t:innen über Klimaneutral 2030„Angst fordert kein Handeln“

Nach dem Scheitern des Volksentscheids bereiten sich die In­itia­to­r:in­nen darauf vor, Klimaschutz in der CDU-SPD-Koalition voranzutreiben.

Bis zum Erfolg haben leider noch über 160.000 Ja!'s gefehlt Foto: dpa
Jonas Wahmkow
Interview von Jonas Wahmkow

taz: Die Klimagerechtigkeitsbewegung musste in der letzten Zeit viele Rückschläge erleiden. Zuerst der Wahlsieg der CDU, dann der verlorene Volksentscheid. Wie fühlen Sie sich gerade?

Jessamine Davis: Durchwachsen. Mit dem Koalitionsvertrag, der vor einer Woche veröffentlicht wurde, fühle ich mich, was die politische Situation angeht, nicht so gut. Auf der anderen Seite denke ich mir, gerade jetzt müssen wir zusammenhalten und gucken, wo wir ansetzen können, um die progressiven Kräfte in Berlin zu bündeln. Ich habe auch noch viel Motivation, um weiterzumachen.

Michaela Zimmermann: Mit etwas emotionalem Abstand sehen wir auch, was wir erreicht haben. Wir haben eine breite öffentliche Diskussion angeregt; auch das Klimaschutz-Sondervermögen der schwarz-roten Koalition war eine Reaktion auf den Volksentscheid. Uns ging es immer auch darum, zu zeigen, dass der Politik schon viele Maßnahmenvorschläge vorliegen, aber kaum etwas umgesetzt wird.

Gerade in der Endphase vor dem Entscheid am 26. März haben Sie unglaublich viel Energie und Zeit in den Wahlkampf gesteckt. Gibt es schon Ideen für neue Projekte?

Volksentscheid Berlin klimaneutral 2030

Das Gesetz Wäre die Abstimmung am 26. März erfolgreich gewesen, hätte Berlin anstatt bis 2045 schon bis 2030 klimaneutral sein müssen – mit gesetzlich bindender Wirkung. Am Ende votierte mit 442.210 Ja-Stimmen zwar eine knappe Mehrheit von 51 Prozent für das Gesetz; das nötige Quorum von mindestens 25 Prozent Ja-Stimmen aller Wahlberechtigten wurde jedoch deutlich verfehlt. Besonders in den Außenbezirken war die Ablehnung hoch. Kritiker:innen bemängelten, dass das Ziel technisch kaum umsetzbar sei und unvorhersehbare soziale Auswirkungen habe.

Die Initiative Klimaneustart Berlin verfolgt nach eigenen Angaben das Ziel, den Austausch zwischen Bürger:innen, Wissenschaft und Politik voranzutreiben". Klimaneustart hat den Volksentscheid initiiert und das Gros der Kampagnenarbeit geleistet. Gegründet hat sich die Gruppe 2019, um per Volksinitiative den Senat zur Ausrufung des „Klimanotstands“ zu bewegen. Das klappte tatsächlich, jedoch ohne praktische Folgen. Mit einer weiteren Volksinitiative regte Klimaneustart Berlin 2020 einen „Klima-Bürger:innenrat“ an, den der Senat im Sommer 2022 einberief. (taz)

Im Interview: 

Jessamine Davis, 32, ist Sprecherin der Initiative.

Michaela Zimmermann, 36, arbeitet ehrenamtlich im Koordinations- und Presseteam.

Santiago Rodriguez, 23, Student, engagiert sich in der Politik AG.

Davis: Uns ist wichtig, allen Mitgliedern Zeit und Raum zu lassen, um ihre Emotionen zu verarbeiten. Sehr viele Leute haben sehr viel Energie und Leidenschaft in den Volksentscheid reingesteckt. Es hätte sich falsch angefühlt, sofort mit etwas Neuem anzufangen. Ende April werden wir einen Strategieworkshop machen und schauen, wie es dann weitergeht.

Zimmermann: Wir gehen erst einmal in den Reflexionsprozess und werden mit anderen Organisationen zusammen eine repräsentative Umfrage in Auftrag geben, warum Leute nicht zur Abstimmung gegangen sind oder warum sie mit Nein gestimmt haben. Wir werden auch noch mal intern unsere Organisationsstrukturen reflektieren: Was hat gut im Wahlkampf geklappt, was nicht, um uns für die nächste Kampagne besser aufzustellen.

Wie glaubwürdig sind für Sie die Klimaschutz-Ambitionen von Schwarz-Rot?

Santiago Rodriguez: Es ist enttäuschend, was im Koalitionsvertrag herausgekommen ist – besonders im Kontext von dem, was wir in dem Volksentscheid gefordert haben. Der Koalitionsvertrag sagt nichts darüber aus, wie man Klimaschutz in dieser Stadt realistisch umsetzen kann. Es ist vor allem eine Wunschliste von den Dingen, die man gern machen möchte, aber über die Realisierbarkeit wird nicht gesprochen. Es wird beim Thema Klimaschutz weiterhin sehr, sehr viel Druck brauchen.

Zimmermann: Ich finde es sehr beunruhigend, dass der Koalitionsvertrag sehr konkret aufzeigt, dass man zum Beispiel die Versammlungsfreiheit einschränken und den Präventivgewahrsam ausweiten möchte. In der Vergangenheit zielte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) mit diesen Forderungen ganz klar auf Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen ab. Konkrete Vorschläge hingegen, wie das Sondervermögen eingesetzt wird, gibt es kaum. Uns ärgert auch, dass die Ergebnisse von früheren Volksentscheiden nicht anerkannt werden.

Sie meinen damit Deutsche Wohnen Enteignen, dessen Umsetzung de facto hinter das Ende der Legislatur verschoben worden ist, und die vorgeschlagene Randbebauung des Tempelhofer Felds?

Zimmermann: Genau. Ich glaube, dass wir in Zukunft mit anderen Gruppen wieder verstärkt um unsere Freiheitsrechte kämpfen müssen, um überhaupt noch demokratische Mittel und Wege zu haben, den politischen Entscheidungen etwas entgegensetzen zu können.

Gibt es trotzdem jetzt schon Lehren, die Sie gezogen haben? Besonders in den Außenbezirken war der Anteil derer, die mit Nein gestimmt haben, deutlich höher als erwartet. Haben Sie die Widerstände und Sorgen der Bevölkerung vor den Folgen der Klimaschutzmaßnahmen unterschätzt?

Zimmermann: Es wurde kritisiert, dass wir die soziale Frage nicht ausreichend thematisiert hätten. Aber wir haben seit letztem Jahr regelmäßig an die Türen von Akteuren wie Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und der Mietenbewegung geklopft. Leider kamen bisher nur wenige Reaktionen. Dabei ist Klimaschutz keine Einbahnstraße. Wenn man sich mit sozialen Themen beschäftigt, muss man sich auch die Klimafrage stellen. Wir schauen weiter, wie wir konstruktive Lösungen entwickeln können, und sprechen Einladungen an alle aus, die Klimaschutz in der Stadt sozial gerecht umsetzen wollen.

Davis: Wenn der Volksentscheid zusammen mit den Wahlen stattgefunden hätte, hätte unsere Kampagne anders ausgesehen. Wir mussten ganz stark auf Mobilisierung setzen, damit die Menschen überhaupt wählen gehen – was gerade einmal sechs Wochen nach der letzten Wahl nicht selbstverständlich war. Bei einem gemeinsamen Termin hätten wir uns mehr auf Inhalte konzentrieren können.

Trotz des Fokus auf Mobilisierung fehlten am Ende etwas über 160.000 Ja-Stimmen, die der Volksentscheid mit einer höheren Wahlbeteiligung vielleicht bekommen hätte.

Davis: Generell schwierig in der Klimakommunikation ist, dass Angst kein Handeln fordert. Wir haben mit zahlreichen Klimapsychologinnen gesprochen, die immer gesagt haben: Wenn Menschen Angst spüren, dann schalten sie ab. Wir hätten mehr die positiven Visionen und Beispiele in den Fokus rücken müssen. Aber gleichzeitig wollten wir auch die Dringlichkeit der Klimakrise kommunizieren. Dadurch fällt man leicht in die Falle, dass man eher über Katastrophen spricht, die dann tendenziell Angst auslösen bei den Menschen.

Wie sollte die Klimagerechtigkeitsbewegung zukünftig mit dieser Angst umgehen?

Rodriguez: Es gibt definitiv ein Kommunikationsproblem. Klimaschutz ist tatsächlich die sozialste Maßnahme, die wir heute treffen können. Das merkt man einfach daran, dass die Inflation, die uns in den letzten Jahren beschäftigt, hauptsächlich durch die steigenden Preise fossiler Energie getrieben wird. Ohne diese Abhängigkeit hätten wir diese Inflation nie gehabt.

Was passiert jetzt mit den übrig gebliebenen Flyern und Werbematerialien?

Zimmermann: In den Kiezteams werden gerade witzige Ideen zum Upcycling ausgetauscht.

Davis: Wir haben nicht mehr viele Flyer übrig, sondern den Bedarf ganz gut eingeschätzt. Ich habe aus Tempelhof-Schöneberg gehört, das sie die Plakate aufbewahren wollen, um eine Großaktion zu machen. Wir haben auch viele Sachen, die von anderen Initiativen wiederverwendet werden. Zum Beispiel werden wir unsere Klemmbretter zum Unterschriftensammeln an Berlin autofrei weitergeben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • "Es ist enttäuschend, was im Koalitionsvertrag herausgekommen ist – besonders im Kontext von dem, was wir in dem Volksentscheid gefordert haben. Der Koalitionsvertrag sagt nichts darüber aus, wie man Klimaschutz in dieser Stadt realistisch umsetzen kann. Es ist vor allem eine Wunschliste von den Dingen, die man gern machen möchte, aber über die Realisierbarkeit wird nicht gesprochen."

    Diese Aussage überrascht mich dann doch ein wenig, war der Volksentscheid doch genau so gestrickt. Eine Gesetzesänderung ohne jedwede inhaltliche Auseinandersetzung damit, wie diese denn nun umsetzbar sein könnte. Über die Realisierbarkeit wurde gerade beim Volksentscheid in keinster Weise gesprochen, im Übrigen ein Grund nicht weniger Bekannter von mir, dagegen zu stimmen. Da fehlt irgendwie die Selbstreflektion. Nun mag man argumentieren, dass der Volksentscheid ja eher eine Forderung sei und die Umsetzung der Politik obliege, aber es wurde über ein konkretes Gesetz abgestimmt - da muss man als Initiator:innen dann schon auch selbst Antworten auf diese Frage parat haben.



    Diesbezüglich stimme ich meiner/meinem Vorkommentator:in DIMA vollumfänglich zu.

  • Wie kann es sein, dass ein Interview über das Scheitern der Initiative geführt wird, ohne dass auf die Frage der Nichtdurchführbarkeit und Nichtfinanzierbarkeit des Vorhabens eingegangen wird?

    Zukünftige Initiativen sollten daraus lernen und die Umsetzbarkeit eines Gesetzentwurfes stets mit berücksichtigen.